G20 heißt auch: Gipfel der Überwachung

Erstveröffentlicht: 
28.07.2017

Beim G20-Gipfel nutzten Polizei und Verfassungsschutz ein großes Arsenal an Überwachungsmaßnahmen. Sie hörten Gespräche mit, setzten IMSI-Catcher ein und führten Funkzellenabfragen durch. Daneben las die Polizei Handys aus und fragte Daten bei Hostels ab. Über die Details schweigt sie, eine Kontrolle ist so kaum möglich.

 

Der G20-Gipfel war auch ein Gipfel der Überwachung. Hamburger Polizei und Bundespolizei tauschten Daten mit Verbindungsbeamten ausländischer Behörden aus, um an Informationen für Grenzkontrollen oder Personenüberprüfungen zu gelangen. Der Hamburger Verfassungsschutz stellte schon im Vorfeld Daten über Sprecher linker Gruppen ins Netz. Informationen des Bundesverfassungsschutzes führten dazu, dass Journalisten ihre Akkreditierungen entzogen wurde. In mindestens einem Fall aufgrund einer falschen Datenlage.

 

Doch auch technisch fuhren Polizei und der Hamburger Verfassungsschutz einiges auf. IMSI-Catcher, Funkzellenabfragen, Stille SMS, Telekommunikationsüberwachung, Videoüberwachung. In welchem Umfang, das will der Hamburger Senat auf Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider in den meisten Fällen nicht beantworten. Das sagt er bereits vor der ersten Frage und fügt immer wieder einen Verweis auf diese Generalentschuldigung ein.

 

Zur Häufigkeit verdeckter Maßnahmen müssten Akten händisch ausgewertet werden, das sei in der Antwortfrist einer parlamentarischen Anfrage nicht zu machen. Anderes lasse Rückschlüsse auf die Taktik der Polizei zu, auch dann könne man Details nicht offenlegen. Und einige Akten seien noch nicht bei der Staatsanwaltschaft erfasst, daher sei noch keine zuverlässige Auswertung möglich. Aus der Zuständigkeit des Hamburger Senats ergibt sich außerdem, dass die Antworten nur Aussagen über die Hamburger Polizei und den Landesverfassungsschutz enthalten können. Was Bundespolizei, Bundesverfassungsschutz und andere Länderbehörden an Technik nach Hamburg gebracht haben, kann man ihr nicht entnehmen.

 

„Funkzellenabfragen nicht in Zusammenhang mit Demos“

Laut Hamburger Senat wurden in 38 Verfahren Anträge zu Funkzellenabfragen gestellt. Wie viele Funkzellenabfragen es schließlich gab, verrät der Senat jedoch nicht. Bei der Funkzellenabfrage fordert die Polizei eine Liste aller Handys an, die sich zu einem Zeitraum in einer Funkzelle befanden, und kann so bei wiederholter Abfrage auch Bewegungsprofile erstellen. Die Überwachungsmethode ist umstritten, denn sie wird mittlerweile als Alltagsinstrument eingesetzt.

 

Laut Gesetz dürfen Funkzellen jedoch erst dann abgefragt werden, wenn die Aufklärung „auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“. Ob diese Abfragen überhaupt wirksam sind, ist nicht nachweisbar, denn Einsatzstatistiken sind nur in wenigen Bundesländern vorhanden und selbst die verraten nicht, ob die Abfragen zu Ermittlungserfolgen und Verurteilungen geführt haben.

 

„Nach vorliegenden Erkenntnissen“ habe es jedoch keine Funkzellenabfragen in Zusammenhang mit Demonstrationen und Versammlungen gegeben, sagt der Senat. Angesichts der Fülle an ebenjenen überrascht diese Aussage. Funkzellenabfragen auf Demonstrationen führten 2011 in Dresden zu medialer Aufmerksamkeit. Bei dem als Handygate bekannt gewordenen Fall erklärte das Landgericht Dresden einen Teil dieser Abfragen zwar als illegal, jedoch nur aufgrund damals vorliegender formaler Mängel.

 

Stille SMS, IMSI-Catcher und Observationen

Wie viele Stille SMS gab es? Für die Polizei werde das „noch ausgewertet“, der Hamburgische Verfassungsschutz versandte 37 heimliche Ortungs-SMS. Der Empfänger einer solchen Nachricht bekommt diese nicht angezeigt. Mittels der erzeugten Verbindungsdaten kann die Polizei den ungefähren Aufenthaltsort des Handynutzers ermitteln.

 

Schneider fragte auch nach WLAN- und IMSI-Catchern, Peilsendern, GSM- oder GPS-Sendern. Mehr als eine Bestätigung ihres Einsatzes bekommt sie nicht. Die Polizei habe solche Verfahren angewendet, der Einsatz eines IMSI-Catchers sei angeordnet worden. Der Landesverfassungsschutz tue dies, „wenn eine solche Maßnahme geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist“. Genaue Informationen über das Ausmaß würden aber die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung und die „künftige Beobachtung der extremistischen Organisationen“ gefährden.

 

IMSI-Catcher geben vor, eine Funkzelle zu sein, und bringen so Mobiltelefone in der Umgebung dazu, sich bei ihnen einzubuchen. Damit können sowohl der Standort des Telefons als auch die Gerätenummer ermittelt werden.

 

Zusätzlich gab es Observationen durch die Polizei. Doch wieder heißt es vom Senat: keine Angabe zu Zahlen. Gleiches Spiel bei der Nachfrage nach den durchgeführten Telekommunikationsüberwachungen: Ja, sowohl Verfassungsschutz als auch Polizei haben sie durchgeführt, bestätigt der Senat. Mehr erfährt die Öffentlichkeit nicht. Genauso wenig wie über Details zu Videoüberwachung. Hubschrauberaufnahmen, Verkehrskameras und mobile Videokameras habe die Polizei genutzt – konkreter wird es nicht. Die Nutzung von Drohnen durch die Hamburger Polizei bestreitet der Senat.

 

Einsatzsoftware CommandX

Eine der ausführlichsten Antworten erhält Schneider auf ihre Frage nach der eingesetzten Software zur Unterstützung der Einsatzführung. Die Hamburger Polizei benutzt die Software CommandX von Eurocommand. Um Polizisten für den Einsatz des Systems vorzubereiten, seien fast 700 Mitarbeiter „368 Stunden beschult“ worden. Die Software habe sich bewährt, Defizite seien nicht festgestellt worden. Erstmalig wurde CommandX zum OSZE-Gipfel im Dezember eingesetzt, mehrere Medien berichteten damals über den neuen „Cyber-Leitstand“ der Polizei mit seiner 16 Quadratmeter großen Videowand.

 

Auf den insgesamt 29 Leinwänden (Facebook-Video) lassen sich die im Einsatz befindlichen Einheiten verfolgen, weitere Monitore stellen Videoaufnahmen dar, etwa aus Hubschraubern und Verkehrsüberwachung. Der Geschäftsführer des Unternehmens fiel während des Gipfels durch seine undifferenzierten Äußerungen auf. Er bezeichnete beispielsweise G20-Gegner als „assoziales [sic], schwerkriminelles Gesindel“ und erwiderte auf eine Meldung von lebensgefährlich verletzten Personen, das „Pack“ habe keinen Respekt und kein Mitleid verdient.

 

Ausgelesene Handys und Datenabfragen bei Hostels

Neben den von Schneider abgefragten Überwachungsmaßnahmen gab es noch einige weitere berichtenswerte Vorfälle. So fragte die Polizei bei Hostel-Betreibern pauschal die Personendaten italienischer Personen ab, ohne den Betreibern dafür eine Begründung zu liefern. Eine solche Datenabfrage ohne konkreten Verdacht ist unzulässig.

 

Zusätzlich schaute sich die Polizei Handys von anreisenden Demonstranten an, um IMEI-Nummern auszulesen. Dabei twitterte sie, es seien keine persönlichen Daten ausgelesen worden. Auch wenn sie damit sicherlich etwas anderes meinte: Eine IMEI, vereinfacht gesagt die eindeutige Gerätenummer eines Telefons, ist ein personenbezogenes Datum. Nachzulesen etwa auf den Seiten der Bundesdatenschutzbeauftragten.

 

Einige Überwachungsmaßnahmen werden bleiben

Mit den Maßnahmen vor und auf dem Gipfel ist das Thema noch nicht abgeschlossen: Zur Ergänzung ihrer eigenen Videoüberwachungsbilder forderte die Polizei die Bevölkerung auf, Handyvideos und Fotos mit belastendem Material auf einer polizeilichen Plattform hochzuladen. Innenpolitiker von Union und SPD forderten eine europäische Linksextremisten-Datei. CSU-Politiker Stephan Mayer forderte, die zum G20-Gipfel eingerichteten Grenzkontrollen dauerhaft aufrechtzuerhalten, um Straftäter im Allgemeinen zu ermitteln – ohne Zusammenhang zu den Gipfelprotesten.

 

Kein Thema ist hingegen die bessere Identifizierbarkeit von Polizisten, um auch sie auf Foto- und Videoaufnahmen wiedererkennen zu können. Derzeit müssen Polizisten in neun Bundesländern Nummern oder Namensschilder tragen. Es passiert das Gegenteil: Nordrhein-Westfalen diskutiert seit dem G20-Gipfel darüber, die Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder abzuschaffen.

 

Die vielen offenen Fragen und die unzureichenden Antworten verdeutlichen, dass die Aufarbeitung des G20-Gipfels noch lange nicht vorbei ist. Es werden noch viele parlamentarische Anfragen und viel journalistische Arbeit notwendig sein, um die Geschehnisse aufzuarbeiten und zu einer Einschätzung zu gelangen, inwieweit sich die deutschen Sicherheitsbehörden in den Grenzen des Rechtsstaates bewegt haben – sei es bei Überwachung, bei Eingriffen in die Versammlungsfreiheit oder beim Einsatz von Gewalt.