Bundesjustizminister Heiko Maas warnt davor, linke Einrichtungen in Leipzig-Connewitz pauschal vorzuverurteilen. Zugleich fordert er ein konsequentes Vorgehen gegen Linksextremisten, die an den G20-Krawallen beteiligt waren. Im Interview mit der LVZ spricht er auch über Beschimpfungen und das viel kritisierte Gesetz gegen Hass-Kommentare.
Leipzig. Bundesjustizminister Heiko Maas (50, SPD) warnt, linke Einrichtungen in Leipzig-Connewitz pauschal vorzuverurteilen: Vor Ort würden die Behörden am besten wissen, wer verdächtig ist und wer nicht. Damit geht er auf Distanz zu seinem CDU-Kabinettskollegen Thomas de Maizière, den Bundesinnenminister.
LVZ : Herr Maas, gegen Ihren Auftritt in Dresden ist protestiert worden. Inwieweit greift Sie so etwas als Politiker noch persönlich an?
Heiko Maas : Solche Beschimpfungen sind nicht ganz neu für mich. Als Politiker muss man einfach mehr als andere Menschen aushalten können. Was bei mir etwa über die sozialen Netzwerke ankommt, ist häufig zu absurd, um ernst genommen zu werden. Ich bin nicht mehr bereit, mich auf solche abartigen Beschimpfungen einzulassen. Die Meinungsfreiheit gilt für jeden, sie schützt auch Meinungen, die uns nicht gefallen. Aber: Wenn andere nur niedergebrüllt oder beleidigt werden sollen, spricht das letztlich für sich. Im Übrigen: Ich habe mich sehr über die sachliche Debatte mit den Studierenden in Dresden und allen anderen gefreut.
Sie sind als Minister gegen Hass-Kommentare im Internet vorgegangen. Warum war es so wichtig, dieses Gesetz vor Sommerpause durchzusetzen, obwohl es verfassungsrechtliche Bedenken und Kritik von der UN-Menschenrechtskommission gab?
In Deutschland ist die Hass-Kriminalität innerhalb der vergangenen Jahre dramatisch gestiegen. Deshalb ist Nichtstun die schlechteste Alternative. Wir haben 14 Monate lang in einer Task Force mit Unternehmen wie Twitter, Facebook und Youtube zusammengesessen und darüber beraten, wie diese strafbare Hass-Kommentare so schnell wie möglich aus dem Netz löschen können. Wir wollen nur, dass deutsches Recht angewendet wird. Nach diesen Gesprächen ergab ein unabhängiger Test: Bei Twitter wurde nur ein Prozent gelöscht, bei Facebook waren es ganze 36 Prozent – auf freiwilliger Ebene ist also bei solchen Unternehmen leider nichts zu erreichen. Deswegen mussten wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen.
Dennoch wagen Sie sich weit vor.
Wir sorgen lediglich dafür, dass unsere Gesetze eingehalten werden. Es ist schon immer so, dass strafbare Inhalte gelöscht werden müssen, sobald die Betreiber der Plattformen davon Kenntnis haben. Neu ist nur, dass in Zukunft den Sozialen Netzwerken auch Geldbußen drohen, wenn sie sich nicht an diese Gesetze halten. Mordaufrufe, Volksverhetzungen, Bedrohung - das ist alles nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das muss nicht nur von der Justiz konsequent verfolgt werden, sondern auch aus dem Netz verschwinden. Damit schützen wir die Meinungsfreiheit - vor allem derer, die durch Hasskriminalität mundtot gemacht werden sollen.
Facebook hat reagiert – offenbar nicht zu Ihrer Zufriedenheit?
Facebook und Co. sagen bisher: Im Zweifel löschen wir nicht. Und behaupten noch, sie seien Helden der Meinungsfreiheit. Das sind sie nicht. Meinungsfreiheit endet, wo das Strafrecht beginnt. Doch Recht und Gesetze gelten in Deutschland auch für multinationale Unternehmen, ob ihnen das gefällt oder nicht.
Weshalb muss für die Umsetzung mit dem Bundesamt für Justiz eine neue Superbehörde geschaffen werden, die möglicherweise sogar ein zahnloser Tiger wird?
Das sehe ich nicht so. Das Bundesamt für Justiz hat bereits heute etwa 1000 Mitarbeiter. Im konkreten Fall wird das Bundesamt aktiv, wenn Nutzer Einträge melden, die eine Plattform nicht gelöscht hat, obwohl sie diese kennt und sie strafbar sind. Nur wenn der Umgang des Sozialen Netzwerkes mit solchen Beschwerden insgesamt mangelhaft ist, kann das Bundesamt dann eine Geldbuße verhängen.
Auf die Gerichte kommt also eine Menge zusätzliche Arbeit zu, wenn man die vielen Hass-Nachrichten bedenkt?
Auf die Gerichte kommt vor allem deswegen mehr Arbeit zu, weil die Hasskriminalität in den vergangen Jahren so deutlich angestiegen ist. Völlig unabhängig von unserem Gesetz muss das konsequent von der Justiz verfolgt werden. Beides ist wichtig: dass offensichtlich strafbare Inhalte schnell aus dem Netz verschwinden. Und, dass die Täter dafür bestraft werden.
Lassen Sie uns über die G20-Krawalle sprechen. Ihr CDU-Kollege Thomas de Maizière fordert unter anderem Schließungen in Leipzig-Connewitz. Wie sehen Sie den Vorstoß als Bundesjustizminister?
Zunächst einmal: Die Ereignisse von Hamburg sind erschütternd. Dieses Ausmaß an Gewalt ist nicht tolerierbar. Deshalb muss der Rechtsstaat jetzt tun, was er kann, um sehr konsequent gegen die Täter vorzugehen. Mit Blick auf linksalternative Zentren gehöre ich nicht zu denjenigen, die aus Berlin durch die Gegend reisen und Ratschläge verteilen. Die Behörden vor Ort kennen die betreffenden Einrichtungen einfach deutlich besser. Und zum Thema Linksextremismus: Der Verfassungsschutzberichte macht sehr klar, dass beide Richtungen des politischen Extremismus, links wie rechts, sehr intensiv beobachtet werden. Das wird und muss auch weiter so sein.
Das heißt, es darf keine Vorverurteilung geben?
In einem Rechtsstaat darf es niemals Vorverurteilung geben - das gilt auch im Fall von Leipzig. Etwaige Verbindungen zu Gewalttätern und Straftaten müssen immer belegt werden. In Hamburg wird derzeit ermittelt, von wo es Anstiftung oder Beihilfe zu Straftaten gab. Völlig klar ist: Wer hemmungslose Gewalt unterstützt, wird sich ebenfalls vor Gericht verantworten müssen.
Verbuchen Sie den De-Maizère-Vorstoß also unter Aktionismus und Wahlkampf?
Richtig ist, dass wir in Deutschland einen historischen Höchststand an politisch motivierten Straftaten haben. Da kann man nicht einfach zur Tagesordnungen übergehen, sondern muss genau hinschauen, was präventiv und auch repressiv dagegen getan werden kann. Für politisch motivierte Kriminalität gibt es keinerlei Rechtfertigung - völlig egal, welche Motive die Täter haben. Das darf und wird unser Rechtsstaat niemals dulden.
Der Bundesinnenminister hat auch vorgeschlagen, die Fußfessel präventiv einzusetzen, um potenzielle Randalierer von Demonstrationen abzuhalten. Halten Sie das für juristisch haltbar?
Vor kurzem haben wir ein ganzes Paket an Maßnahmen gegen terroristische Gefährder beschlossen, wenn sie im Verdacht stehen, Anschläge verüben zu können oder zu wollen. Eines der Mittel ist die Fußfessel, für den Einsatz gibt es klare Regeln. Aber: Die Fußfessel wird leider viel zu oft als Allheilmittel angesehen. Ich befürchte bei solchen Krawalltouristen wie in Hamburg hätte sie allein auch nicht geholfen.
In Leipzig macht den Unterschied aus, dass hier Zentren, über die diskutiert wird, nicht nur öffentliche Gelder erhalten, sondern auch viele Angebote unterbreiten. Sollte schon beim Verdacht das Geld gestrichen werden?
In einem Rechtsstaat Maßnahmen nur auf Verdacht zu ergreifen, ist zurecht sehr schwierig. Es muss in jedem Fall ein konkreter Nachweis erfolgen. Wer öffentliche Gelder erhält, ist insofern letztlich eine Entscheidung der Verwaltung vor Ort. Wichtig ist ein differenzierter Blick.
Nach dem G20-Gipfel haben Sie eine europäische Extremistendatei. Gehört diese Forderung in die De-Maizière-Liga?
Nein. Wir sind über dieses Thema nicht erst seit den Ausschreitungen von Hamburg innerhalb der EU im Gespräch. Die EU-Mitglieder sollten vorhandene Daten noch besser austauschen. Dafür müssen wir die entsprechenden Kriterien vereinbaren. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist in der EU mit ihren vielen Mitgliedern aber alles andere als leicht. Wir mahnen das immer wieder an. Ich wünsche mir, dass auch die Ereignisse in Hamburg allen die Dringlichkeit noch einmal vor Augen führen: Wir müssen an diesem Punkt endlich vorankommen. Die brutalen Krawalltouristen machen an keiner Grenze halt. Deswegen müssen auch wir unser Kooperation verstärkten.
Was hätte eine solche Extremistendatei im Hamburg-Fall konkret bringen können?
In Hamburg gab es auch deshalb große Probleme, weil viele gewaltbereite Extremisten aus ganz Europa zu uns gekommen sind. Wenn Schwerstkriminelle etwa schon im Zusammenhang mit Demonstrationen oder Krawallen auffällig geworden und verurteilt worden sind, müssen wir diese Gewalttäter frühzeitig fern halten. Die Gewalttäter möglichst schon an der Einreise zu hindern, darum geht es.
Ist dabei nicht vielmehr der Wunsch und nicht die Realität maßgebend? Die Wirklichkeit sieht so aus, dass die meisten Randalierer gar nicht identifiziert oder ihnen Straftaten nachgewiesen werden können, zu Verurteilungen kommt es selten.
Es ist Aufgabe der Justiz und der Polizei die Straftäter in jedem Einzelfall zu ermitteln und zu verurteilen. Und wenn die Sicherheitsbehörden eindeutige Erkenntnisse über bekannte Randalierer haben, gibt es durchaus auch rechtsstaatliche Möglichkeiten diese von Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen fernhalten zu können.
Und Sie sind sicher, dass ein bloßer Verdacht gegen einen potenziellen Krawallmacher rechtsstaatlich ausreicht, um solche Maßnahmen durchzusetzen?
Ganz wichtig ist selbstverständlich, dass wir dafür alle Regeln des Rechtsstaates einhalten. Genauso klar ist: Unsere Aufgabe ist alles zu tun, damit sich solche Gewaltexzesse wie in Hamburg nicht wiederholen können. Dazu gehört eben auch ein europaweit besserer Austausch über gewaltbereite Extremisten. Dann hätten die Behörden einen besseren Überblick über Gewalttäter.
Es gibt jetzt nicht wenige, die eine direkte Verbindung zwischen Linksautonomen und Gewalt ziehen. Ist diese Schlussfolgerung für Sie als Justizminister ebenfalls naheliegend?
Generell ausschließen lässt sich eine solche Verbindung nicht. Der Schritt vom Extremismus zur Gewalt ist leider klein. Die Kriminalitätsstatistik zeigt, dass wir insgesamt einen Höchststand an politisch motivierte Gewalttaten in Deutschland haben. Es ist ein beschämender Befund, dass die Hemmschwelle für extremistische Gewalt immer weiter sinkt. Der Anstieg der registrierten Gewalttaten ist absolut erschütternd. Dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung. Wenn politisch motivierte Gewalt ausgeübt wird, ist es mir als Justizminister zunächst einmal auch komplett egal, welches die vermeintlichen Motive dafür sein mögen.
Die autonome Szene war beispielsweise in Leipzig an den Anti-Legida-Demos beteiligt. Braucht man Autonome nicht auch - wie in diesem Fall - als Bollwerk gegen Rechts?
Nein. Wenn wir die autonome Szene gegen Rechts bräuchten, wäre das ein Armutszeugnis für unsere gesamte Zivilgesellschaft. Es kann doch niemand ein ernsthaftes Interesse daran haben, dass immer mehr Hass, Fremdenfeindlichkeit und Hetze grassiert. Dagegen etwas zu tun, ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Die große, nicht selten schweigende Mehrheit sieht Deutschland als tolerantes Land. Es muss mehr Momente geben, in denen diese Mehrheit ihr Schweigen bricht.
Interview: Jan Emendörfer, Mathias Wöbking, Andreas Debski