Nach dem Anschlag in Kabul: Heftige Konflikte um Zwangsabschiebungen

Erstveröffentlicht: 
31.05.2017

Ist Afghanistan ein "sicheres Land" oder nicht? Und wie verlässlich arbeitet das BAMF? Nach dem blutigen Anschlag in Kabul erneuert der Flüchtlingsrat seine Forderung nach einem Abschiebestopp. In Nürnberg ist es zu Protesten gegen eine Zwangsrückführung gekommen. In Frankfurt wurde ein Abschiebeflug gestoppt.

 

Von: Michael Kubitza und Ulrike Lefherz

Stand: 31.05.2017

 

Es könne nicht sein, dass alle anderen Bundesländer Zurückhaltung übten "und nur Bayern brachial abräumt", stellte der Flüchtlingsrat in einer Erklärung fest.

 

"Keinem einigermaßen vernünftigen Menschen ist diese Bedenkenlosigkeit erklärlich."

Stephan Dünnwald, Sprecher des Flüchtlingsrats

 

Die Praxis des rigorosen Abschiebens "auch kranker oder gut integrierter Flüchtlinge" sei nicht nachvollziehbar, so Dünnwald. In den vergangenen Tagen seien in Bayern zahlreiche afghanische Flüchtlinge in Abschiebehaft genommen worden, so dass am Dienstag rund 20 Afghanen auf ihre Abschiebung nach Kabul gewartet hätten.

 

Proteste bei Zwangsabschiebung in Nürnberg

Unterstützung bekam der Flüchtlingsrat durch 200 Berufsschüler, die am Vormittag in Nürnberg mit Sitzblockaden gegen die Abschiebung eines afghanischen Mitschülers protestierten. Der 20-Jährige lebte seit über vier Jahren in Deutschland, soll gut integriert und fleißig gewesen sein und eine Ausbildungsstelle in Aussicht gehabt haben. Ein typischer Fall: Immer wieder protestieren Freunde, Kollegen und Arbeitgeber gut integrierter Flüchtlinge gegen deren Zwangsabschiebung. In Augsburg haben Zehntklässler eine Online-Petition gegen die Abschiebung des 16-jährigen Ali Rezra initiert und über 20.000 Unterschriften gesammelt. Auch der Würzburger Stadtrat hat sich entsprechend positioniert.

 

Einen anderen Weg ist der Afghane Ahmad Shakib Poya gegangen, ein Schauspieler mit Engagement am Münchner Jugendtheater "Schauburg", der im Januar freiwillig ausreiste, um seiner Zwangsabschiebung zuvorzukommen - und danach wieder einreisen zu können.

 

Bayern verweist auf Berlin

Die Staatsregierung pocht bisher auf die Umsetzung geltenden Rechts und verweist auf Berlin. Bisher hat Deutschland in fünf Sammelflügen 106 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben.

 

"Die Bewertung der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan erfolgt durch die Bundesregierung, also das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt."

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann

 

Hessen stoppt Sammelabschiebung

Die für heute Abend geplante neuerliche Sammelabschiebung in Deutschland lebender Afghanen ist allerdings vorerst vom Tisch. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) teilte mit, er habe soeben eine entsprechende Mitteilung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière erhalten. Demnach wurde die Abschiebung, die wohl vom Frankfurter Flughafen starten wollte, wegen des Anschlags in der afghanischen Hauptstadt gestoppt: die Auswirkungen des Attentats ließen es derzeit nicht zu, ausreichende personelle und Sicherheitsvorkehrungen für die erwartete Ankunft der Abzuschiebenden zu treffen.

 

"Dieser Stopp muss aber auf unbestimmte Zeit ausgeweitet werden, bis eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan vorliegt"

Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen

 

Wie gewissenhaft arbeitet das BAMF?

Der Anschlag in Kabul, bei dem auch die deutsche Botschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde, begründet die aktuelle Aussetzung. Doch es gibt auch grundsätzliche Hinweise auf eine Überforderung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Anerkennung oder Abschiebung: in beiden Fällen können Fehlleistungen der Behörden gravierende Folgen haben.

 

Eine durch den Fall Franco A. veranlasste interne Überprüfung, über deren Ergebnisse die Nürnberger Nachrichten berichteten, lässt Zweifel daran aufkommen, ob die behördlichen Untersuchungen der Schwere der Entscheidung stets angemessen sind.

 

In 45 Prozent der Fälle soll unzureichend dokumentiert worden sei. Während der Flüchtlingskrise hatte das Bundesamt tausende Entscheider neu eingestellt, um die Asylverfahren zügig bearbeiten zu können. Rund 250.000 Asylanträge waren nur aufgrund eines ausgefüllten Fragebogens entschieden worden. Das Bundesamt hatte bereits im Vorfeld angekündigt, nach Vorliegen der Ergebnisse "Konsequenzen zu ziehen".