Die Kampagne „You can`t evict Solidarity“ wurde von Menschen, die auf der Balkanroute aktiv sind, nach den Räumungen von besetzten Häusern in Thessaloniki im letzten Sommer gemeinsam gestartet, in der sie sich für grenzenlose Solidarität mit den migrantischen Häuserkämpfen in Griechenland und anderswo einsetzen. Mit der Kampagne soll Öffentlichkeit für das Thema und für die Repression geschaffen, sowie Geld zur Unterstützung der angeklagten Besetzer*innen in Prozessen und für Projekte vor Ort gesammelt werden, sowie Vernetzung zwischen Aktiven stattfinden. 1 Jahr nach dem Start ziehen die Menschen in der Kampagne ein Fazit.
We won`t stop - Wir hören nicht auf!
Zwischenstand und Bericht zur Kampagne „You can‘t evict Solidarity“ im Juli 2017 - Ein Jahr nach der Räumung von besetzten Häusern in Thessaloniki (Griechenland)
Der Start der Kampagne im Sommer 2016
Im Juli 2016 wurden in Thessaloniki in Griechenland die von Geflüchteten und anderen Aktivist*innen besetzten Häuser „Orfanotrofeio“, „Nikis“ und „Hurriya“ von der Polizei nach Anordnung der dortigen Syriza-Regierung und der griechischen Kirche geräumt. Dabei und bei folgenden Protestaktionen gegen die Räumungen wurden über 100 Menschen verhaftet. Viele der dort lebenden Geflüchteten wurden in Militärcamps gebracht. Einige Tage später, im Juni und August 2016, wurden in Gerichtsprozessen die ersten Menschen zu hohen Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Die meisten von uns waren auf dem zuvor stattfindenden No Border Camp in Thessaloniki, wo erste Kontakte geknüpft wurden. Nach den Räumungen haben wir uns gemeinsam mit Betroffenen entschlossen, uns zusammenzuschließen, um Geld für die anfallenden Prozesskosten zu sammeln, Öffentlichkeit für die Räumungen zu schaffen und gleichzeitig die migrantischen Häuserkämpfe zu unterstützen. Deshalb ist ein Ziel der Kampagne, weitere solcher Orte auch in Deutschland zu unterstützen und aufzubauen. Dass dies nach wie vor wichtig ist zeigen die jüngsten Fälle von Repression gegen die solidarische Bewegung in Griechenland.
Was in Griechenland seitdem passiert ist…
Während die Situation für Geflüchtete in Griechenland sich in den letzten Jahren größtenteils verschlechtert hat und die Lebenssituation der Menschen in Griechenland geprägt ist von der menschenverachtenden Austeritätspolitik der EU, sitzen nun nach der Militarisierung und gewaltsamen Schließung der Balkanroute zusätzlich über 60.000 Migrant*innen in überfüllten, griechischen Camps fest. In diesen Camps fehlt es meistens an medizinischer Grundversorgung, Versorgung mit Alltäglichem wie Nahrungsmitteln, sowie sanitären Anlagen. Viele Lager bestehen aus abgelegenen Industriehallen oder Zeltstädten. Hinzu kommt auch stetige Diskriminierung seitens der Polizei, dem Militär und Securities. Durch die Migrationspolitik der EU, wie dem EU-Türkei-Deal, und der griechischen Syriza-Regierung kommt es zusätzlich zu einer zunehmenden Militarisierung und Repression gegen Geflüchtete und Aktivist*innen. Viele Camps gleichen mittlerweile Gefängnissen, wie die sogenannten „Hot-Spots“ auf den Inseln Chios, Lesbos und Samos, die für Geflüchtete zu einer Sackgasse geworden sind.
Aus diesen Gründen wurden und werden nicht nur in Thessaloniki sondern auch in Athen und anderen griechischen Städten Häuser besetzt und von Geflüchteten und anderen Aktivist*innen genutzt, da sie die Möglichkeit bieten ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der staatlichen Lager, jenseits von staatlicher Gewalt und jenseits von sexistischen, rassistischen und nationalistischen Kategorien zu führen. Die Häuser sind ein Ort für politische Vernetzung, Selbstorganisation gegen das EU-Grenzregime, sowie Orte der Solidarität und der gegenseitigen Unterstützung, auch durch die griechische Bevölkerung. Damit bilden sie wirkungsvolle Alternativen zu staatlichen und kapitalistischen Repressalien. Das bekannteste von diesen Hausbesetzungen dürfte das ehemalige Hotel „City Plaza“ in Athen sein, in dem über 400 Menschen gemeinschaftlich und solidarisch leben. Auch hier in Deutschland und auf der Balkanroute gibt es mehrere dieser Freiräume und Bestrebungen neue zu schaffen – wie die OM10 in Göttingen oder die besetzten Lagerhallen in Belgrad.
Statt nun die unmenschliche Situation von Geflüchteten zu verbessern setzt die griechische Regierung weiter auf Repression als verzweifelter Versuch eine kraftvolle internationale Solidaritätsbewegung zu zerschlagen. So ließ die Regierung im März 2017 die Geflüchteten-Besetzung „Alkiviadou“ und die Hausbesetzung „Villa Zografou“ in Athen räumen und 200 Menschen, die dort lebten, festnehmen. Dies mit der Ansage des Ministers für öffentliche Ordnung, Nikos Toskas, die Räumung besetzter Häuser, die zur Unterbringung von Geflüchteten genutzt werden, voranzutreiben, was die baldige Räumung weiterer Orte wie des „City Plaza“ befürchten lässt. Als Reaktion darauf gingen Ende März tausende Menschen in Athen auf die Strasse und zeigten ihre Solidarität. Im April kam es daraufhin zu Räumung einer weiteren geflüchtetensolidarischen Besetzung in Thessaloniki, dem „Albatros“, das nach den letzten Räumungen in Thessaloniki im Sommer 2016 entstanden war. Hier wurden 22 Menschen verhaftet und stehen nun am 15. Dezember 2017 vor Gericht, darunter auch Menschen ohne Papiere. All diese Räumungen wurden in Griechenland in den Gerichten und auf den Strassen von Protesten hunderter solidarischer Menschen begleitet.
In allen genannten Fällen stehen die geräumten Häuser nun leer, sind fest versiegelt oder - wie im Fall des Orfanotrofeio - wurden bis auf die Grundmauern abgerissen und and der Stelle liegt nun eine ungenutzte Brachfläche. Währenddessen sitzen die Menschen, die in ihnen gewohnt, gelebt und gewirkt haben auf der Strasse, ohne Perspektive und Alternativen.
Was ist eigentlich los auf der Balkanroute?
Grundsätzlich beobachten wir nicht nur in Griechenland, dass die staatliche Politik gegenüber Menschen auf der Flucht, gegenüber Unterstützer*innen und gegenüber Alternativen zu staatlicher Migrationskontrolle immer repressiver wird. Dies war auch schon vor dem sogenannten „Sommer der Migration“ 2015 so, nun werden aber an den militarisierten Grenzen Flüchtende erschossen, wie vor einigen Monaten an der Grenze zwischen Bulgarien und Serbien, und mit Gewalt am Grenzübertritt gehindert. In Ungarn wurde Ahmad H., einer von elf im September 2015 im ungarischen Röszke verhafteten Geflüchteten (Röszke11), im November zu 10 Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil wurde in der nächsten Instanz am 15 Juni 2017 gekippt, der Prozess wird komplett neu aufgerollt, Ahmad ist weiter in Haft. Die Anklage lautet auf Terrorismus und illegalen Grenzübertritt. Er und die anderen wurden bei Protesten an der ungarisch-serbischen Grenze willkürlich aus der Menge heraus verhaftet. Gleichzeitig nehmen immer noch viele Menschen diesen gefahrvollen Weg auf sich und sitzen daraufhin in „Hotspots“ auf griechischen Inseln und in Serbien fest und wohnen teilweise auf der Straße oder werden illegal abgeschoben. Aus der Not besetzte Häuser werden geräumt, wie besetzte Lagerhallen in Belgrad dieses Frühjahr, und solidarische Aktivist*innen werden als Schleuser*innen verhaftet, wie z.B. im Herbst 2016 in Kroatien.
Was ist von uns an Unterstützung passiert und was steht aktuell und in der Zukunft für die Kampagnenarbeit an?
Die Kampagne ist im Herbst 2016 gestartet und wir haben bis jetzt viel Unterstützung durch solidarische Menschen bekommen, die Soli-Parties in vielen Städten organisiert haben, Geld spenden und für Öffentlichkeit sorgen. Dadurch konnten bereits mehrere tausend Euro gesammelt und an Betroffene in Griechenland weitergeleitet werden, für Anwalts- und Gerichtskosten, für verhängte Geldstrafen, sowie für Öffentlichkeitsarbeit zum Thema (englische und deutsche Flyer, Aufkleber und Plakate). Wir haben v.a. im Winter 2016/17 viele Info-Veranstaltungen in verschiedenen Orten in Deutschland, Österreich organisiert.
Konkret sieht es in Thessaloniki so aus, dass nach den ersten Verurteilungen der Besetzer*innen des „Nikis“ im Juli 2016, nun am 13. und am 26. Januar 2017 in Thessaloniki zwei weitere Prozesstermine gegen insgesamt 82 Besetzer*innen der „Hurriya“- und der „Orfanotrofeio“-Besetzung stattfanden. Die „Orfanotrofeio“-Aktivist*innen wurden für eine Protestaktion gegen die Räumung durch die griechische Kirche wegen „Störung der Kirchenruhe“ angeklagt und nun im Revisionsprozess freigesprochen. Zusätzlich wurden am 31. Mai fünf weitere Besetzer*innen des „Orfanotrofeio“ vom Gericht von allen Vorwürfen freigesprochen. Der Prozess gegen die 58 „Hurriya“-Besetzer*innen wurde auf den 22. Juni 2017 und nun erneut auf den 8. November 2017 verschoben. Die Verhandlung der angeklagten Besetzer*innen des „Albatros“ ist nun auf den 15. Dezember 2017 angesetzt. Diese Prozesse begleiten wir hier und in Griechenland solidarisch und unterstützen dazu Betroffene in neuen Repressionsfällen, z.B. Geflüchtete, die im Camp Softex bei Thessaloniki gegen die dortigen Bedingungen protestiert haben und jetzt mit Anklagen konfrontiert sind. Zusätzlich sind in Athen nach den Räumungen der Besetzungen „Alkiviadou“ und „Villa Zografou“ weitere 200 Personen angeklagt. Auch haben wir finanziell das soziale Zentrum für Migrant*innen „Steki“ in Thessaloniki unterstützt, das zwar nicht besetzt, aber von der Schließung durch den griechischen Staat bedroht ist. Gleichzeitig zeigen die jüngsten Entwicklungen in Griechenland und die immer noch offenen Gerichtverfahren, dass die Kampagne notwendig bleibt und wir weiterhin Solidarität und Unterstützung organisieren müssen. Das bedeutet, dass wir trotz begrenzten Kapazitäten bei den Mitwirkenden der Kampagne, weiterhin die Unterstützung organisieren werden. Wenn Ihr wollt, schreibt uns und macht mit: cantevictsolidarity[at]riseup.net.
Die Menschen aus der Kampagne im Juli 2017
Die Kampagne „You can`t evict Solidarity“ besteht aus Menschen unterschiedlichsten Alters, die in Deutschland und Griechenland wohnen und in antirassistischen und anderen politischen Kämpfen aktiv sind. Viele von ihnen waren in den letzten zwei Jahren auch auf der Balkanroute, in Griechenland oder an den EU-Außengrenzen aktiv. Zusammen haben sie nach den Räumungen von besetzten Häusern in Thessaloniki im letzten Sommer die Kampagne „You can`t evict Solidarity“ gestartet, in der sie sich für grenzenlose Solidarität mit den migrantischen Häuserkämpfen in Griechenland und anderswo einsetzen.
Mehr Infos zur Kampagne und Kontakt auf dem Blog unter www.cantevictsolidarity.noblogs.org.
Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. / OG Salzwedel
IBAN: DE93 4306 0967 4007 2383 12
BIC : GENODEM1GLS
Betreff: Cant evict Solidarity