Eine Schlägerei wegen zu lauter Musik, verletzte Nachbarn und Proteste vor einem Wohnhaus mit Flüchtlingen - ein zunächst harmloser Streit in der Wurzener Innenstadt ist völlig eskaliert. Nun muss sich die Stadt die Frage gefallen lassen, wie ausländerfeindlich ihre Bewohner sind. Polizei und Opferberatung sind besorgt, die Stadt beschwichtigt.
Grölende Menschen vor einem Haus mit Asylbewerbern, Polizisten in Vollmontur – wieder einmal geistert ein Video durch die sozialen Netzwerke. Aufgenommen wurde es in Wurzen am vergangenen Freitag. Darauf zu sehen sind Dutzende Menschen, meist Männer, die sich lautstark beschweren. Es kommt zu Handgreiflichkeiten mit den Polizeibeamten.
Flüchtlinge beginnen Schlägerei wegen zu lauter Musik
Am Freitag vergangener Woche hatten sich rund 60 Menschen in der
Wurzener Innenstadt versammelt, nachdem sie sich über Facebook zu einer
Spontan-Demonstration verabredet hatten. Grund für die Zusammenkunft war
wohl ein Vorfall am Pfingstmontag: Nach Angaben der Polizei hatten vier
junge Männer aus Eritrea und ein Jugendlicher aus Mosambik nachts in
ihrer Wohnung laut Musik gehört. Einige Nachbarn beschwerten sich; die
Situation eskalierte.
Das bestätigte auch Polizeisprecher Uwe
Voigt: "Es wurde versucht, mit den Leuten zu reden, dass sie die
Nachtruhe bitte einhalten sollen. Es sind aber solche Worte gefallen wie
'Das ist unsere Straße. Wir können machen, was wir wollen.' Das hat
natürlich die Anwoher auf die Palme gebracht." Bei einer Schlägerei, die
von den jungen Flüchtlingen ausgegangen sein soll, wurden zwei Nachbarn
verletzt. Die fünf jungen Männer wurden vorläufig festgenommen. Gegen
sie wird jetzt wegen Körperverletzung ermittelt.
Gruppe rief "Deutschland den Deutschen!"
Ein Vorfall, der in Wurzen hohe Wellen schlug und vor allem Asylgegner auf den Plan rief. Nach Angaben von Polizeisprecher Uwe Voigt war die Versammlung am Freitag aber nicht angemeldet: "Uns wurde durch verschiedene Informationswege und Bürger bekannt, dass sich Anwohner aus Wurzen auf dem Markt am Abend treffen wollen. Sie wollten zeigen, wer ihre Straßen beherrscht." Ab 20 Uhr füllte sich der Marktplatz in Wurzen tatsächlich. Der Polizei zufolge waren bei der Versammlung auch Menschen, die "Ausländer raus!"-Rufe skandierten und verfassungsfeindliche Symbole verwendeten. Als sich die Gruppe vor dem Wohnhaus der Flüchtlinge einfand, verhängten die Beamten Platzverweise.
Polizeisprecher Voigt zufolge hätte es ohne den Polizeieinsatz zu gewalttätigen Übergriffen kommen können: "Die wollten ran an die Leute. Die wussten, wo das Objekt ist. Diese Gruppe war stark alkoholisiert und sehr aggressiv." Die Bilanz des Abends: Zwei Demonstranten wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen, gegen mehrere Teilnehmer wurde Anzeige erstattet. Seit dem Zwischenfall muss Wurzen sich wieder die Frage gefallen lassen, wie fremdenfeindlich die Bewohner der Stadt sind. Schließlich ist es nicht der erste Vorfall dieser Art: Erst im Januar war eine Flüchtlings-WG angegriffen worden und im Dezember 2015 hatte es eine Attacke auf Flüchtlingskinder gegeben.
Opferberatung und Polizei: Wurzen ist ein Brennpunkt
Laut Polizeisprecher Voigt ist Wurzen ein Brennpunkt in Sachen Ausländerfeindlichkeit: "Wir kehren hier nichts unter den Teppich. Das Polizeirevier Grimma hat auch viel getan zusammen mit der Stadt Wurzen aber auch mit dem Landkreis Leipzig, um hier verschiedene Vereine anzusprechen und dagegen zu halten."
Aus Sicht von Lena Nowak von der Opferberatung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt ist Wurzen gerade in den letzten eineinhalb Jahren wieder zu einer Schwerpunktregion geworden: "Wir bemerken ganz deutlich, dass es immer wieder Angriffe gibt. Vor allem gegen Menschen die dort untergebracht sind, weil sie nach Deutschland geflüchtet sind. Das Besondere in Wurzen ist aus meiner Sicht, dass die Übergriffe nicht in der normalen Öffentlichkeit stattfinden, sondern im direkten Wohnumfeld der Betroffenen."
Opfer von Übergriffen hätten deshalb immer wieder Angst vor erneuten Angriffen. Und die seien nicht ungewöhnlich. Die Opferberatung kümmere sich deshalb auch immer öfter darum, Angriffe auf die Geflüchteten schon vorher zu verhindern. Beraterin Nowak meint, "die Situation in Wurzen hat schon ein relatives hohes Eskalationsniveau. Betroffene berichten uns, dass sie im Alltag rassistisch angefeindet, angegriffen und bespuckt werden. Das ist ein alltägliches Problem."
Stadt und Oberbürgermeister beschwichtigen
Wurzens Oberbürgermeister Jörg Röglin sieht darin ausschließlich eine Wahrnehmung der Opferberatung: "Natürlich kennen wir Vorfälle. Es ist aber nicht so, dass wir sowas jeden Tag haben. Wir nehmen das sehr ernst. Es gibt auch viele Menschen in Wurzen, die den Flüchtlingen aufgeschlossen gegenüber stehen. Wir haben die Wahrnehmung, dass es auch viele von außerhalb waren, die in diese Aktion eingebunden waren."
Auch auf der Facebook-Seite der Stadt Wurzen heißt es: "Nicht selten hat sich in den Nachbarschaften zwischen Asylbewerbern und Wurzenern eine Art Patenschaft entwickelt, in der Wurzener die Asylbewerber unterstützen, bei Behördengängen helfen und so die Integration fördern. Überwiegend lösten sich anfängliche Bedenken gegenüber der dezentralen Unterbringung der Asylbewerber auf, sobald der Kontakt zueinander geknüpft war. Schwierigkeiten - sei es Lärm oder die vielmals problematische Nutzung der Mülltonnen - wurden miteinander gelöst. Darauf sollten wir Wurzener stolz sein und diese Entwicklung und die überwiegend positive Wahrnehmung unserer Stadt nicht durch ein Ereignis wieder zunichtemachen."