Zwischen den Lesungen in Düsseldorf Durchs Maghreb-Viertel mit Thilo Sarrazin

Erstveröffentlicht: 
18.05.2017
Unsere Autorin ging mit Thilo Sarrazin durch Düsseldorf-Oberbilk, einen Stadtteil mit zahlreichen arabischen Geschäften und Bewohnern. Er lerne nichts bei einem Ortstermin, sagt der umstrittene Autor ("Deutschland schafft sich ab"). Kopftuchträgerinnen zählt er trotzdem.  Von Helene Pawlitzki, Düsseldorf 

 

Es dauert fünf Minuten, bis jemand Thilo Sarrazin mitteilt, dass er hier nicht willkommen ist. Es ist keineswegs der Besitzer des Cafés an der Ecke Apollinaris- und Linienstraße. Der serviert uns kommentarlos einen Minztee. Es ist eine Frau mittleren Alters in einer geblümten Tunika, in jeder Hand eine dünne Plastiktüte. "Sie sind hier nicht willkommen", sagt sie eindringlich. "Dass Sie sich hier in einen Laden setzen, finde ich eine ziemliche Frechheit." – "Sie sind keine Demokratin, sonst würden Sie mir nicht verbieten wollen, mich auf einer öffentlichen Straße hinzusetzen", gibt Thilo Sarrazin zurück. "Wir können uns gerne über Inhalte unterhalten." Das möchte die Frau nicht.

 

Über Inhalte, vor allem die seiner Bücher, redet Sarrazin gern. Ein gleichmäßiger Redestrom begleitet unsere gemessenen Schritte durch die Klosterstraße, den Hauptbahnhof und die Straßen des sogenannten Maghreb-Viertels. Drei Bundespolizisten begleiten uns. Thilo Sarrazin ist in dieser Woche zweimal zu Gast in Düsseldorf, er liest in der Weinbar "Feinstil" aus seinem aktuellen Buch. Bereits im Vorfeld hatte es dagegen Proteste gegeben, es wurden die Scheiben des Lokals eingeworfen. Die erste Lesung sicherte die Polizei gegen eine unangemeldete Demonstration des Bündnisses "Düsseldorf stellt sich quer". Demonstranten attackierten Sarrazins Auto und einen Polizisten. 

 

"Das ist alles in Ihrem Kopf"


Er sei ein optisch sehr wacher Mensch, nehme seine Umgebung genau wahr, sagt Thilo Sarrazin. Aber: "Meine Methode ist zunächst die Analyse. Wenn ich hier durchgehe, lerne ich nichts." Die Menschen, ihre Kleidung, ihr Verhalten, ihre Altersstruktur, seien höchstens Illustration für seine Theorien, und die entwickle er aus Daten.

 

Daten wie diese: Statistiken in den USA zeigten seit Jahrzehnten eine stabile Schichtung nach ethnischer Herkunft, schreibt Sarrazin in seinem aktuellen Buch "Wunschdenken". Dabei lägen Ostasiaten deutlich vor den Weißen. Schlussfolgerung: "Die persönliche Abstammung hat einen erheblichen, viele Generationen übergreifenden Einfluss auf Aufstieg und soziale Schichtung."

 

Das Japan- und das Maghreb-Viertel bieten also bestes Anschauungsmaterial, will man über Sarrazins Thesen diskutieren. Der bestreitet, er schreibe freundlich über Ostasiaten und weniger freundlich über Araber: "Das ist alles in Ihrem Kopf." Er sammle nur Daten. Die Wertung nehme der Leser vor. Aber auch Sarrazin wertet. Einwanderer ist nicht gleich Einwanderer. Er will nur solche, die den Deutschen nützen. Japaner oder Vietnamesen mit hohem Durchschnitts-IQ und niedriger Kriminalitätsrate etwa könnten die Lücke füllen, die entsteht, weil gebildete deutsche Frauen nicht genug Kinder bekommen. Für Araber oder Türken dagegen will er Deutschland dicht machen. Sie sind laut Sarrazin etwa acht Mal so kriminell wie Deutsche. Er bezieht sich dabei auf Statistiken zu Gefängnisinsassen. Die Kriminalstatistik in NRW belegt seine Rechnung nicht, ihr zufolge standen voriges Jahr bei Gewalttaten knapp 3000 Verdächtige mit türkischem Pass mehr als 28.000 Deutschen gegenüber.

 

"Das ist unser Revier, du hast hier nichts zu suchen"


Eine moralische Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen, lehnt Sarrazin sehr entschieden ab. "Jeder Staat erntet, was er selbst gesät hat. Darauf hat niemand ein moralisches Anrecht." Dass er damit viele wütend macht, weiß Sarrazin. Die Frau mit den Plastiktüten etwa sei "der Klassiker. Sie sagt, wie die Araber: Das ist unser Revier, du hast hier nichts zu suchen." Tatsächlich haben ein paar Araber etwas Unverständliches dazwischen gerufen, allerdings bleibt unklar, ob sie Thilo Sarrazin überhaupt kennen.

 

Jedenfalls, sagt Sarrazin, wenn er in so einer Gegend wie dieser unterwegs sei, schaue er immer bei Frauen mit Kopftuch, ob sie erkennbar schwanger seien. "In der Zeit, in der wir hier sitzen, sind schon drei oder vier vorbei gekommen." Für ihn sind diese Frauen Illustration seiner Theorie. Schwer vorstellbar, wer vorbeikommen müsste, um ihn an seinen Theorien zweifeln zu lassen.