„Überwachung ist das Thema der Zeit“, sagt Regisseurin Claudia Morar während der gut besuchten Berlin-Premiere ihres Dokumentarfilms „Im inneren Kreis“ im Kino Babylon-Mitte am vergangenen Samstagabend. Ihr Regie-Kollege Hannes Obens ergänzt, dass mit dem Film vor allem die Perspektive der Betroffenen Raum bekommen solle, weil „die Überwachung ganz aktiv in das Leben von Menschen eingreift.“ Von Oliver Rast
Entdeckte Ermittlung
Der Film „Im inneren Kreis“ beginnt am Tresen im autonomen Hamburger Kulturzentrum „Rote Flora“. Die im Mittelpunkt stehende Geschichte um Spitzelei, Vertrauensbruch und Verrat nahm an diesem Ort ihren Ausgang. Einem Ort der offenen Plena und Aktionsvorbereitungen der radikalen Linken – offenbar ein Einfallstor für „falsche Genoss*innen“.
Die beiden Regisseur*innen haben Fälle des Einsatzes von so genannten verdeckten Ermittler*innen in der linken Polit-Szene der Hansestadt filmisch aufbereitet. Verdeckte Ermittlungen, die aufgedeckt werden konnten, wenn auch zum Teil erst nach Jahren. Im Zentrum steht die Ermittlertätigkeit von Iris P., die für ihren Einsatz von ihren Auftraggebern aus dem Bundeskriminalamt (BKA) und mehreren Landeskriminalämtern (LKA) mit einer umfassenden Legende ausstaffiert wurde. Sie sollte Informationen über die „Autonome Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof“ zusammentragen, die sich in Hamburg seit der Jahrtausendwende und in den Folgejahren durch einige Brandanschläge und Beiträge im Rahmen der Militanz-Debatte hervortat. Iris P. ging in der Roten Flora und im Freien Radio „FSK“ ein und aus. Sie war in die örtliche linksradikale Szene voll integriert, organisierte Kampagnen mit und bewegte sich in den sozialen Zusammenhängen der Hamburger Autonomen. Iris P. wird von Szene-Angehörigen als nette, hilfsbereite Person beschrieben, die nicht nur als Aktivistin authentisch wirkte, sondern Freundschaften schloss und das Vertrauen von Genossen gewann. Sie ging sogar Liebesbeziehungen mit Menschen aus dem Umfeld der Roten Flora ein, die sie als Informationsquelle abschöpfte.
Gegenüber Iris P. hielten sich hartnäckig „szeneinterne Verdachtsmomente“, die sich aber nicht bestätigen ließen. Iris P., die für eine neue Szene-Aktivistin bereits relativ alt war, wohnte allein in einer schwer zu erreichenden Mietskaserne. Ihre biografischen und familiären Hintergründe waren unklar, einen Kontakt zu Freunden von ihr gab es nicht, und Besuche auf ihrer Arbeitsstelle waren nicht möglich. Für sich und einzeln genommen begründeten diese Auffälligkeiten keinen Spitzelverdacht, sagt „Leo“, der als Aktivist der Recherchegruppe Iris P. 2014 medienwirksam enttarnte. Erst in der nachträglichen Gesamtschau ließ sich ein Bild einer Spitzeltätigkeit zusammenfügen, so „Leo“. Es gäbe in der linken Szene „ein abstraktes Wissen um die Ausforschung“, erzählt der langjährige Rote Flora-Aktivist Andreas Blechschmidt. Dennoch sei die Hemmschwelle hoch, Personen zu verdächtigen, denn „nichts ist denunziatorischer als ein Spitzelvorwurf.“
Amtliche Stimmen
Auch die „Gegenseite“ bekommt ihre Redezeit von den Filmemacher*innen. Ein interviewter Vertreter des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BdK) führt aus, dass verdeckte Ermittler aus den Reihen von Landespolizeien im Gegensatz zu V-Leuten aus der Polit-Szene als zuverlässig gelten. Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers sei ein kostspieliges Unterfangen, denn ein „sechs- bis siebenstelliger Betrag“ müsse aufgebracht werden.
Die Regisseur*innen konnten zwei pensionierte Interviewpartner aus dem Staatsapparat gewinnen. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sieht die Bundesrepublik in einen „Präventionsstaat rutschen“ und macht eine „übertriebene Sicherheitslogik“ aus. Generalbundesanwalt a.D. Kay Nehm sagt, dass „ein Liebesverhältnis“ im Rahmen einer verdeckten Ermittlung „keine gute Sache“ sei. Er fordert von den Behörden im Undercover-Einsatz „Fingerspitzengefühl“.
Deutlich positioniert sich die Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft Christiane Schneider (Linke) in dem Doku-Film. Der Staat agiere rechtlich in einer „Grauzone“, die er immer weiter zu Ungunsten von Grundrechten verschiebe.
Innerlinke Zerreißproben
Der Film von Morar und Obens trifft neuralgische Punkte, auch und gerade im linksradikalen Spektrum. Bereits vor der Filmvorführung im Babylon wurde den Filmemachern in einem verteilten Flugzettel vorgehalten, aus „Sensationsgründen“ „persönliche und Szene-Grenzen“ nicht anerkannt zu haben, „um ein möglichst gewinnbringendes Produkt zu bekommen.“ Das Dementi des „Im Inneren Kreis“-Teams folgte in einer gleichfalls vor dem Kino-Eingang interessierten Kinobesuchern ausgehändigten schriftlichen Erklärung, in der die Vorwürfe als „vollkommen haltlos“ beschrieben werden.
Die Folgen der Infiltration der Hamburger Linken waren verheerend. Gegenseitige Vorwürfe, zwischenmenschliche Zerwürfnisse und tiefe Gräben innerhalb der Polit-Szene kennzeichnen die aktuelle Situation, mit der viele überfordert scheinen. „Tanja“, eine Protagonistin aus dem Film, beschreibt die Spitzelaffäre um Iris P. im Nachgang als „schlechte Schmierenkomödie“. „Wiebke“, eine der Frauen, die mit der verdeckten Ermittlerin eine „Liebesbeziehung“ führte, spricht davon, „eine Form von Missbrauch“ erlebt zu haben und einem „Trugbild“ aufgesessen zu sein.
Überwachender Staat
Morar und Obens arbeiten mit ihrem Filmwerk überzeugend heraus, dass die Schnüffelei von Iris P. weit darüber hinaus ging, Charakterbilder einzelner Szene-Aktivisten zu zeichnen oder Daten über linke Personenzusammenhänge zu sammeln. Ihre Tätigkeit war darauf angelegt, Strukturen zu zerstören.
Aber nicht nur in der radikalen Linken werden seitens der Ermittlungsbehörden Spitzel eingesetzt. Das belegt der zweite Fall, der prominent von den Regisseur*innen in Szene gesetzt wird. Selbst Studierende, die sich u. a. für mehr studentische Mitbestimmung an den Universitäten engagieren, geraten in das Fadenkreuz. Der Fall des Simon B., der an der Heidelberger Hochschule seiner Erwerbsarbeit als verdeckter Ermittler nachging, machte Schlagzeilen. Für Regisseur Obens ein wichtiger „Komplementärfall“. Durch die „Parallelisierung“ der Spitzelaffären aus Hamburg und Heidelberg sollte dem Film dramaturgisch mehr „Tempo gegeben werden“, sagt Obens.
Für Morar und Obens war es das Erstlingswerk. Der Dokumentarfilm erhielt keine offizielle Filmförderung. Über die Gründe könne nur spekuliert werden, so Morar. Der Streifen konnte dank einer breiten Spendenkampagne nach anderthalb Jahren realisiert werden. Herausgekommen ist ein wichtiges filmisches Dokument über den Überwachungsstaat Bundesrepublik Deutschland.
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