Feministinnen aller Länder vereinigt euch! Wider den liberalen Feminismus und seine neoliberalen Spielarten

NoG20-Massenzeitung der Interventionistischen Linken (IL)
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Erstveröffentlicht: 
31.05.2017

Beim G20-Treffen müssen wir auch über Feminismus endlich wieder Klartext reden. Das bedeutet: Es müssen wieder Fronten aufgemacht werden, um zu sehen, wo eigentlich unser Feind steht.Eine marxistisch-materialistische Analyse der Geschlechterverhältnisse ist dabei unabdingbar.

 

Eine Front betrifft die Sphäre des Bewusstseins, der Ideologie, der Subjekte, die selbstverständlich auch historischem Wandel unterworfen sind. Warum wird heute wie gedacht? Die neoliberale Gestalt einer selbstbewussten emanzipierten Frau heute nimmt für sich in Anspruch, unter der Fahne von Selbstbestimmung, Unternehmerin ihres eigenen Lebens sein zu wollen. Sie fordert nicht mehr nur den Zugang zum Arbeitsmarkt, eine wichtige Forderung der 2. Frauenbewegung, der ist ihr schon lange zur Pflicht erklärt. Sie fordert auch das „Selbstbestimmungsrecht“ über ihren Körper – auch eine Forderung der Frauenbewegung. Neoliberal gewendet führt dies unter der Hand zur freiwilligen Unterwerfung unter das Diktat von permanenter Selbstoptimierung und bedient männliche und kapitalistische Verwertungsinteressen und Schönheitsvorstellungen. So konnte man kürzlich zum internationalen Frauentag in einer Straßenzeitung lesen: „Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Sexualität, auf Schönheitsoperationen, ...  Bruststraffung und Facelifting  ...“ Ergänzen ließe sich die Reihe noch mit social freezing, boomenden Schamlippenoperationen, dem Designerkind per pränataler Eugenik usw.

 

Wir beobachten heute ein Verschwindenlassen „der Frau“ als Kollektiv und symbolischen Kontrapart zum „Mann“ in der Geschlechterordnung zugunsten einer Auflösung in multiple, unzählige geschlechtliche Identitäten. Aber macht uns das nicht manchmal auch sprachlos, auf die unerträglichen Ungerechtigkeiten im Alltag bei uns und weltweit zu verweisen? Es stellt sich die Frage, ob nicht ein multiples flexibles Subjekt mit wahllos verschiedenen Identitäten den aktuellen Verwertungsbedingungen des Kapitalismus in der Krise des 21. Jahrhunderts doch sehr zupass kommt. Erklärt dies vielleicht die in der Breite sprachlos scheinende Frauenbewegung? Hier in Hamburg ist das jedenfalls nicht der Fall. Sowohl auf dem Gegengipfel, bei den Aktionen und auf der Demonstration sind wir nicht auf den Mund gefallen und werden uns laut Gehör verschaffen.

 

Frauen in der Armutsfalle

 

Die andere Front betrifft die ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnisse, aus deren Analyse sich die nach wie vor für die Mehrzahl von Frauen unterlegene, dem Mann eben in keiner Weise gleichgestellte Position ergibt. Wie erklärt es sich, dass trotz jahrzehntelanger Gender-Politik die gesellschaftliche Stellung der Frauen sich nur unwesentlich verbessert hat? Nun werden einige sagen: „Moment mal, Frauen in Deutschand haben doch viel erreicht; Mädchen haben die besseren Schulabschlüsse; sie besuchen vermehrt Universitäten; sie haben Zugang zum Arbeitsmarkt; es werden mehr Krippenplätze angeboten; sie können sogar Kriegsministerin oder Bundeskanzlerin werden; und nicht zu vergessen die Quote für die drei Vorstandssitze, die von Männern ungeniert als Diskriminierung bezeichnet werden.“

 

Aber die Fakten sind hinlänglich bekannt und erforscht: 90% der unbezahlten Arbeit sowie annähernd 80% der Teilzeitarbeit wird nach wie vor von Frauen geleistet. Altersarmut durch geringe Rentenansprüche ist hier vorprogrammiert. Überwiegend Frauen arbeiten in sozialen Berufen, die schlecht bezahlt sind. Frauen verdienen häufig weniger als Männer; Frauen sind Opfer von männlicher Gewalt und nicht umgekehrt. Alleinerziehende Mütter und ihre Kinder sind aus Prinzip armutsbedroht.

 

Feministinnen im Kampf gegen den neoliberalen Kapitalismus

 

Wie erklärt es sich, dass Frauen nicht aufmucken, obwohl sie objektiv die Leidtragenden und verschärfter Ausbeutung ausgesetzt sind? Wie erklärt es sich, dass allein schon die Aufzählung der Missstände nur ein müdes Achselzucken hervorruft? Es turnt überhaupt nicht an. Wieso?

 

Selbstbewusste Frauen wollen keine Opfer sein, heißt es. Positiv denken. Wir sind tough. Doch, Frauen, machen wir uns doch nichts vor: Das Patriarchat hat sich schon längst ganz anders aufgestellt und hat die Herrschaft über Frauen fest im Griff. Darüber müssen wir reden! Wer von Feminismus spricht, darf von Kapitalismus nicht schweigen! Die in Deutschland nach 1949 im Fordismus vorangetriebene Deproletarisierung der Gesellschaft, die durch die Agenda 2010 von der rot-grünen Koalition neoliberal vollendet wurde, machte im Übrigen nicht nur Frauen sprachlos, denn sie hatten angeblich alles erreicht, was die 2. Frauenbewegung gefordert hatte. Sprachlosigkeit wurde institutionalisiert, indem eine kollektive politische Interessenartikulation als „wir Frauen“ als überholt und nicht mehr zeitgemäß aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen verbannt wurde.

 

Gleichzeitig hat der Neoliberalismus entlang gesellschaftlicher Spaltung natürlich Gewinnerinnen hervorgebracht, die sich im liberalen Feminismus als „Top girls“ oder „neue F-Klasse“ suhlen und mit denen wir als Linke nichts mehr gemein haben. Das Patriarchat ist ungebrochen, hat sich allerdings geschickt verborgen, indem es im Rahmen neoliberaler Politik komplett die Reproduktion, das heißt Haushalt, Kindererziehung, Pflege unsichtbar gemacht hat. Entscheiden wir uns, auf welche Seite stellen wir uns? Solidarisieren wir uns, schließen wir uns zusammen, organisieren wir uns gegen die neuen Unterdrückungsmechanismen des Patriachats im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts und entdecken wir gemeinsam das, was wir wollen. Her mit dem guten Leben für alle!

 

Auf nach Hamburg
G20 versenken!