Dem besetzten Stadtteil Errekaleor in der baskischen Hauptstadt Gasteiz wurde der Strom abgeschnitten. Nun setzen die Bewohner*innen auf erneuerbare Energie, um sich selbst zu versorgen. Dazu wurde eine Spendenkampagne gestartet zur Anschaffung der notwendigen Solarzellen. Gleichzeitig heizen die bürgerlichen Parteien im Stadtrat die Stimmung an, bezeichnen die Besetzer*innen als „gewalttätig“ und setzen alles daran, die Häuser abreißen zu lassen. Ein weiterer Konflikt scheint vorprogrammiert.
Die Rede ist von Errekaleor (baskisch: trockener Fluss), einem kleinen Stadtteil im Süden der baskischen Hauptstadt Gasteiz (spanisch: Vitoria). Das Viertel besteht aus mehreren Häuserbocks, die das franquistische Regime in den 50er Jahren im Rahmen einer massiven Industrialisierung der Stadt für zuwandernde Arbeiter*innen aus anderen spanischen Regionen bauen ließ. Seit Jahren plant die Stadtverwaltung den Abriss der Gebäude und hat dafür die bisherigen Bewohner*innen nach und nach umgesiedelt. Offizieller Plan der Verwaltung ist, die alten Blocks abreißen zu lassen und dort „ökologische Gärten“ anzulegen. Ausgerechnet ökologische Gärten!
Die Umsiedlungen waren noch nicht abgeschlossen, als vor vier Jahren neue Bewohner*innen vorstellig wurden und die leerstehenden Gebäude in Form einer Besetzung einer neuen Nutzung zuführten. Heute leben in Errekaleor 150 Personen, die sich in Versammlungen selbst organisieren, die ökologischen Anbau betreiben und das größte selbstverwaltete Barrio des Staates darstellen. Als sie Mitte Mai 2017 per Polizeieinsatz von der Stromversorgung abgeschnitten wurden, hatten sie bereits einen alternativen Plan entwickelt: Anfang Juni wurde eine Kampagne gestartet, über die 550 Solarzellen angeschafft werden sollen, die wieder Licht in das ehemalige Arbeiter*innen-Viertel bringen sollen. Dagegen wettern die baskischen Christdemokraten, die sozialdemokratischen Koalitionspartner von der sozialdemokratischen PSOE (die zusammen die Stadtregierung stellen) und die rechte Volkspartei PP, die per se gegen jegliche Idee von Selbstverwaltung ist.
Alternative Energie
Es reicht aus, einen Blick in die Bibliothek des Errekaleor-Viertels zu werfen, um festzustellen, dass die Häuser nach wie vor beleuchtet sind: eine Woche, nachdem Techniker von Iberdrola (geschützt von einem massiven Polizeiaufgebot der baskischen Ertzaintza) die Stromkabel herausrissen und das Licht abschnitten. Doch hatte das Kulturzentrum bereits an Alternativen gedacht, an erneuerbare Energien. Dies wurde vom Kollektiv „Errekaleor Bizirik“ (baskisch: Errekaleor lebt) im Twitter-Account bestätigt. Publiziert wurden erste Hinweise auf die Zukunft der Energieversorgung, an der gearbeitet wird. „Der erste nachhaltige Tweet! Wir haben die ersten Solar-Zellen installiert. Mit deiner Hilfe können es viele mehr werden“, so die Ankündigung des Kollektivs.
Die spanische Online-Tageszeitung Publico wurde von Errekaleor-Sprecher*innen informiert (1), die Spenden-Kampagne wurde offiziell am 3. Juni vorgestellt, im Rahmen einer Demonstration zugunsten dieses selbstverwalteten Hausprojekts in der Hauptstadt der Provinz Araba (spanisch: Alava). Zu dieser Demonstration kamen trotz Regen 10.000 Personen, die meisten aus der Stadt selbst und aus der Provinz, viele aber auch aus anderen baskischen Regionen. Zusammen machten sie die Bereitschaft deutlich, dieses Projekt zu unterstützen und zu verteidigen.
Ziel der Spenden-Kampgane ist, ausreichend Geld zu sammeln, um 550 Solarmodule zu kaufen, die den Energiebedarf der Nachbarschaft decken können. Dazu wurde am Tag der Demonstration eine Crowdfunding-Kampagne bekannt gegeben, die 40 Tage dauern wird. In diesem Zeitraum soll versucht werden, die Mittel für die Anschaffung zusammenzubringen, um komplett auf alternative Energie umzustellen. Um welchen Betrag es sich dabei handelt wurde bisher nicht verraten. Wenn die Erwartungen erfüllt werden, wäre Errekaleor der erste vollständig selbstverwaltete und mit Energie selbstversorgte Stadtteil des spanischen Staates.
Konflikt um Lebensmodelle
Allerdings liegt die Zukunft des Viertels nicht allein in den Händen der potentiellen Spender und Spenderinnen. Nach dem Polizeieinsatz Mitte Mai (bei dem es zu drei Verhaftungen kam), hat der Bürgermeister der Stadt, Gorka Urtaran, klar gemacht, dass er Errekaleor nicht weiter dulden, sondern abreißen lassen will. Der Politiker der baskisch-nationalistischen PNV bezeichnete die Besetzer*innen als „gegen das System gerichtet“ (anti-sistema), ein gern benutzter Begriff gegen alle, die nicht mit dem Strom schwimmen. Doch aus der Errekaleor-Nachbarschaft haben einige Stimmen daran erinnert, dass hier Menschen leben von unterschiedlichem Alter und Lebenshintergrund: die Spanne reicht von einem Baby von nur zwei Monaten bis zu einer Person, die bereits über 70 Jahre ist. Denn noch leben im Stadtteil neben den meist jüngeren Besetzer*innen auch einige Alt-Bewohner*innen, die praktisch ihr gesamtes Leben hier zugebracht haben und noch nicht umgesiedelt wurden.
Der Plan der Stadtverwaltung ist, Bulldozer zu schicken, um die Häuser abzureißen. An ihrer Stelle sollen Grünflächen entstehen. Der ursprüngliche Plan einer früheren Stadtverwaltung unter der reaktionären PP war, die Gegend nach dem Abriss neu zu bebauen. Doch von diesem „Entwicklungsprojekt“ eines neuen Wohnviertels spricht heute niemand mehr. Denn jene Initiative des ehemaligen Bürgermeisters und rechten Scharfmachers Alfonso Alonso (PP) fiel der Immobilienkrise zum Opfer, der Plan wurde auf Eis gelegt. Allerdings wurden so gut wie alle Bewohner gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und in andere Stadtteile zu ziehen. Im September 2013 zogen mehrere junge Leute in eines der Portale ein. Sie waren sozusagen die Vorhut, denn innerhalb weniger Monate kam das Leben zurück in diese verlassene Gegend am Rande der baskischen Hauptstadt.
Räumungs-Antrag
Das Projekt wuchs schnell. Und zugleich wurden die Bedrohungen größer, die seine Existenz in Frage stellten. Während die neuen Bewohner*innen von Errekaleor mit verschiedenen Initiativen begannen, die Lebensumgebung wiederzubeleben, machten die bürgerlichen Parteien PNV, PSE und PP deutlich, dass sie keine alternativen Projekte tolerieren. Ende vergangenen Jahres reichte das halb-öffentliche Unternehmen Ensanche 21, das von der Stadt zum Eigentümer des riesigen Raumes gemacht wurde, eine Räumungsklage ein gegen die gesamte Nachbarschaft. Die Maßnahme wurde von den Vertretern der rechten PP angeschoben und von PNV und PSE unterstützt.
In diesem Zusammenhang wurden am vergangenen 18. Juni 2017 mehrere Sondereinsatz-Kommandos der baskischen Bereitschaftspolizei Ertzaintza geschickt, als schlagkräftiger Schutz einer kleineren Anzahl von Technikern des Iberdrola-Stromkonzerns. Deren Auftrag war, den dem ganzen Stadtteil den Strom abzuzwicken. Die SEK übernahmen den repressiven Teil der Aktion und sicherten die Techniker ab. Nicht ohne die üblichen Prügel zu verteilen, obwohl lediglich passiver Widerstand geleistet wurde. Jene Leute, die sich um das Transformatorenhaus gruppiert hatten, wurden von der Polizei weggeschleift, sofern sie nicht angekettet waren.
3:0 für Errekaleor
Dennoch konnten die beiden Polizei und Konzern auch zusammen ihren Auftrag nicht erfüllen, weil sie nicht an die Stromquelle kamen. Stattdessen wurden die Kabel an den Häusern gekappt und aus dem Boden gerissen. Die baskische Polizei erklärte, das Industrie-Ressort der baskischen Regierung habe aufgrund von“Sicherheitsfragen“ das Abschneiden der Energieversorgung verlangt. Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang die Feuerwehr von Gasteiz, die ebenfalls ins Viertel gerufen wurde. Die ließ jedoch mitteilen, dass sie sich nur im Falle eines Brandes oder im Notfall am Einsatz beteiligen werde. Diese Haltung ist nicht neu, die Feuerwehr ist ziemlich beliebt in der Bevölkerung, an Räumungen ist sie nicht interessiert, das wurde auch andernorts schon deutlich.
Peinlich für die Auftraggeber des Einsatzes war, dass die Justiz-Kommission des Stadtparlaments eine Erklärung herausgab, die das Vorgehen von Energiekonzern, Polizei und Verwaltung für illegal erklärte und den Parteien samt Bürgermeister einen Dämpfer verpasste. Denn der Stromabschnitt hatte das ganze Barrio betroffen, in dem nach wie vor auch alte Bewohner*innen leben, die noch nicht umgesiedelt wurden und die mit der Besetzung nicht direkt zu tun haben. „Bei der Stromversorgung handelt es sich um eine grundlegende und obligatorische Dienstleistung der Stadtverwaltungen, deshalb muss sie die Stromzufuhr auch in der Errekaleor-Straße garantieren“. So lautete die Rechtsbelehrung. Deshalb hätte die Stromverbindung gar nie gekappt werden dürfen. Nicht nur den besetzten Häuserblocks wurde bei der gewaltsamen Polizeiaktion der Strom gekappt, auch Straßenlampen und andere öffentliche Einrichtungen liegen nun im Dunkeln. Die Initiative „Errekaleor Bizirik!“ beklagte die Situation und verwies darauf, dass die durch den Einsatz geschaffene Situation die Gefahr von sexistischen Gewalttaten erhöht (…)
Fortsetzung:
http://www.baskultur.info/kultur/oekonomie/324-errekaleor
Baskische Besetzungsgeschichte
Besetzung ist im gesamten Baskenland seit 30 Jahren ein immer wieder eingeschlagener Weg für die jüngere Generation, sich das zu holen, was Gesellschaft und Politik ansonsten nicht anbieten wollen. Offene Jugendarbeit ist hier ein Fremdwort, selbstorganisierte Räume abseits von Konsum sind nicht vorgesehen. Deshalb gibt es in so gut wie allen Gemeinden ein Besetzungsprojekt, in dem sich junge Leute versammeln. In manchen linksregierten Orten stellten die Rathäuser Lokale zur freien Verfügung, zuletzt in Pamplona. Diese Gaztetxes (baskisch: Jugendhäuser) dienen nicht nur Jugendlichen. Sie bieten häufig auch Raum für Aktivitäten ganzer Stadtteile. Daneben kosten sie die Gemeinden keinen Euro, denn Unterhalt und Renovierung werden in freiwilliger und ehrenamtlicher Arbeit erledigt. In der Regel sind die Häuser in der Nachbarschaft gut verankert und beliebt (wie in der Altstadt Gasteiz und in Bilbao-Rekalde), weil in großen Teilen der Bevölkerung ihre Notwendigkeit gesehen wird und die Räume der Allgemeinheit zugute kommen.
Kukutza
Paradebeispiel war das besetzte Sozialzentrum in Bilbao-Rekalde, Kukutza III. In einem Stadtteil mit mehr als 40.000 Bewohner*innen ersetzte es das fehlende Bürgerzentrum. 2011 wurde es brutal geräumt, ohne jeglichen Sinn. Die Scholle ist bis heute ungenutzt und unbebaut, weil es sich um das Spekulationsobjekt eines korruptenUnternehmens handelte, das wegen illegaler Geschäfte bereits einschlägig verurteilt worden war. Zum Zeitpunkt von Räumung und Abriss war all das bekannt. (3)
Errekaleor ist anders
Errekaleor in Gasteiz-Vitoria hingegen ist die Antwort auf eine ganz andere Notwendigkeit, die in den vergangenen Jahren deutlich geworden ist: fehlender bezahlbarer Wohnraum für die jüngere Generation. Im spanischen Staat liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 50%, im Baskenland bei schmeichelhaften 40%. Fehlende berufliche Perspektive zwingt junge Leute in großer Zahl zur Auswanderung (nach Deutschland, England oder Dänemark); oder in prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist es, dass die jüngere Generation bis ins Alter von 30, 35 oder 40 Jahren im Elternhaus lebt, weil alle anderen Lebensentwürfe finanziell nicht machbar sind.
Es gibt weder ausreichend Beschäftigungs-Programme für junge Leute, noch sozialen Wohnungsbau in ausreichendem Umfang. Die Verlängergung der Lebensarbeitszeit der spanischen Regierung trägt zusätzlich zu dieser Entwicklung bei. Insofern stellt der Brandbrief der Gasteizer Bürgermeisters eine Verkehrung der gesellschaftlichen Umstände dar. Die Gesellschaft ist es, die in der Schuld der nachwachsenden Generation steht. Das Gefeilsche um nicht bezahlte Steuern ist ein Sturm im Wasserglas in Anbetracht der Verschwendungvon Steuergeldern für umweltfeindliche Projekte wie Müllverbrennungs-Anlagen oder Hochgeschwindigkeits-Züge, die nirgendwo Station machen.
Errekaleor ist die Antwort auf die Wohnungsnot der jungen Generation, auf die Unmöglichkeit sich vom Elternhaus unabhängig zu machen. Ganz im Gegenteil überrascht es, wie lange es dauerte bis es zu einem Errekaleor kam, einem Wohn- und Lebensprojekt. In Katalonien sind solche Projekte, zum Teil in weit größerer Dimension und in legaler Form, schon lange Teil des Alltags geworden. Immer wieder erstaunt es, welch große kulturellen Unterschiede ein paar Hundert Kilometer ausmachen können.
BOM: Besetzungs-Büro
Nach katalanischem Vorbild hat sich die baskische Besetzungs-Bewegung BOM schon vor Jahren mit einer juristischen Struktur ausgestattet: dem „Okupazio Bulegoa“ – Besetzungs-Büro (4). Dort können Besetzer*innen und solche, die es gerne werden wollen, Rechtshilfe abfragen. Im Zweifelsfall also auch vor geplanten Besetzungen, um die Rechtslage zu kennen und von den Erfahrungen anderer Squats zu profitieren. Zur Verfügung stehen Rechtsanwält*innen mit einschlägiger Erfahrung und Leute aus der Praxis.
Eines der letzten Projekte der „Bilboko Okupazio Mugimendua“ (Besetzungs-Bewegung Bilbao) ist eine Übersicht über alle derzeit in Euskal Herria aktiven Besetzungs-Initiativen (5), im baskischen Süden Hegoalde wie im Norden Iparralde. Auf dieser Karte sind alle Projekte geografisch eingezeichnet, wenn vorhanden sind Adressen, Kontakte und Webseiten angegeben. Aktuell sind dies 153 Gaztetxeak (Plural des baskischen Wortes „gaztetxe“, Jugendhaus) – darunter das erste feministische Projekt in Bilbao-Rekalde, OikuK (baskisch: Schrei), zu dem ausschließlich Frauen Zugang haben und das sich trotz Räumungsklagen seit mehr als 18 Monaten halten konnte (Stand Juni 2017). Zu den bekanntesten Projekten gehören das Gaztexte in der Altstadt von Gasteiz und das „Zazpi Katu“ (sieben Katzen) in Bilbao, das trotz viermaliger Räumung bereits seit 10 Jahren existiert.
Der unfreiwillig flüchtige Charakter der Squats (Räumungen und Neubesetzungen) impliziert, dass die Karte ständig erneuert werden muss. Die BOM-Bewegung finanziert sich durch einen großen Stand bei der Fiesta in Bilbao unter dem Namen „Komantxe Konpartsa“ und steht selbstverständlich auch Projekten aus anderen Regionen Rede und Antwort.
QUELLE: