G20-Gegner haben Bahnverkehr mit Brand- und Sprengsätzen lahmgelegt. Strecke zwischen Hamburg und Lübeck weiter mit Einschränkungen.
Von André Zand-Vakili
Hamburg. So richtig überrascht ist die Polizei nicht von den aktuellen Anschlägen auf Bahnstrecken im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel. "Wir haben mit solchen Taten gerechnet. Sie entsprachen der Einschätzung des Staatsschutzes und den Ankündigungen aus der Szene", sagt Polizeisprecher Timo Zill.
Ursprünglich war bereits seit dem Monat Mai, der von der militanten Szene zum "Aktionsmonat" erklärt wurde, mit Anschlägen gerechnet worden. Diese hatten aber lediglich in begrenztem Umfang stattgefunden. Zwar registrierte der Staatsschutz innerhalb eines Jahres bis Ende Mai 239 Straftaten im Zusammenhang mit G20, davon 152 in Hamburg. Die Masse waren aber eher unspektakuläre politische Graffiti. Lediglich 25 der Taten, davon 14 außerhalb der Stadt, wurden als schwerwiegender eingestuft. Außerhalb Hamburgs wurden die meisten von ihnen in Berlin und Leipzig verübt.
"Ruhiger Monat Mai" beruhe auf Taktik
In der Hansestadt hatten zwei Taten für Aufsehen gesorgt. Am 26. November vergangenen Jahres steckten rund 50 Personen einen Zugang zu den Messehallen, dem Veranstaltungsort des G20-Gipfels, an. An der Grundstraße in Eimsbüttel wurden am 27. März mehrere an der Außenstelle der Wache abgestellte Polizeifahrzeuge in Brand gesetzt. Danach kam es in Hamburg bis Ende Mai lediglich zu drei weiteren nennenswerten Taten.
Polizeiintern wertete man den unerwartet "ruhigen" Aktionsmonat Mai als Taktik der Szene in Hinblick auf die gerichtlichen Auseinandersetzungen um Demo- und Campverbote. Tatsächlich rechnet man mit umfangreichen Zwischenfällen. "Im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel ist von dem innerstädtisch bundesweit größten demonstrativen und durch andere Aktionen und Gewalttätigkeiten begleiteten Ereignis in den letzten Jahrzehnten auszugehen", heißt es in der Einschätzung des Staatsschutzes, der für die politisch motivierten Straftaten im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel die Sonderkommission 171 eingerichtet hat. Sie ermittelt bei den aktuellen Anschlägen auf Bahnstrecken wegen Sachbeschädigung durch Brandstiftung und gefährlichen Eingriffen in den Bahnverkehr.
Ermittlern fehlt guter Einblick in die linke Szene
Die jetzige Aktion scheint bundesweit gut koordiniert. Das offenbart auch ein Problem der Sicherheitsbehörden. Bislang hatte man die Erfolglosigkeit bei der Identifizierung von Tätern mit "Kleinstgruppen" begründet, die wie eine abgeschottete Zelle autonom agieren. Jetzt hat man Anschläge hinnehmen müssen, die nur durch vorherige überregionale Planungen und Kontaktaufnahmen möglich waren. Hier wird deutlich, wie wenig Einblick Sicherheitsbehörden offenbar in die Szene haben. Verschärft wurde gerade in Hamburg die Situation durch die Enttarnung mehrerer verdeckter Ermittler. Das hatte auch politisch für Streit gesorgt, teilweise wurde die Polizeiarbeit als "zwielichtig" diskreditiert.
"Aktuell haben wir keinen guten Einblick in die Szene. Man muss sich mehr auf die Auswertung von Internetbeiträgen und ähnlichen Ansätzen konzentrieren ", so ein Beamter. "Unser Ansatz ist, Festnahmen auf frischer Tat zu tätigen", sagt Polizeisprecher Zill. Über genaue Konzepte gibt die Polizei keine Auskunft. Sicher ist, dass auch im großen Stil Zivilfahnder eingesetzt werden, um mögliche Ziele weiterer vergleichbarer Taten zu überwachen.
Der Anschlag in Hamburg, der im Abschnitt zwischen Rahlstedt und Ahrensburg stattfand, hatte vor allem Pendler betroffen. Das hat in der Szene nicht nur Zustimmung gefunden. In den einschlägigen Foren wurden die Täter als "ein Haufen Kinder bürgerlicher Eltern, die mal ein Abenteuer erleben wollten" bezeichnet. Die Stadt lahmzulegen, ist den Tätern nicht gelungen. Im morgendlichen Berufsverkehr, so hieß es aus der Verkehrsleitzentrale der Polizei, sei kein "signifikant höheres Aufkommen" festgestellt worden.
Nach Brandanschlägen noch Verzögerungen möglich
In Hamburg und Schleswig-Holstein fallen noch die Regionalzüge der Linie RE80 zwischen dem Hamburger Hauptbahnhof und Lübeck aus, wie die Bahn am frühen Dienstagmorgen mitteilte. Die Züge der Linie RE81 zwischen Hamburg und Ahrensburg verkehren nur bis Hamburg Rahlstedt. Auf der restlichen Strecke verkehren Busse.
Bundesweit habe sich der Zugverkehr aber weitgehend normalisiert, wie die Deutsche Bahn am Dienstagmorgen mitteilte. Einzelne Züge könnten jedoch verspätet fahren, weil noch kleinere Störungen zu beheben seien, sagte ein Bahnsprecher in Berlin. Die Reparaturarbeiten seien noch nicht vollständig abgeschlossen.