Kurz nach 10 Uhr nimmt Michael Richter auf dem Zeugenstuhl Platz. Er ist der erste Geschädigte, der vor Gericht aussagen wird. Begleitet wird er von einem Zeugenbeistand der Beratungsstellen für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V.
Michael Richter ist Stadtrat für die Partei Die Linke in Freital. Er berichtet über den Anschlag auf sein Auto. Das fällt ihm nicht leicht, danach gefragt, wie es ihm damit geht, heute aussagen zu müssen, sagt er: „Ganz offen, es ist beschissen.“ In der Tatnacht habe er geschlafen und sei durch einen sehr lauten Knall gegen 0:45 Uhr aufgewacht und daraufhin „sehr schnell“ zum Schlafzimmerfenster geeilt. Er habe gesehen, dass aus seinem Auto eine „tiefschwarze Wolke“ ausgetreten sei und die Scheibe kaputt gewesen sei. Personen seien ihm nicht aufgefallen. Ein Nachbar habe geklingelt und ihm gesagt, dass sein Auto zerstört sei. Anschließend habe Richter die Polizei verständigt, die nach fünf bis sechs Minuten vor Ort eingetroffen sei und dann den Tatort in Augenschein genommen habe.
Der Sachschaden am PKW belaufe sich auf 1.800 Euro, von dem ihm 1.196 Euro ersetzt worden seien, so Richter. Zu den Tatverantwortlichen habe er nur Vermutungen gehabt, aber keine konkreten Hinweise. Richter schildert, dass er zuvor auf Facebook von der „rechten Szene“ bedroht worden sei. Da hieß es, er solle an die Wand gestellt, erschossen oder gesteinigt werden. Richter erinnert sich auch an eine Situation auf der Straße beim Plakatieren, als er aus einem Auto heraus angepöbelt worden sei.
Der Anschlag und die Drohungen hätten dazu geführt, dass der Zeuge seinen Tagesablauf „dramatisch umgestellt“ habe. Sichtlich mitgenommen berichtet Richter, dass er jeden Morgen einen anderen Weg zur Arbeit gehe und das auch nie zur „selben Zeit“. Richter bricht während der Schilderungen in Tränen aus. Er versuche auch an den Wochenenden nicht in Freital zu sein. Nach dem Anschlag hätten sich die Beleidigungen fortgesetzt.
Insbesondere sei das von ihm genutzte Parteibüro zum Ziel von Attacken geworden. Dort seien außerdem Sprüche mit üblen Beleidigungen hinterlassen worden. Am ehemaligen REAL-Markt sei die Parole „Richter raus“ gesprüht worden. Sein Briefkasten sei „kurze Zeit“ nach dem Anschlag mit Bauschaum zugesprüht worden. Immer wieder hätten Unbekannte dort NPD- und Antiasyl-Sticker hinterlassen, außerdem auch selbstgestaltete Aufkleber. Darauf habe etwa gestanden „Richter, wir kriegen dich…“. Auf die Anmeldung von Demonstrationen habe er verzichtet, auch sein politisches Umfeld sei eingeschüchtert gewesen und habe sich zurückgezogen.
Im November 2015 sei es dann „relativ still“ geworden. Die Verhaftungen habe er als „Erleichterung“ empfunden. Es habe noch Anti-Asyl-Graffiti gegeben, aber keine Anfeindungen mehr gegen Richter selbst. Heute nutze er das Parteibüro nicht mehr.
Der zweite Zeuge ist KHK S., der beim LKA Sachsen arbeitet. Er ist für die Tatortarbeit zuständig, wenn Sprengmittel eingesetzt werden und schilderte vor Gericht seine Arbeit zum Anschlag auf eine von Asylsuchenden bewohnte Wohnung auf der Bahnhofstraße am 20. September 2015.
Er und seine Kollegen seien in den frühen Morgenstunden nach dem Anschlag am Tatort eingetroffen und von den Beamten aus Dippoldiswalde bzw. Freital eingewiesen worden. Diese hatten „großzügig“ abgesperrt, die Straße sei „leer“ gewesen und ebenfalls gesperrt. S. schildert, dass die Schadenseinwirkung offensichtlich gewesen sei, Splitter lagen vor dem Fenster, der Fensterrahmen sei „massiv demoliert“ gewesen, im Innenraum seien „überall“ Glassplitter verstreut gewesen.
Die Analsyse habe ergeben, dass der Schaden auf einen Cobra-12-Sprengkörper zurückzuführen sei. Der Beamte unterstreicht dessen „erhebliche“ Sprengkraft, die „direkt vor dem Körper“ eine „tödliche Wirkung“ haben könne. Auch die aufgefundenen Plastik- und Glassplitter können im „näheren Umfeld“ schwerste Verletzungen hervorrufen. Der Sprengköper sei entweder am Rahmen oder am Fenster befestigt worden. Unterhalb des Fensters habe man einen blauen Klebebandrest gesichert, berichtet der Zeuge auf Nachfrage eines Nebenklagevertreters. Dass auch eine Kugelbombe zum Einsatz gekommen sei, schließe S. eher aus. Man habe nur Pappreste von einem Cobra-12 gefunden und keine halbkreisförmigen Pappreste, wie sie bei Kugelbomben üblicherweise zu finden seien.
Cobra-6- und Cobra-12-Sprengkörper seien dem Zeugen vor allem von Automatensprengungen bekannt. Die Sprengkörper seien in der EU nicht zugelassen, S. verstehe wegen der hohen Sprengkraft nicht, wieso diese benutzt und hergestellt werden.
Der Zeuge war auch einen Tag später am Linken-Parteibüro, auf das ebenfalls ein Anschlag mit Sprengkörpern verübt wurde. Das Schadensbild sei »ähnlich« zu dem in der Bahnhofstraße gewesen. Das Gericht nimmt von beiden Tatorten Fotos in Augenschein. Gezeigt werden außerdem Fotografien eines gesprengten Briefkastens vor einem Mehrfamilienhaus. Angesichts der Bilder erinnert sich der Zeuge, dass der Briefkasten »extrem deformiert« gewesen sei. Auch hier seien Super-Cobra-Reste aufgefunden worden, so der LKA-Beamte.
Der Zeuge wird nach seinen Schilderungen entlassen. Das Gericht hat noch Ferenc A. als Zeugen vorgeladen. Der ist jedoch nicht erschienen. Die GBA beantragt daraufhin ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro zuzüglich der entstandenen Verfahrenskosten, sowie die polizeiliche Vorführung.
Zum Abschluss nimmt die GBA außerdem noch Stellung zu einigen Beweisanträgen, außerdem beantragen mehrere Verteidigungen den Verzicht auf Trennscheiben bei Anwaltsbesuchen. Dann ist der heutige Verhandlungstag vorzeitig beendet.
Einzige Zeugin am ersten Prozesstag nach den Osterferien ist die Staatsanwältin Grit Kirchhof. Sie war intensiv mit den Verfahren in Freital befasst und bis zum März 2016 federführend für die Ermittlungen verantwortlich. Der Vorsitzende Richter Fresemann bittet die Zeugin zunächst um eine Schilderung ihrer Tätigkeit. Kirchhof berichtet sehr knapp, dass es zunächst mehrere Verfahren gegen Unbekannt gegeben hätte, für die die Staatsanwaltschaft Dresden zuständig gewesen sei. Anfang Herbst – sie denke, es war im September – sei dann entschieden worden, dass alle Freital-Fälle mit Sprengstoffnutzung auf ihrem Tisch landen.
Später habe die Generalstaatsanwaltschaft (GeSta) Dresden entschieden „mehrere“ Verfahren zu übernehmen, die Anschläge Overbeckstraße und Wilsdruffer Straße seien dort zu einem Verfahren zusammengefasst worden. Alle weiteren Verfahren liefen getrennt unter eigenen Aktenzeichen, so Kirchhof. Für die beiden genannten Anschläge habe die GeSta im Februar 2016 vor dem Amtsgericht Dresden Anklage erhoben. Im März habe der Generalbundesanwalt (GBA) das Verfahren geprüft und die Übernahme beschlossen, woraufhin die Anklage zurückgezogen worden sei, erklärt Kirchhof am Ende ihrer Ausführungen.
Fresemann kommentiert, dass das „eine schmale Schilderung“ sei. Aber erst mit konkreten Fragen und Vorhalten, gelingt es tiefer in die Details einzudringen und die Erinnerungen der Staatsanwältin anzuregen. Es entwickelt sich eine mehrstündige Befragung. Darin beschreibt Kirchhof, dass sie im September 2015 erstmals mit den heute angeklagten Fällen befasst gewesen sei, mit welchem jedoch genau, könne sie nicht erinnern. Wenig ergiebig ist ihr Wissen um die Ermittlungsmaßnahmen, es habe Befragungen von Nachbarn gegeben, außerdem habe es eine Telekommunikationsüberwachung gegen Mike S. gegeben, wie sie darauf gekommen sind, könne sie nicht mehr erinnern. Das erste Verfahren sei ihrer Einschätzung nach „eins von vielen“ gewesen, Kirchhof verweist auf Heidenau, die Bremer Straße in Dresden. Es sei „unheimlich viel“ los gewesen, weswegen, die Taten nicht mehr nach dem Buchstaben der Geschädigten, sondern nach Tatorten auf die Staatsanwälte verteilt worden wären. In Freital habe sie „schon das Gefühl gehabt“, dass da jemand unterwegs sei, „wo man nicht weiß, worauf das hinausläuft“.
Dennoch habe Kirchhof „keine Anhaltspunkte“ gesehen, dass die Freital-Fälle zusammengehören würden, die Verfahren hätten sich „parallel entwickelt“. Es sei wie ein „Puzzle mit tausend Teilen“ gewesen, am Anfang habe man aber nur „fünf Teile“ gehabt. Sie berichtet von einer Besprechung zwischen der Staatsanwaltschaft und drei Beamten des Operativen Abwehrzentrums (OAZ), die vermutlich Ende Oktober 2015 stattgefunden habe. Dabei sei es darum gegangen, zu schauen, was man bereits ermitteln konnte und was nächste Schritte sein könnten. Kirchhof sagt, man habe „Angst“ gehabt, das noch etwas passiert. Zum Resultat des Treffens bleibt die Staatsanwältin vage: „Ich bin mir nicht sicher“. Ihrer Erinnerung nach habe man aber einen „Konsens“ gefunden, wozu könne sie aber nicht mehr rekapitulieren.
Sie sei auch zu einem weiteren Treffen im gleichen Zeitraum eingeladen gewesen. Das habe der Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Klaus Fleischmann „geführt“. Außerdem seien Beamte der Ermittlungsgruppe (EG) Deuben und mehrere Leitungskräfte der Polizei zugegen gewesen. Das Thema sei Freital gewesen. Ab November 2015 sei Kirchhof die Ansprechpartnerin für die EG Deuben gewesen, die nach einem Tatort im entsprechenden Freitaler Stadtteil benannt worden sei. Zugleich war sie „teilabgeordnet“ zur Generalstaatsanwaltschaft Dresden und war dort mit der Auswertung der Durchsuchungen und den Vernehmungen betraut. Außerdem sollte sie für das eine Verfahren zu den Anschlägen Overbeckstraße und Wilsdruffer Straße eine Anklage verfassen.
Kirchhof berichtet, dass noch viele Ermittlungsergebnisse gefehlt hätten, darunter „diverse“ Zeugenbefragungen und Berichte von den Wohnungsdurchsuchungen, die „erst spät“ gekommen seien. Kirchhof hebt hervor, dass Zeugen nicht hätten mitarbeiten wollen, bei anderen sei die Terminfindung mit Dolmetschern „schwierig“ gewesen. Zugleich muss sie aber auch einräumen, dass bis März 2016 keine polizeiliche Auswertung der bei den Durchsuchungen beschlagnahmten Handys und PCs vorgelegen habe.
Die Anklage, die sie im Namen der Generalstaatsanwaltschaft verfasst hat, habe Kirchhof ohne diese Auswertung geschrieben. Die Anklage wurde nach Rücksprache mit Oberstaatsanwalt Wiegner und Oberstaatsanwalt Seemann vor dem Jugendschöffengericht eingereicht. Das habe sich aus der Aktenlage, den Tatvorwürfen und den rechtlichen Möglichkeiten ergeben, erklärt Kirchhof.
Die Anklage sei außerdem zum GBA geschickt worden, woraufhin dieser im März 2016 die Akten vor Ort in Dresden geprüft habe und im selben Monat das Verfahren an sich gezogen habe. Zuvor habe es noch „mehrfach“ Schriftverkehr gegeben, an den sich Kirchhof aber nicht mehr erinnern könne. Sie gehe davon aus, dass das Thema Übernahme „bestimmt“ diskutiert worden sei, wisse aber nicht mehr „wann, wo und wie genau“. Die Generalstaatsanwaltschaft habe dabei wohl die Auffassung vertreten, dass weder eine Tötungsabsicht noch Ansätze für ein Organisationsdelikt vorgelegen hätten. Auf die Frage eines Verteidigers, ob das Verfahren nochmal in der Staatsanwaltschaft ausgewertet worden sei, antwortet die Staatsanwältin: „Das sagt mir nichts.“
Auskunftsfreudiger zeigt sich die Staatsanwältin hinsichtlich der Vernehmung des Angeklagten Timo S. Er wurde am 18. Dezember 2015 von der Staatsanwältin und zwei OAZ-Beamten vernommen. Eine Kronzeugenregelung sei ihm nicht angeboten worden, so Kirchhof, gleichwohl sei er darauf hingewiesen worden. In der Vernehmung habe Timo S. den Mitangeklagten Patrick F. stark belastet, er habe gesagt, dass der Plan für den Anschlag Overbeckstraße von ihm stamme. Er habe außerdem den Angriff mit zwei Gruppen beschrieben und eingeräumt dabei einen Sprengkörper mit einer daran befestigten Buttersäureflasche geworfen zu haben.
Weitere Beteiligte sollen seinen Angaben nach „Benny“, „Flo“, „Robert“, „Peukert“, Rico K. und Torsten L. gewesen sein. Ansonsten, berichtet Kirchhof, habe er sich mit der Schilderung eigener Tatbeiträge zurückgehalten. Seine Aussagen hätten auch im Widerspruch zu Schilderungen etwa von Maria K. gestanden und seien oft „schwammig“ gewesen, erinnert sich die Zeugin. Eine Beteiligung an der Tatplanung habe Timo S. bestritten und begründet das mit fehlender Ortskenntnis. Er habe jedoch auch gesagt, dass „sie“ schon mehrmals vor dem Objekt in der Overbeckstraße gewesen seien. Da habe man sich vor das Haus gestellt, um zu „provozieren“.
Zum Anschlag Wilsdruffer Straße habe Timo S. gesagt, dass er von Patrick F. „weggeschickt“ worden sei, weil er „nicht gebraucht“ werde. S. habe sich aber mit Rico K. in der Nähe des Tatorts aufgehalten und das Geschehen beobachtet. Timo S. habe „vermutet“, dass beim Anschlag C12-Sprengkörper eingesetzt worden seien.
Später, nach einer weiteren Rücksprache mit seinem Anwalt, habe Timo S. weitere Angaben gemacht. Er habe „ganz viel“ erzählt, erklärt Kirchhof, so etwa zum Anschlag auf den PKW von Michael Richter, außerdem habe er von zwei Attacken auf eine Wohnung in der Bahnhofstraße berichtet – die Ermittler und die Staatsanwältin wussten zu dem Zeitpunkt lediglich von einem Vorfall. Timo S. habe auch über die Attacken auf das Parteibüro der Linken gesprochen, von der „To-Do-Liste“, von den rassistischen Ausschreitungen in Heidenau, wo Timo S. am Samstag einen Stein geworfen haben will, von einem Vorfall in Dresden-Prohlis, von der Sprengung eines Briefkastens durch ihn und Mike S., sowie von drei Brandstiftungen am ehemaligen Real-Markt in Freital. Er habe auch den Kontakt zwischen Patrick F. und einem Bereitschaftspolizisten beschrieben, über den sie Informationen zu Polizeieinsätzen erhalten hätten.
Das seien Sachen gewesen, die „wir noch nicht auf dem Schirm hatten“, so Kirchhof. Oft benennt S. Personen, von denen er wisse oder vermute, dass sie die Taten begangen hätten oder beteiligt gewesen seien. Zum Heidenau-Samstag habe er etwa berichtet, dass die Planung von der „SSS“ (Skinheads Sächsische Schweiz) und der Freien Kameradschaft Dresden übernommen worden wäre. Kirchhof hat darin aber keine richtigen Ermittlungsansätze gesehen, weil die Angaben „zu unkonkret“ gewesen seien. Kirchhof habe nicht gewusst, ob er es „nur so“ gesagt habe, oder ob er es „ernst“ meine. Sie denkt aber, dass die Polizei „irgend etwas“ damit gemacht habe, „offenbar aber ohne Ergebnis“.
Kirchhof schätzt ein, dass die Vernehmung „schon einige“ neue Informationen erbracht habe. Allerdings sei schon deren Aufbereitung „schwierig“ gewesen, die Aussagen hätten erst einmal den einzelnen Verfahren zugeordnet werden müssen, so Kirchhof. Auf die Frage des Vorsitzenden, warum die Informationen nicht in der damaligen Anklage aufgegriffen worden seien, antwortet die Staatsanwältin, dass etwa die Anschläge Bahnhofstraße und PKW Richter im Februar 2016 „noch nicht anklagereif“ gewesen seien. Probleme habe es unter anderem mit der Verschriftlichung der Vernehmung von Timo S. gegeben, die erst im Januar 2016 zur Akte genommen werden konnte.
Um 16:40 Uhr unterbricht das Gericht die Befragung der Zeugin, die Vernehmung soll am folgenden Prozesstag fortgesetzt werden. Fresemann verkündet außerdem noch den Senatsbeschluss, dass der nicht erschienene Zeuge und Tatverdächtige Ferenc A. ein Ordnungsgeld von 150 Euro zahlen und die durch den Ausfall der Vernehmung entstandenen Kosten tragen muss.
Der 12. Verhandlungstag beginnt mit der fortgesetzten Vernehmung der Staatsanwältin Grit Kirchhof. Zunächst liegt das Fragerecht noch bei der Verteidigung, mehrere Verteidiger thematisieren den Zeugen, dem durch die Staatsanwaltschaft Vertraulichkeit zugesichert worden ist. Die Staatsanwältin kann dazu aber nicht viel berichten, ihr sei nicht bekannt gewesen, bei wem es sich bei diesem Zeugen gehandelt habe, überhaupt sei es das erste Mal gewesen, dass sie so einen Zeugen in einer Akte gehabt habe. Ein Polizist hätte einmal den Verdacht geäußert, dass es Torsten L. sein könnte. Für solche Vertraulichkeitszusagen sei die Abteilung IV zuständig, wer genau, wisse sie aber nicht. Das müsse man ihren Abteilungsleiter Oberstaatsanwalt Schär fragen.
Von einem Nebenklagevertreter wird sie nach Mitschriften von der Vernehmung des Angeklagten Timo S. gefragt. Diese seien weiterhin in ihrem Besitz. Da auch das Gericht keinen Hinderungsgrund sieht, sei sie auch bereit, diese zur Verfügung zu stellen. Rechtsanwältin Pietrzyk fragt im Anschluss nach Kontakten zu anderen Staatsanwaltschaften. Nach einem Vorhalt erinnert sich Kirchhof, dass sie in Leipzig nach der Aushändigung eines Smartphones vom Angeklagten Rico K. ersucht habe. „Vielleicht weil Knobloch mit in Connewitz dabei“ gewesen sei, erinnert sich die Zeugin.
Die Auswertung der Vernehmung wird nochmals thematisiert. Kirchhof sagt, die Polizei sei dafür zuständig gewesen und habe anschließend Vorschläge für die Aufnahme weiterer Beschuldigter unterbreitet, über die die Staatsanwältin entschieden hätte. Zu Heidenau ergänzt die Zeugin, dass Timo S. gesagt habe, dass die Pyrotechnik von „den Dresdnern“, „der SSS“ und dem Angeklagten Mike S. mitgebracht worden sei. Damals hätten die Dresdner „das Go“ gegeben. Auch zum PEGIDA-Jahrestag 2015 habe Timo S. berichtet, erklärt Kirchhof. Es sei darum gegangen, ob er da dabei gewesen sei. Kirchhof wird vorgehalten, dass S. gesagt habe, dass es bundesweit „einen Riesenaufruf“ gegeben habe. 500 bis 600 „Schwarze“ seien zusammengekommen, deren Ziel sei es gewesen „linke Gruppen zu attackieren“. Kirchhof bestätigt das: „Sowas allgemeines hat er gesagt.“
Von einem Strukturermittlungsverfahren zum Freital-Komplex während ihrer Tätigkeit für die Generalstaatsanwaltschaft weiß die Zeugin nichts. Ihrer Erinnerung nach habe es das nicht gegeben, weil erstmal Ergebnisse der laufenden Ermittlungen abgewartet werden sollten. Es habe lediglich einen Prüfvorgang gegeben. Das bedeute jedoch nicht, dass es einen entsprechenden Anfangsverdacht hinsichtlich einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung gegeben habe, so Kirchhof. Vielmehr sei es darum gegangen, alles zu sammeln.
Erst wenn „genügend da ist“, werde die Entscheidung über ein Ermittlungsverfahren getroffen. Zu einer Hausmitteilung der GeSta vom März 2016 und unterschrieben von Oberstaatsanwalt Wiegner, in der geschrieben gestanden haben soll, dass die Täter zwar „vernetzt“ gewesen seien, aber keine „Organisation“ gebildet hätten und außerdem keine „hinreichende Erkenntnis“ für eine Struktur vorliege, weiß Kirchhof nichts zu sagen. Das gilt auch für eine Landtagsanfrage vom Mai 2016, in der der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow geschrieben hat, im Freital-Komplex seien Strukturermittlungen veranlasst worden. „Das müssten sie den Justizminister fragen“, reagiert Kirchhof auf den Vorhalt.
Die Staatanwältin bestätigt, dass die Beschuldigten während der Untersuchungshaft keinen Kontakt zu Mithäftlingen unterhalten durften, die wegen ähnlicher Verfahren inhaftiert seien. Dass Philipp W. in der JVA gemeinsam mit dem mittlerweile verurteilten Oldschool Society-Mitglied Markus W. einsaß, habe sie nicht gewusst. Sie hoffe, dass es da keinen Kontakt gegeben habe, wisse es aber nicht.
Nach gut zwei Stunden ist die Befragung beendet und die Zeugin wird entlassen. Nach einer Pause verliest das Gericht erneut Briefe der Angeklagten.
Der erste stammt vom Angeklagten Mike S. und ist auf Oktober 2016 datiert. Das Schreiben ist offenbar an den GBA gerichtet und Mike S. äußert sich darin zu den Vorwürfen. Er räumt unter anderem die Beteiligung am Anschlag Overbeckstraße ein. Im PKW des Mitangeklagten Sebastian W. sei ihm die Buttersäure übergeben worden, sie stamme nicht von ihm. Vor Ort habe Timo S. eingeteilt wer was werfen solle. Mike S., so heißt es in seinem Schreiben, habe eine Flasche mit daran befestigter Pyrotechnik auf das Wohngebäude geworfen, genauso Timo S. Patrick F. habe eine Kugelbombe geworfen. Im Brief heißt es weiter, dass Mike S. die Aktion „zutiefst bereue“ und froh sei, dass niemand zu Schaden gekommen sei. Es sei eine „sinnlose Aktion“ gewesen. Als Admin der Facebookseite FTL360 sei er ohne sein Einverständnis von Timo S. hinzugefügt worden. Später habe er die Seite löschen wollen, Timo S. habe aber gesagt, dass sei „seine Seite“ und „die bleibt“. Die Seite von „FRIGIDA“ habe Dirk Abraham betreut und die Seite von „Widerstand FTL“ Philipp W.
Im Brief heißt es außerdem, dass Timo S. vor dem Hotel „Prinz Eugen“ in Dresden-Laubegast einen Linken attackiert hätte. Diesen habe er in den Magen geschlagen. Zur „Fremdenfeindlichkeit“ wendet Mike S. ein, dass er sich vom NS-Regime distanziere. Er habe mit „vielen Zeitzeugen“ gesprochen und sei „schockiert“ gewesen. Seine Äußerungen im „KakaoTalk“ schiebt Mike S. auf „Gruppenzwang“, er habe sich „lenken und verleiten“ lassen. Den Brief will er ohne seinen Anwalt geschrieben haben.
Der zweite Brief ist ebenfalls an den GBA gerichtet und stammt von Patrick F. Darin räumt er die Beteiligung am Anschlag auf den PKW von Michael Richter ein. Er habe erst ein, zwei Wochen vorher Timo S. bei einer Kundgebung vor dem Leonardo-Hotel kennengelernt und sei dann in Kontakt mit der Gruppe gekommen. Lediglich Maria K. habe er bereits über einen gemeinsamen Freund gekannt. Timo S. habe gesagt, dass er Michael Richter „enorm hasse“, deswegen müsse sein PKW beschädigt werden. Patrick F. habe sich daran beteiligt, weil es das Gerücht gegeben habe, er sei „Zivilpolizist“.
Das Gerücht sei entstanden, weil er in seinem PKW „legal“ eine Waffe mitgeführt habe. Mit vier Fahrzeugen sei man zum PKW von Michael Richter aufgebrochen, jedoch sei dieser Anlauf wegen Unstimmigkeiten über den Fluchtweg abgebrochen worden. Ein bis zwei Wochen später habe er gemeinsam mit Sebastian S., Ferenc A. und Maria K. einen erneuten Versuch unternommen. Maria K. sei an der ARAL geblieben, um die Reaktion der Polizei zu verfolgen. Von der Wucht der Explosion seien sie „sehr überrascht“ gewesen, heißt es weiter.
Im Schreiben wird auch der Anschlag auf das Linken-Parteibüro thematisiert. Hier habe Patrick F. das Fluchtauto gefahren, während Philipp W. und Sebastian S. die von Patrick F. mitgebrachten „Böller“ gezündet hätten. Die sogenannte To-Do-Liste wird im Brief als „kleiner, böser Scherz“ bezeichnet, es sei darum gegangen „etwas Angst“ bei den namentlich Genannten zu verbreiten.
Nach der Verlesung ist der 12. Hauptverhandlungstag am Ende angelangt. Der Prozess wird am Dienstag, den 25. April 2017 fortgesetzt.
Bericht aus Sicht der Nebenklage und fortlaufender Pressespiegel
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