Der G20-Einsatzleiter will Verständnis wecken für seine Taktik. Doch seine Darstellung weckt Zweifel. Hat er die Lage falsch bewertet?
Von Frank Jansen
Alle wirken bedrückt, nur einer nicht. Hartmut Dudde, Einsatzleiter der Polizei während des G-20-Gipfels in Hamburg, redet am Sonntag munter über die wüsten Tage. „Man zieht sich um, die Bekleidung wird gewechselt, man macht sich wieder hübsch“, sagt Dudde, als er bei der großen Pressekonferenz des Senats zum Verhalten der Polizei an der Reihe ist.
Der Einsatzleiter redet über die schweren Ausschreitungen der Autonomen im Schanzenviertel, die launigen Worte fallen bei der Erläuterung eines Polizeivideos zu Personen auf einem Hausdach. Beamte hatten Freitagabend aus einem Hubschrauber mit einer Wärmebildkamera Randalierer gefilmt. Zu sehen ist, wie sie von dem Gebäude an der Einfahrt zur Straße Schulterblatt eine Brandflasche sowie mutmaßlich Gehwegplatten werfen, etwas später wird der Dress ausgetauscht. Offenbar, um nicht wiedererkannt zu werden. Für Dudde eine zentrale Sequenz der Krawallnacht.
Nicht nur wegen der Textilien. Der Einsatzleiter versucht, Kritik an der Taktik der Polizei während der Gewaltorgie zu erklären. Und Kritik zu entkräften. Über Hamburg hinaus gilt die stundenlange Passivität der Polizei als Desaster.
Die Gewalttäter auf dem Dach sind aus Duddes Sicht ein wichtiges Argument für die Zurückhaltung der Einsatzkräfte, als im Schulterblatt die Barrikaden brannten und Geschäfte geplündert wurden. „Es machte für uns keinen Sinn, in eine Falle zu tappen“, sagt der Leitende Polizeidirektor. Für ihn war es, so stellt er es jedenfalls dar, zu gefährlich, Wasserwerfer, Räumpanzer und Bereitschaftspolizisten an dem Eckhaus vorbei ins Schulterblatt zu schicken.
Und Dudde betont, die Täter seien auch mit Zwillen bewaffnet gewesen. Wie gefährlich die sind, illustriert er mit einer Stahlkugel, „die wir aus einem Wasserwerfer gepuhlt haben“, gleich in der Nähe der Randalierer auf dem Dach. Es bleibt allerdings offen, ob die Kugel von dem Hausdach geflogen kam. Wie auch immer – laut Dudde musste erst ein Spezialeinsatzkommando geholt werden, um das Dach von den Gewalttätern zu räumen. Was dann auch geschah. Vorher wäre ein Vorrücken ins Schulterblatt, glaubt man Dudde, zu riskant gewesen.
Was der Einsatzleiter nicht erklären kann
Diese Version weckt Zweifel. Das SEK rannte erst gegen 23.40 Uhr zum Eckhaus. Der Tagesspiegel sah, wie die Elitepolizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag heranstürmten. Zu dem Zeitpunkt tobten sich Autonome und Krawalltouristen schon fast vier Stunden im Schulterblatt aus. Waren die Dachbesetzer auch schon so lange aktiv?
Und: Die reichlich vorhandenen Einsatzkräfte, mindestens sieben Wasserwerfer, zwei Räumpanzer und hunderte Polizisten im Kampfdress, hatten eine andere Option, ins Schulterblatt zu kommen. Anstatt die südliche Einfahrt beim gefährlichen Eckhaus zu nehmen, wäre ein Vorstoß von Norden aus möglich gewesen. Am dortigen Ende der etwa eineinhalb Kilometer langen Krawallzone brannte keine Barrikade. Auch von bewaffneten Tätern auf einem Dach ist keine Rede.
Fraglich bleibt zudem, warum die Polizei erst zeitaufwendig ein SEK herbeischaffen musste. Das Schulterblatt ist als Hochburg der Autonomen bekannt. Hier steht ihr Tempel, die „Rote Flora“. Das ehemalige Theater ist seit 1989 von Linksradikalen besetzt. Das Areal war schon mehrfach Schauplatz von Krawallen. Außerdem hatte die Hamburger Polizei bereits im April in einem Lagebild das Schreckensszenario skizziert, zum G20-Gipfel kämen bis zu 8000 militante Linksextremisten aus dem In- und Ausland.
War es da nicht naheliegend, während der Gipfeltage mindestens einen Hubschrauber mit einem SEK für einen schnellen Einsatz vorrätig zu halten? An Helikoptern mangelte es nicht, wie die ganze Woche am Himmel über Hamburg zu sehen war. Oder war kein SEK verfügbar, weil alle Spezialeinheiten für den Schutz der Regierungs- und Staatschefs eingespannt waren, die Freitagabend in der Elbphilharmonie ein Sonderkonzert genossen?
Wenige Gewalttäter als unüberwindbares Hindernis
Duddes Erklärung zielt jedenfalls darauf ab, Verständnis zu wecken für eine Polizeiführung, die um Leib und Leben der Kollegen auf der Straße besorgt war. Doch wie plausibel ist eine Argumentation, in der wenige Gewalttäter auf einem Dach als fast unüberwindbares Hindernis gelten für einen Einsatz gegen zahllose Chaoten, die auf der Straße toben? Dudde kann auch am Sonntag nicht den Verdacht ausräumen, die Polizei habe die Lage schlicht falsch bewertet.
Das gilt auch für die Demonstration der Autonomen am Donnerstagabend. Dudde zeigt während der Pressekonferenz ein weiteres Video, in dem der schwarze Block beim Aufzug „Welcome to Hell“ zu sehen ist. Kurz nach Beginn der Demonstration am Fischmarkt. Der Film zeigt Schwarzjacken, die Gesichter sind mit Kapuzen, Sonnenbrillen und vereinzelt auch Sturmhauben eingepackt. Die Autonomen rufen wütend Parolen, weil die Polizei die Demo schon nach 150 Metern gestoppt hat. Dudde will mit den Bildern beweisen, dass der schwarze Block gegen das Vermummungsverbot verstieß und aufgehalten werden musste.
Ob das zwingend war, ist zweifelhaft. Die Autonomen waren szenetypisch gekleidet, aber nicht gewalttätig. Dennoch ließ Dudde die Wasserwerfer kräftig zischen. Der schwarze Block zersprang. Aber viele Autonome erkletterten die nicht allzu hohe Flutschutzmauer an der südlichen Straßenseite und liefen weg. „Das war nicht geplant“, sagt Dudde am Sonntag. Und es klingt denn auch nicht nach einem durchdachten und gelungenen Polizeieinsatz.
Scholz lenkt ab
Bürgermeister Olaf Scholz versucht bei der Pressekonferenz, die Verwaltungsgerichte mit in die Verantwortung für die schlimme Woche zu ziehen. Bei der Verhinderung von Protestcamps der Linksradikalen sei die Polizei weit gekommen, „aber nicht weit genug“. Scholz spielt auf Richtersprüche gegen das Verbot des Übernachtens in Zeltlagern an. Soll heißen: Gewalttäter konnten sich doch in Camps sammeln. Dass sie viel kleiner waren, als von Linken geplant, hat für Scholz offenbar wenig Bedeutung.