Der polizeiliche Staatschutz in Göttingen soll über Jahre unzulässig Daten von mutmaßlichen linken Aktivisten gesammelt haben. Jetzt haben Betroffene Klage eingereicht. Im Fachkommissariat für Staatsschutzdelikte und politisch motivierte Straftaten der Polizeiinspektion Göttingen sollen nach SPIEGEL-Informationen über ein Jahrzehnt illegal Daten erhoben worden sein. Bis mindestens 2015 sollen Beamte von mutmaßlichen Angehörigen der linken Szene in der Studentenstadt unzulässige Fotos angefertigt sowie Informationen über Arbeitgeber, Konfession, Gruppenzugehörigkeit und Social-Media-Profile in Papierakten zusammengetragen und archiviert haben. Die Informationen sollen in mindestens fünf Aktenordnern zusammengefasst sein.
Die genaue Zahl der Betroffenen ist noch nicht ermittelt, die Gesamtzahl der Einzelprofile soll sich im dreistelligen Bereich bewegen. Offenbar konnte es schon ausreichen, an Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche teilzunehmen, um in den Fokus des Staatsschutzes zu geraten. Unter den Betroffenen sind auch Mitglieder und Aktive demokratischer Parteiorganisationen wie der Grünen Jugend.
Am Mittwoch haben die ersten acht Betroffenen beim Verwaltungsgericht Göttingen Klage erhoben. Sie fordern die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung und umfängliche Akteneinsicht. Die Polizei darf nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nur bei Vorliegen einer Gefahr Daten erheben. Die präventive Datensammlung ohne Anlass ist ihr nicht erlaubt.
Der zuständigen Polizeidirektion lag die Klage am Donnerstag noch nicht vor, das Verwaltungsgericht bestätigte dem SPIEGEL den Eingang.
Im Zusammenhang mit den Vorgängen steht derzeit ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Göttingen. Gegen einen pensionierten Staatsschutzbeamten laufen Ermittlungen wegen versuchter Erpressung. Ihm wird vorgeworfen, vor seiner Pensionierung Unterlagen aus der Polizei mitgenommen zu haben, um diese "als Druckmittel gegenüber der Polizeibehörde bzw. dem Niedersächsischen Innenministerium für eine ihm an sich nicht zustehende Beförderung zu verwenden".
Der Vorwurf der Erpressung sei laut Aktenlage "blanker Unsinn", sagt Rechtsanwalt Sven Adam, der den Beamten und die Kläger vor dem Verwaltungsgericht vertritt. Sein Mandant habe jahrelang intern erfolglos gegen die Datensammlung protestiert. "Dieses Ermittlungsverfahren wird nach einem genaueren Blick der Staatsanwaltschaft sehr schnell eingestellt werden. Dem Verfahren ist es aber zu verdanken, dass die Datensammlung überhaupt bekannt wurde."
In Göttingen gab es bereits in der Vergangenheit widerrechtliche Datenerhebungen. In den Achtzigerjahren sammelte die Polizei in sogenannten Spurendokumentationsdateien Informationen über die linke Szene der Stadt. Nach Bekanntwerden der Vorgänge und Auseinandersetzungen im Landtag wurden die Daten damals gelöscht.