Ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit, ein beispielloser Verstoß gegen den Datenschutz: 32 Journalisten wurde beim G20-Gipfel nachträglich die Akkreditierung entzogen. Waren Hinweise von ausländischen Geheimdiensten der Grund?
Von Arnd Henze, ARD-Hauptstadtstudio
Es waren junge Bereitschaftspolizisten aus Niedersachsen, die am vorigen Samstag an den Kontrollpunkten vor dem Pressezentrum zum G20-Gipfel standen. Am Tag zuvor hatte man an dieser Stelle nur seinen Akkreditierungs-Ausweis vorzeigen müssen. Nun hielten die Beamten eine zweiseitige Liste in der Hand und winkten einen erst freundlich durch, wenn der eigene Name nicht darauf stand.
Das alles geschah so beiläufig, dass es auch kein Problem war, den Polizisten über die Schultern zu blicken und sich die alphabetisch sortierten Namen anzusehen. Man konnte die Liste auch ganz offen aus der Nähe filmen. Auf dem Drehmaterial des ARD-Hauptstadtstudios sind viele Namen gut lesbar. Dabei war den Beamten schon klar, dass es sich um eine Schwarze Liste von Journalisten handelt, denen gerade die Akkreditierung für den Gipfel entzogen wurde: "Da möchten Sie nicht draufstehen", meinte eine junge Beamtin zum ARD-Korrespondenten.
Für jeden Polizisten eine Kopie
Die beiden eng beschriebenen Seiten waren vielfach kopiert und offensichtlich in größerer Auflage verteilt worden - ob vom Bundespresseamt oder vom Bundeskriminalamt, ist noch ungeklärt. Jeder Polizist an den Kontrollpunkten besaß sein eigenes Exemplar. Die Beamten hatten nach eigener Auskunft weder Anweisung, sie diskret zu benutzen, noch sie nach Gebrauch überprüfbar zu entsorgen.
Dabei geht es um eine der brisantesten Listen, die je zusammengestellt wurde. Denn sie enthält die Namen von 32 Journalisten, die vom Bundeskriminalamt via Twitter pauschal als Sicherheitsrisiko stigmatisiert wurden. "Die Sicherheitsbehörden überprüfen, ob sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorliegen, die gegen eine Akkreditierung sprechen. (...) Das war in einigen Fällen gegeben." Immerhin müssen diese vermeintlichen Erkenntnisse so gravierend gewesen sein, dass sie einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf Pressefreiheit rechtfertigen würden.
Experte sieht lange Liste von Rechtsverstößen
Experten, die sich mit den Abläufen befasst haben, sind entsetzt: Etwas Vergleichbares sei ihm während seiner zehnjährigen Tätigkeit im Amt nicht bekannt geworden, erklärt der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio und wirft der Behörde von Regierungssprecher Steffen Seibert gleich eine ganze Liste von Rechtsverstößen und unerlaubten Eingriffen in Grundrechte vor. "Dem gesamten Akkreditierungsverfahren fehlt die verfassungsrechtlich gebotene Grundlage, wo es um die Sicherheitsüberprüfung von Journalisten geht"
Mit Blick auf den Umgang mit den Listen stellt Schaar fest: "Die ungeschützte Weitergabe und Verwendung der Listen ist ein schwerer Datenschutzverstoß."
Beauftragter rügt "Stigmatisierung der Betroffenen"
Auch ein Sprecher der Behörde, der Schaar zehn Jahre vorstand und die nun von Andrea Voßhof geleitet wird, nennt den Umgang mit den Schwarzen Listen gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio "datenschutzrechtlich bedenklich". Man habe umgehend eine Prüfung eingeleitet. Bundespresseamt und BKA seien bereits zu einer Stellungnahme aufgefordert worden.
Alarmiert zeigt sich der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar: "Sobald sich die Betroffenen namentlich auf entsprechenden Sperrlisten finden, die wie Handzettel quasi offen einsehbar kursieren, hat dies einen offen diskriminierenden Charakter," erklärte er gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Die Verantwortlichen seien verpflichtet gewesen, "technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die eine Stigmatisierung Betroffener verhindern."
Mehrere Anfragen zur datenschutzrechtlichen Bewertung der Schwarzen Listen hat das Bundespresseamt bisher nicht beantwortet. Regierungssprecher Seibert teilte gestern lediglich mit, neun Journalisten sei die Akkreditierungen abgenommen worden, 23 weitere hätten ebenfalls auf der Liste gestanden, wären aber nicht am Pressezentrum erschienen.
Betroffene im Unklaren
Dabei wissen bis heute nicht einmal die Betroffenen, warum sie plötzlich zum Sicherheitsrisiko erklärt wurden. Alle hatten spätestens zwei Wochen vor dem Gipfel die Akkreditierungsunterlagen eingereicht und wurden danach bereits einer intensiven Sicherheitsprüfung unterzogen.
Der Fotograf Rafael Heygster, der für den Bremer "Weser-Kurier" tätig ist, bekam anschließend sogar einen privilegierten Zugang für das Festkonzert in der Elbphilharmonie, ein anderer Fotograf durfte bei der Ankunft von Donald Trump mit auf das Rollfeld vom Flughafen. In beiden Fällen ist deshalb davon auszugehen, dass auch die US-Behörden einen strengen Blick auf die Bewerbungen geworfen haben. Im Fall von Heygster hat der "Weser-Kurier" sofort einen Anwalt eingeschaltet und Beschwerde eingelegt.
Kamen die neuen Erkenntnisse aus der Türkei?
Auch Chris Grodotzki von "Spiegel Online" und Björn Kietzmann von der Fotoagentur ActionPress wurden vom Bundespressamt lediglich mit einem Formschreiben an das BKA verwiesen. Dass sie aber beide auf der Schwarzen Liste auftauchen, ist zumindest auffällig. Denn beide waren im Oktober 2014 kurzzeitig in der Türkei festgenommen worden, als sie die Gefechte um die syrische Grenzstadt Kobane fotografiert hatten.
Für die weitere Berichterstattung der beiden Bildjournalisten war dieser Vorfall in Deutschland danach nie ein Problem: Kietzmann hatte bis Ende 2016 zum Beispiel eine Jahresakkreditierung vom Bundespresseamt. Damit steht nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Experten der Verdacht im Raum, dass die vermeintlich "neuen" Erkenntnisse gar nicht vom BKA, sondern vom türkischen Geheimdienst kamen.
"Es wäre ungeheuerlich, wenn die Daten über Journalisten an Nachrichtendienste autoritärer Regime übermittelt worden wären", meint Schaar. "Völlig inakzeptabel wäre es auch, wenn Journalisten von der Gipfelberichterstattung allein auf Grund der Wünsche derartiger Regierungen ausgeschlossen worden wären." Der Sprecher der Bundesbeauftragten kündigte an, dass man genau prüfen wolle, woher die geltend gemachten Erkenntnisse des BKA stammten.
Angst, dass Listen in falsche Hände gelangen
Den Datenschützern ist bewusst, welche gravierenden Folgen sich für die Betroffenen daraus ergeben können, dass ihnen in Hamburg der Makel des Sicherheitsrisikos angeheftet und dies über Schwarze Listen breit gestreut worden war. Heygster steht zum Beispiel noch am Anfang seiner beruflichen Karriere: "Ich mache mir schon Sorgen, in welchen Dateien mein Name jetzt zukünftig auftauchen wird. Und natürlich kann das auch bedeuten, dass mir das bei möglichen Arbeitgebern Nachteile bringt."
Auch deshalb drängt er auf eine schnelle Klärung und Rehabilitierung. Schaar hält die Verstöße gegen den Datenschutz dabei für so gravierend, dass er selbst Schadensersatzforderungen gegenüber der Bundesregierung für aussichtsreich hält.