Rote Flora: Senat plant möglicherweise Neubau

Rote Flora

Ein erstes Gespräch von Kretschmer mit der Stadt über Rückkauf der Roten Flora ist am Wochenende geplatzt. Für den Fall, dass Kretschmer das Gebäude nicht länger halten will, bereitet die Stadt nach einem Artikel in der "Welt" einen "kompletten Neubau eines Kulturzentrums" vor. Einen neuen Gesprächstermin gibt es noch nicht. Dieser soll auf höherrangige Gesprächspartner drängen. Währenddessen werden Gerüchte über einen Rücktritt von Beust lauter. Macht Ole den Köhler, droht die schwarz/grüne Koalition durch einen rechtskonservativen Schwenk zu enden. Neuwahlen wären in diesem Fall wohl die politische Folge. Während im Herbst das Intersquat-Festival in Berlin und Proteste gegen Innenministerkonferenz in Hamburg bevorstehen, nimmt auch die Auseinandersetzung um die Rote Flora als besetztes Projekt zu.

 

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass der Senat einen Rückkauf der Roten Flora erwägt. Von Seiten der Flora gab es daraufhin eine Erklärung, in der das mögliche Scheitern der Privatisierung begrüsst wurde. Das Projekt sieht sich nicht in der Auseinandersetzung mit einem austauschbaren Privatinvestor, sondern in einem öffentlichen Konflikt mit dem Senat um die Gestaltung der Stadt. Privatisierungen als politisches Modell einer ökonomisierten Stadtentwicklung wurden generell abgelehnt und am besetzten Status wird festgehalten. Die formalen Eigentumsverhältnisse berühren die Praxis der Flora nicht, und die Ergebnisse solchen "Händerreibens hinter den Kulissen" seien unklar. Im Falle einer Räumung, durch wen auch immer, wurde jedoch bereits Widerstand angekündigt.
http://de.indymedia.org/2010/06/282869.shtml

Ein erstes Gespräch von Kretschmer mit der Stadt ist nun geplatzt. Es wird gemunkelt, dass Kretschmer sich offenbar nach wie vor im Unklaren ist, wie er mit der aktuellen Situation umgehen will. Wurde die Rückkaufofferte der Stadt in den Medien bisher als Versuch gedeutet die Flora zu erhalten um einem unkalkulierbaren Konflikt aus dem Weg zu gehen, wird in der Welt erstmals eine ganz andere Zielsetzung beschrieben: Räumung und Neubau nach der Übernahme des Gebäudes durch die Stadt. Der Konflikt um die Rote Flora steuert zum Jahresende offenbar auf eine weitere Eskalation zu.
http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/hamburg/article7924700/Das-Tauziehen-um-die-Rote-Flora-geht-weiter.html

Noch mehr Brisanz gewinnt der Konflikt durch Berichte, wonach Ole von Beust seinen Rücktritt nach dem Bürgerentscheid zur Schulreform plant. Nachfolger soll niemand anderer als Christoph Ahlhaus werden. Der jetzige Innensenator, der aufgrund seines innenpolitischen Fanatismus, im Zusammenhang mit polizeilichen Gewaltexzessen auf dem Schanzenfest 2009, schon mal den Spitznamen Ahlhab erhielt. Eine Analogie zum hasszerfressenen Kapitän Ahab aus Moby Dick. Ein solcher Wechsel würde allem Anschein nach einen Rechtsschwenk in der Hamburger Politik bedeuten. Ob schwarz/grün in einer solchen Konstellation weiter existiert ist, ebenso ungewiss, wie die daraus folgenden Optionen, die von einer Neuwahl bis zu einer großen Koalition reichen. Letzteres wäre eine politische Konstellation, die für die Rote Flora, das Recht auf Stadt Netzwerk und politische Opposition überhaupt, sicherlich die schlechteste wäre.
http://www.bild.de/BILD/politik/2010/06/04/ole-von-beust/die-wahrheit-ueber-hamburgs-ersten-buergermeister.html

Bisher ist die Vorbereitung eines Angriffes auf das Projekt frühestens für 2011 befürchtet worden, nun droht sich die Situation möglicherweise bereits in diesem Jahr zuzuspitzen. Seit Anfang des Jahres wird im Umfeld der Roten Flora, an einer Kampagne zum Erhalt des Projektes gearbeitet. Alle wurden aufgefordert sich einzumischen und schon im Vorfeld eine politische Stimmung zu erzeugen, die eine Räumung unmöglich macht. Ein Räumungsszenario wird nicht ohne massiven Widerstand stattfinden. Solidarität gibt es nicht nur in Hamburg, sondern auch bundesweit und international. Was der Konflikt um das Ungdomshuset in Kopenhagen als Initialzündung für die europäische Squatterbewegung war, könnte sich in der Auseinandersetzung um die Flora wiederholen.

Das besetzte Zentrum ist bis in bürgerliche Kreise hinein als Bestandteil der Subkultur anerkannt, Schnittstelle für linksradikale und autonome Spektren und ein überregionales Symbol des Kampfes gegen eine verfehlte städtische Politik. Ein mögliches Räumungszenario wird nicht nur von Protesten und Barrikadenkämpfen begleitet sein, sondern vor allem von einer Diskussion ob Stadt ein Ort der Ökonomie oder ein Ort der Menschen die in ihr leben ist. In diesem Umstand liegt der wirkliche Sprengstoff der Auseinandersetzung für den Senat. Das Hamburger Abendblatt beklagt, der Konflikt um die Flora könne einen "Flächenbrand auslösen". Diese Gefahr ist in den letzten Monaten, nicht durch einen abstrakten Verbalradikalismus gewachsen, sondern vor allem durch die Bemühungen sich inhaltlich aufstellen und über einen Kampf um einen Freiraum hinaus, an gesellschaftlichen Brennpunkten zu intervenieren und abweichende Konzepte zu diskutieren.

Das Projekt lebt durch politische Zusammenhänge die sich um die Flora bewegen. Es ist Teil der Auseinandersetzung um Recht auf Stadt, ist ein politischer Faktor in der Diskussion um Gentrifizierung und Drogenverbotspolitik, beteiligte sich an Protesten im Schanzenviertel oder an innerlinken Diskussionen und Auseinandersetzungen. Die Roten Flora ist keine lokale Erscheinung. In den letzten Monaten nahm bundesweit die Anzahl von Hausbesetzungen zu. Von Freiburg und Darmstadt über Köln nach Hamburg fanden Neubesetzungen statt. In Berlin kämpfen mehrere Projekte um ihren Erhalt. Im September findet dort ein europaweites Intersquat-Festival statt, welches der Bewegung neuen Schub verleihen könnte.

Im November ist zudem ein bundesweiter Aktionstag gegen Gentrifizierung angedacht und es findet eine bundesweite Mobilisierung gegen die Innenministerkonferenz statt. Auf dieser wird es auch um die sogenannte Extremismusdiskussion und die gesellschaftliche Rolle linksradikaler Politikansätze und damit auch die Zukunft von besetzten Projekten wie der Roten Flora gehen. Autonome und antirassistische Gruppen organisieren eine Infrastruktur und vielfältige Proteste, rufen dazu auf sich die Woche um den 18./19. November frei zu nehmen und sich an den Aktionstagen und Demonstrationen in Hamburg zu beteiligen.

Ein Drehbuch für die nächsten Szenen der Auseinandersetzung um die Rote Flora scheint sich möglicherweise für Herbst abzuzeichnen. Was noch fehlt ist die Verteilung der Haupt- und Nebenrollen, wer Regie führt und die Entscheidung in welches Genre diese Produktion fällt. Für die Besetzer_innen ist klar, dass es kein historisierender Sandalenfilm, sondern eher ein mehrteiliges Science-Fiction-Epos werden soll. Keine Tragödie sondern eine so ausufernde Space Opera, dass das Millionengrab der Elbphilharmonie als billiger Konzertsaal einer gescheiterten Stadtentwicklungspolitik erscheint.

 

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