Hamburg. Soll niemand sagen, er sei nicht schon vorab gewarnt gewesen. Als Kanzlerin Angela Merkel am Sonnabendnachmittag die Beschlüsse des G-20-Gipfels vorstellt, zitiert sie sich zunächst einmal selbst. Kompromisse seien wichtig, „aber Dissens soll nicht übertüncht werden“, sagt Merkel vor der Presse. So hatte sie es auch schon in den Tagen vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer und der EU in Hamburg gesagt – und so kam es am Ende auch. Erstmals sind Meinungsverschiedenheiten im Kommuniqué der G 20 dokumentiert. Schwarz auf Weiß.
Der Kampf ums Klima war besonders zäh. Bis kurz vor Ende der Konferenz feilschten die Sherpas der Delegationen um Formulierungen. Klar war, dass die Amerikaner ihre Absage an das Pariser Klimaabkommen nicht zurücknehmen würden. Also galt es, die kohlefreundliche Position der USA in Einklang zu bringen mit dem Bekenntnis der übrigen 19 zur Abkehr von fossilen Brennstoffen. Im Abschlussdokument gelang dies in drei Absätzen: Im ersten bekennen sich alle dazu, dass ein „gesunder Planet“ und „eine starke Wirtschaft“ einander förderlich sind. Im zweiten stellen die Amerikaner heraus, dass sie aus dem globalen Klimaschutzabkommen aussteigen und anderen Ländern „helfen“ wollen, „fossile Brennstoffe sauberer und wirksamer zu nutzen“ – eine unverblümte Kampfansage an die Klimabeschlüsse von Paris, die ja auf eine klare Reduzierung des Treibhausgasausstoßes abzielen. Um diesen Satz wurde denn auch am härtesten gerungen. Am Ende hat ihn die „G 19“ nicht verhindern können. „Diese Position machen wir uns ausdrücklich nicht zu eigen“, sagt Merkel. Stattdessen bekräftigen die 19 im dritten Klimaabsatz, dass sie voll hinter dem Pariser Abkommen stehen, was Merkel als „alle gegen die Vereinigten Staaten von Amerika“ verstanden wissen will.
Doch nur wenige Minuten nach Merkels Pressekonferenz stört der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Bild von der Einheitsfront gegen die USA: Sein Land werde das Pariser Klimaabkommen nicht ratifizieren, sollte es nicht als Schwellen-, sondern als Industrieland eingestuft werden, schränkte Erdogan ein. Würde die Türkei als Industrieland angesehen, müsste sie in einen Entschädigungstopf einzahlen, statt Geld daraus zu erhalten. Dies habe ihm der frühere französische Präsident François Hollande versprochen, so Erdogan.
Doch das Klima war gar nicht mal das schwierigste Thema in den Gesprächen. Auf die Frage, was den Verhandlungsführern am meisten Schlaf geraubt habe, musste ein EU-Vertreter nicht lange grübeln: „der Handel“. Die „America first“-Politik von US-Präsident Donald Trump hat Abschottungstendenzen weltweit befeuert. Offene Märkte und freier Handel gelten vielerorts nicht mehr als Selbstverständlichkeit. Daher verbucht es die deutsche G-20-Präsidentschaft als Erfolg, dass sich die G 20 einmütig zur „Bekämpfung des Protektionismus“ bekannt hat. Auch die Bedeutung internationaler Wirtschaftsinstitutionen wie der Welthandelsorganisation und der OECD wird betont – dass derlei Selbstverständlichkeiten Einzug ins Kommuniqué finden, zeigt an, wie sehr die nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte multilaterale Ordnung ins Wanken geraten ist.
Zudem hat man sich auf den Einsatz „rechtmäßiger“ Abwehrinstrumente zur Verteidigung freier und fairer Wettbewerbsbedingungen verständigt. Wie allerdings aus Delegationskreisen zu hören war, unterscheidet sich die Auslegung dessen, was fairer, freier Handel bedeutet und welche Abwehrinstrumente als rechtmäßig erachtet werden, von Staat zu Staat mitunter stark.
Die mit Handelsfragen befassten Unterhändler hatten vor allem beim Thema Stahl Dissens zu überbrücken. Seit Langem wirft die EU China vor, mit seinen Überkapazitäten den Preis für Stahl auf dem Weltmarkt zu drücken – denselben Vorwurf erheben die Amerikaner gegenüber den Europäern. Zuletzt erwog die US-Administration sogar Importbeschränkungen und Strafzölle. Um einen Handelskrieg zu verhindern, hat die deutsche G-20-Präsidentschaft jetzt konkrete Maßnahmen ins Kommuniqué hineinverhandelt. Bis August 2017, so Merkel, sollten Informationen über die Stahlüberschüsse ausgetauscht werden, im November solle ein Bericht „mit konkreten politischen Lösungen“ vorgelegt werden. Die Kanzlerin gibt zu, dass der enge Zeitplan der amerikanischen Drohung geschuldet ist.
Auf einem anderen Kerngebiet der G 20, der Steuerung des Finanzsystems, fielen die Beschlüsse dürftig aus. Zwar wolle man „das System, das internationalen Kapitalströmen zugrunde liegt, weiterhin verbessern“. Doch wie genau das passieren soll, bleibt im Dunklen.
Enttäuscht zeigten sich EU-Vertreter über den Ausgang der Verhandlungen zur Steuerung von Migration. Die Zusagen zur Bekämpfung des Menschenschmuggels und -handels seien „vage“ ausgefallen, klagten EU-Unterhändler. Vor allem China und Russland wandten sich gegen eine Initiative der EU, UN-Sanktionen gegen Menschenschmuggler zu erwirken. Menschenrechtsorganisationen werfen beiden Staaten immer wieder vor, den Handel mit Menschen zur Sklavenarbeit und Prostitution in ihren Territorien zu dulden und teils auch zu fördern.