"Seit 28 Jahren ist die Flora infiltriert"

Erstveröffentlicht: 
21.06.2017
Drei verdeckte Ermittlerinnen sind zuletzt in der linksautonomen Roten Flora aufgeflogen. Eine von ihnen hatte gegen einen Aktivisten geklagt – und  zurückgezogen. Warum? Interview: Annabel Trautwein

 

Andreas Blechschjamidt ist Aktivist im Hamburger linksautonomen Zentrum Rote Flora. Eine der seit Herbst 2015 enttarnten drei Ermittlerinnen des Hamburger Landeskriminalamts hatte ihn wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte verklagt. Doch der Prozesstermin ist inzwischen geplatzt.

 

ZEIT ONLINE: In dem Prozess gegen Sie wäre es um eine Sache gegangen, die erstmal recht ungewöhnlich klingt. Da ist die Rede von einem Einsatz, bei dem Polizisten ausrückten und nachts Plakate an der Roten Flora übermalten. Sie hatten die aufgehängt?

 

Andreas Blechschmidt: Im August 2016 hatten wir an der Flora zwei große Plakate angebracht, die der Polizei-Werbekampagne nachempfunden waren: "Gesucht – gefunden". Darauf haben wir die verfremdeten Porträts von vier verdeckten Ermittlern des Hamburger LKA mit deren vollständigen bürgerlichen Namen gezeigt. Wenige Tage später hat die Polizei das Plakat übermalt. Zudem hatte man mich beim Anbringen des Plakats erkannt. Zwei der verdeckten Ermittlerinnen, Astrid O. und Maria B., haben dann eine Strafanzeige gegen mich erstattet, weil sie ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sahen.

 

ZEIT ONLINE: Können Sie das nachvollziehen?

 

Blechschmidt: Ich finde das einigermaßen sportlich, weil ja gerade die verdeckten Ermittlerinnen in langjährigen Einsätzen die Persönlichkeitsrechte mehrerer Menschen in einem viel größeren Ausmaß verletzt haben. Maria B. ist sogar intime Beziehungen eingegangen – das hat eine Tiefe von Rechtsverletzungen, die wir schon enorm finden.

 

ZEIT ONLINE: Was wollten Sie mit der Plakataktion bezwecken?

 

Blechschmidt: Wir wollten darauf hinweisen, dass die Hintergründe und Umstände dieser Einsätze keineswegs aufgearbeitet sind. In zwei Fällen hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass sie rechtswidrig waren. In einem dritten Fall läuft die Feststellungsklage.

 

ZEIT ONLINE: Zum Prozesstermin im Fall der Klage von Astrid O. gegen Sie hatte die Flora öffentlich eingeladen. Warum?

 

Blechschmidt: Es ist erstaunlich, dass Astrid O. die Klage anfangs aufrechterhalten hat, weil damit klar war, dass sie als Zeugin und Anzeigeerstatterin persönlich vor Gericht erscheinen muss. Der Prozess wäre für uns eine hervorragende Gelegenheit gewesen, die aus unserer Sicht völlig mangelhafte Aufklärung der Ermittlungsfälle voranzutreiben.

 

ZEIT ONLINE: Der Prozess ist jetzt abgesagt. Enttäuscht?

 

Blechschmidt: Ja, tatsächlich. Astrid O. hat am vergangenen Donnerstag – eine Woche vor dem Prozesstermin – ihre Anzeige zurückgezogen. Damit entfällt die Möglichkeit einer Strafverfolgung.

 

ZEIT ONLINE: Hatten Sie denn auch persönlich Kontakt zu Astrid O.?

 

Blechschmidt: Ja, sehr intensiv sogar, zumal wir gemeinsam im Plenum der Roten Flora Politik gemacht haben. Wir waren zwar nicht eng befreundet, aber sehr gut bekannt. Auf einem Festival haben wir eine Woche lang in einer Arbeitscrew zusammen gearbeitet, zusammen gezeltet – das war ein sehr naher Kontakt. Ich habe mit ihr auch mal ein internes Flugblatt zum Umgang mit den Auseinandersetzungen beim Schanzenfest geschrieben. Da gab es schon ein starkes dienstliches Interesse. Ich war definitiv in ihrem Fokus. 

 

"Wir haben das Ausmaß unterschätzt"


 

ZEIT ONLINE: Was war es für ein Gefühl, als herauskam, dass sie verdeckt ermittelte?

 

Blechschmidt: Ich habe das schon fast mit innerlichem Schulterzucken zur Kenntnis genommen – da bin ich aber sicher nicht repräsentativ. Gegen Astrid O. gab schon während ihrer aktiven Zeit einen Verdacht, der ist nicht ganz geklärt worden ist. Als sie dann ausstieg, ähnelte ihre Legende jedoch sehr denen von verdeckten Ermittlerinnen, die wir schon vorher auf dem Schirm hatten. Wir haben dann recherchiert und herausgefunden, dass es Astrid Schütt, wie sie sich nannte, nicht gibt, sondern dass wir es mit Astrid O. zu tun hatten, die übrigens nach wie vor bei der Polizei arbeitet – sinnigerweise im Betrugsdezernat.

 

ZEIT ONLINE: Was hat sich im Flora-Kollektiv verändert, nachdem innerhalb von anderthalb Jahren drei verdeckte Ermittlerinnen aufgeflogen sind?

 

Blechschmidt: Gar nicht so viel – verdeckte Ermittlerinnen hatten wir schon gleich nach der Besetzung 1990 im Projekt. Insofern wussten wir, dass die Polizei solche Mittel einsetzt. Durch die Enttarnungen der vergangenen Jahre hat sich aber gezeigt, dass wir das Ausmaß unterschätzt haben. Wir gehen heute davon aus, dass die Flora 28 Jahre lang ohne größere Lücken von verdeckten Ermittlern infiltriert gewesen ist. Insofern ist es schon fast ein Running Gag zu sagen: Mal gucken, wer der nächste ist.

 

ZEIT ONLINE: Auch wenn die verdeckten Ermittlungen in mindestens zwei Fällen rechtswidrig sind, bleiben juristische Fragen offen. Wie sollen die geklärt werden?

 

Blechschmidt: Die werden gar nicht geklärt. Im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung der Rechtswidrigkeit wäre die Polizei zwar eigentlich angehalten, die Akten zu öffnen, ihr Rechtsverständnis, den Anlass für die Ermittlungen und die Einsatzpraktiken konkret darzulegen. Das hat sie dadurch verhindert, dass sie gesagt hat: Wir erkennen an, dass das rechtswidrig war. Ein Satz, damit ist der Prozess fertig. Das ist juristisch möglich und andere Wege der Aufarbeitung gibt es derzeit nicht. Dazu müsste es den politischen Willen im Senat und in der Innenbehörde geben, sicherzustellen, dass das Handeln der Polizei für Betroffene überprüfbar sein muss.