Franco A. und das Bamf - Wie leicht kann man sich ins Asylverfahren einschleichen?

Erstveröffentlicht: 
17.05.2017

Der rechtsextreme Soldat Franco A. hat sich als Asylbewerber ausgegeben - niemandem fiel die Lüge auf. Nun überprüft das Flüchtlingsamt zahlreiche Altfälle. Wie groß sind die Mängel in der Behörde?

 

Zu ungenau, zu hastig, die Mitarbeiter zu unerfahren: Seit Monaten gibt es immer wieder scharfe Kritik an den Asylverfahren des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Nie aber war das Versagen der Flüchtlingsbehörde so augenfällig wie im Fall des unter Terrorverdacht stehenden rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A.

 

Der Oberleutnant hatte sich beim Bamf als syrischer Flüchtling namens David Benjamin ausgegeben. Die Mitarbeiter glaubten ihm das, obwohl er nur gebrochen Arabisch sprach und es offensichtliche Widersprüchlichkeiten in seinen Aussagen gab. Schließlich bekam Franco A. subsidiären Schutz zuerkannt (Lesen Sie hier mehr zu den Fehlern des Bamf im Bundeswehrskandal).

 

War Franco A. ein besonders krasser Einzelfall? Oder gibt es bei der Behörde massenhaft fehlerhafte Entscheidungen - und damit ein strukturelles Sicherheitsproblem? An diesem Mittwoch musste Bamf-Präsidentin Jutta Cordt zu diesen Fragen dem Innenausschuss des Bundestages Rede und Antwort stehen.

 

Was sagt die Bamf-Chefin zum Fall Franco A.?


Im Fall Franco A. "seien gravierende Fehler in allen Verfahrensschritten passiert", räumte Cordt ein. Anhörer und Entscheider seien geschult gewesen, sie hätten die Fehler sehen können und müssen. Auch die Dolmetscherin habe korrekt übersetzt. Allerdings: Fehler hatte die Leiterin der Behörde schon früher eingeräumt. Nachfragen der Presse ließ Cordt nach ihrem öffentlichen Statement am Mittwoch nicht zu.

 

Auch hinter den verschlossenen Türen des Sitzungssaales wurde Cordt dem Vernehmen nach nicht viel konkreter. Stattdessen hätten die Innenexperten erfahren, dass die Sicherheitsbehörden die im Fall Franco A. eingesetzte Bamf-Dolmetscherin, den Entscheider und den Anhörer, ebenfalls ein Bundeswehrsoldat, bisher nicht persönlich gesprochen hätten. Mit Letzterem hätten die Behörden lediglich telefoniert.

 

"Zudem konnte heute nicht abschließend beantwortet werden, ob der beim Bamf eingesetzte Bundeswehrsoldat und Franco A. sich persönlich kennen", sagte die CDU-Abgeordnete Cemile Giousouf. "Das ist aber entscheidend für die Frage, ob es sich um ein organisiertes Netzwerk handelt."

 

Welche Konsequenzen hat das Bamf bisher aus der Affäre gezogen?


Das Flüchtlingsamt rollt derzeit Tausende Asylentscheidungen neu auf. Zum einen werden alle Fälle überprüft, an denen jene Mitarbeiter beteiligt waren, die auch über den Antrag von Franco A. entschieden oder daran beteiligt waren.

 

Zum anderen werden stichprobenhaft 2000 Asylentscheidungen, die ähnliche Kriterien wie im Fall Franco A. aufweisen, noch einmal kontrolliert, etwa solche, in denen der Antragssteller keine Papiere vorweisen konnte, oder Anträge lediger Männer einer bestimmten Altersgruppe. Dabei handelt es sich zu zwei Dritteln um Verfahren von Syrern und zu einem Drittel um afghanische Antragssteller. Wie lange die Prüfung dieser Fälle noch dauert, ist unklar. Bisher soll rund die Hälfte der 2000 Fälle neu betrachtet worden sein. Konsequenzen gab es außerdem für die Mitarbeiter, die mit dem Fall Franco A. befasst waren - sie wurden für weitere Fälle gesperrt.

 

Mit der Untersuchung des Falls sind 50 interne Ermittler beauftragt.

 

Welche neuen Vorwürfe gibt es?


Bei den noch laufenden Nachkontrollen sollen schon zahlreiche Bearbeitungsfehler entdeckt worden sein. Laut "Bild" und "B.Z." gebe es in zehn bis 15 Prozent der Fälle Unregelmäßigkeiten.

 

Teilnehmer berichten aus dem Ausschuss, die Bamf-Chefin sei auf die Berichte nicht eingegangen. Bisher hatte Cordt erklärt, es deute nichts auf strukturelle Mängel beim Bamf hin.

 

Wie wahrscheinlich ist es, dass es noch mehr Fehlentscheidungen gab?


Seit vielen Monaten gibt es - auch aus dem Bamf selbst - immer wieder Klagen über eine schlechte Qualität der Verfahren und mangelnde Qualitätskontrollen. Ende 2015 beschwerten sich Personalräte: Die "massenhafte Entscheidungspraxis" bei Syrern, Eritreern, Irakern und Flüchtlingen vom Balkan weise "systemische Mängel" auf. Außerdem hatten Experten des Bundesamts kritisiert, dass im Jahr 2015 nur ein Prozent der Asylentscheidungen stichprobenartig überprüft worden sei.

 

Tatsächlich waren mehr als ein Jahr lang Verfahren für Syrer, Iraker und Eritreer grundsätzlich fehleranfällig. 2015 und in den ersten Monaten des Jahres 2016 mussten Antragssteller aus diesen Ländern ihre Asylgründe nur schriftlich in einem Fragebogen darlegen - es handelt sich um Hunderttausende Fälle. 2015 gingen mehr als 200.000 solcher Fragebögen bei der Behörde ein, im Jahr 2016 noch einmal knapp 100.000.

 

Wenn aber Mitarbeitern selbst in einer mündlichen Anhörung wie im Fall Franco A. so massive Fehleinschätzungen unterlaufen und Widersprüche nicht auffallen, muss man wohl davon ausgehen, dass in den oberflächlicheren, schriftlichen Verfahren erst recht Unwahrheiten unentdeckt geblieben sind.

 

Wie geht es weiter?


Wegen der jetzigen Nachkontrollen geht das Bamf schon jetzt davon aus, dass sich der Abschluss anderer, lange liegender Verfahren weiter verzögern könnte. Bestätigt sich nun auch, dass eine beträchtliche Anzahl früherer Entscheidungen fehlerhaft war, dürfte es unumgänglich sein, dass noch mehr Altfälle überprüft werden. Dann aber ist kaum zu erwarten, dass der Berg der nicht abgeschlossenen Verfahren rasch abgearbeitet wird - zumal sich in den letzten Monaten die Zahl der Bamf-Mitarbeiter wieder reduziert hat.

 

Für die künftige Arbeit hat Cordt bereits angekündigt, in den Asylverfahren Sprachidentifizierungssoftware einzusetzen, um die Herkunft von Flüchtlingen eindeutig nachzuweisen. Auch von einer Auswertung von Handydaten erhofft sie sich Hilfe bei der Klärung von Identitäten. Außerdem, so erklärte es Cordt am Mittwoch, solle die Qualitätssicherung "deutlich fokussiert werden".