Am äußersten rechten Rand der Partei hat sich zuletzt eine bemerkenswerte »Selbstradikalisierung« vollzogen
In Magdeburg werden Wetten abgeschlossen. Zur Sitzung des Landtags im Juni werde André Poggenburg, Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt, mit »20 minus x Getreuen« im Saal sitzen, stichelt SPD-Mann Rüdiger Erben: »Wetten, dass?« Viele werden nicht mehr dagegenhalten. Poggenburg sind bereits drei der ursprünglich 25 Abgeordneten, die der furiose 24,3-Prozent-Wahlerfolg vom März 2016 in den Landtag spülte, von der Fahne gegangen: Nach Sarah Sauermann warf Gottfried Backhaus hin, ein Fahrlehrer und Orgelbauer, der als Kreischef im Saalekreis und kirchenpolitischer Sprecher der Fraktion abgelöst worden war und das als »Säuberungsaktion« geißelte. Zuletzt trat auch noch Jens Diederichs aus.
In Sachsen ist die Fraktion noch intakt: Die 14 Mitglieder, denen im August 2014 der Einzug in den Landtag gelang, sind alle bei der Stange. Doch auch im Freistaat wird vor »Zerfall« gewarnt - dem der Partei. Geäußert wurde der Kassandraruf am Montag von Jens Maier, der Richter am Landgericht Dresden ist, auf der Landesliste zur Bundestagswahl Platz 2 hinter Bundeschefin Frauke Petry erhielt - und den diese aus der AfD ausschließen lassen will. Ausgerechnet am Rande einer Demonstration von Pegida warnte Maier vor einem »Bruderstreit« - in dem am Ende freilich nicht er den Kürzeren ziehen könnte, sondern Petry. Ihr droht am Sonntag im Bundestagswahlkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge die Ablösung als Direktkandidatin.
Es ist ein tiefer Fall, den die eben zum fünften Mal Mutter gewordene Chemikerin erlebt. Im Sommer 2014, als sie erstmals eine AfD-Fraktion in einen Landtag führte, war sie unangefochtener Star der Partei, die ihr auch im Machtkampf mit Parteigründer Bernd Lucke die Treue hielt. Das ist sie längst nicht mehr. Beim Bundesparteitag in Köln erlitt sie eine Schlappe, als man es ablehnte, einen von ihr verfassten Strategieantrag auch nur zu diskutieren. Und auch in Sachsen hat ihr Einfluss gelitten, wie die Wahl der Landesliste zur Bundestagswahl bewies. Dort kam sie zwar auf Platz 1 - aber Maier gegen ihren Willen auf Platz 2.
Personalien wie diese illustrieren einen Kurs der Partei, den der Verein »Miteinander« unlängst in einer Analyse als »politische Selbstradikalisierung« bezeichnete - von einem national-konservativen hin zu einem völkisch-nationalistischen Kurs. Das Papier nimmt die Fraktion in Sachsen-Anhalt in den Blick; die Analyse trifft aber auch auf Sachsen zu. Petry gehöre - auch wenn sie gelegentlich mit dem rechten Rand kokettierte und etwa dafür warb, den Begriff des »Völkischen« positiv zu besetzen - zu den AfD-Vertretern, die »politisch-ideologische Schmerzgrenzen« respektieren, sagt David Begrich vom Verein »Miteinander«; ihr sei wichtig, auch bei einer bürgerlichen Klientel Anklang zu finden. Zu Bewegungen wie Pegida blieb Petry stets auf Distanz. Politiker wie Maier oder Poggenburg schert das nicht. Sie greifen ungeniert auf NS-Jargon zurück, so, als Poggenburg Magdeburger Studenten als »Geschwür am Volkskörper« bezeichnet, oder loben die NPD als »einzige Partei, die Patrioten angesprochen« habe - wie Maier, der zudem über den Rechtsterroristen Anders Brejvik gesagt haben soll, dieser sei erst »aus Verzweiflung heraus zum Massenmörder geworden«.
Mittelfristig, glaubt Begrich, werden die Poggenburgs und Maiers in der AfD die Oberhand behalten - trotz der Desintegrationserscheinungen in der Magdeburger Fraktion. Zwar hat mit Diederichs erstmals ein Abtrünniger politische Differenzen benannt: Er sieht im Schulterschluss mit der Identitären Bewegung eine »rote Linie« überschritten. Vorrangig, so Begrich, sei der Zank aber Poggenburgs Führungsstil geschuldet, dessen Motto laute: »Ich oder der Abgrund«. Er verfüge nicht über diplomatische Fähigkeiten, um den »Binnenpluralismus« der Fraktion zur Entfaltung zu bringen - die, wie Begrich formuliert, »Graustufen des Völkisch-Nationalen«. Diese aber vertreten nach bisheriger Einschätzung alle Abgeordneten - einschließlich Sauermann, Backhaus und weiterer potenziell Abtrünniger, deren Zahl selbst die Fraktionsführung auf vier bis fünf schätzt.
Die Selbstradikalisierung der AfD habe zwar ihren Ursprung im Osten, beschränke sich aber inzwischen nicht mehr darauf, sagt Begrich. In einem »magnetischen Kraftzentrum« schaukelten sich die Partei, die Pegida-Bewegung und eine darüber hinaus gehende rechte Mobilisierung gegenseitig auf. Diese Linie habe in der AfD enorm an Kraft gewonnen: »Sie zieht die Partei immer weiter nach rechts.« So weit, dass gemäßigte Teile offenbar bereits den Absprung für die Zeit nach der Bundestagswahl erwägen, wie die »Freie Presse« jetzt schrieb - kurz vor dem Parteitag, der Petry die Direktkandidatur kosten könnte.