Immer wenn es brenzlig wird für die AfD, wenn es um Rechtsextremisten in den eigenen Reihen geht, gibt sich Jörg Meuthen ahnungslos. Der Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag wird am Wochenende beim Bundesparteitag in Köln wieder ganz vorne neben Frauke Petry sitzen.
Von Anna Hunger, Ausgabe 316
Es war im Februar 2016, kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg, da fragte auf einer Wahlveranstaltung in Sulz am Neckar ein Gast den Redner Jörg Meuthen: "Wie schafft es die Partei, zu Rechtsradikalen eine deutliche Distanzierung zu gewinnen?" Und Meuthen, offensichtlich genervt von so viel Dreistigkeit, fragte zurück: "Haben Sie den Eindruck, hier seien Rechtsradikale?" Der Professor hat den Eindruck nicht. Rechtsradikale? Antisemitische Äußerungen? Sein Name ist Hase, davon weiß er nichts.
Dabei ist der Mann Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, Bundessprecher, Co-Vorsitzender der AfD. Zweiter Mann hinter, nein, neben Frauke Petry, aber immerhin. Da könnte man manchmal schon ein wenig mehr wissen.
Meuthen weiß nichts von einem Interview mit ihm
So weiß Meuthen natürlich auch nichts vom "Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten", getragen von anonymen Spendern, einem Verein mit Sitz in Stuttgart Degerloch, fünf Kilometer Luftlinie vom Stuttgarter Landtag entfernt. Ein Verein, der mit Plakaten und einem "Extrablatt", herausgegeben von einem AfD-Mitglied aus Oberfranken, Wahlwerbung für die "Alternative für Deutschland" macht. "Ich habe damit nichts zu tun. Meine Partei hat damit nichts zu tun", sagte Meuthen Anfang März 2016 der Deutschen Presse Agentur. Offiziell weiß er auch nichts von einem Interview mit ihm selbst, das in diesem rechten Blättchen erschienen war. Dem Handelsblatt erklärte er dazu: "Sollte es tatsächlich fremdenfeindliche Positionen und herabwürdigende Karikaturen enthalten, stünden diese ganz sicher nicht in Einklang mit den Positionen meiner Partei, da wir uns bekanntermaßen von Fremdenfeindlichkeit und Herabsetzung anderer Menschen egal welcher Herkunft klar distanzieren." Mit Fremdenfeindlichkeit will Meuthen – bekanntermaßen – sowieso nichts zu tun haben.
Offiziell nicht in Einklang mit den Positionen seiner Partei steht zum Beispiel auch Wolfgang Gedeon, Landtagsabgeordneter vom Bodensee mit Hang zu antisemitischen Buchpublikationen. Als das ans Licht kam, erklärte Fraktionschef Meuthen, er habe von den Publikationen natürlich nichts gewusst, und er will auch Gedeons Texte und deren kruden Inhalt nicht gekannt haben. Bis, ja bis die FAZ ihm anhand von zwei Jahre alten E-Mails das Gegenteil bewies. Meuthen gab sich empört über diesen Antisemiten in seinen Reihen, drohte mit Rücktritt, sollte Gedeon die Fraktion nicht verlassen, "Sonst würde meine Glaubwürdigkeit schwer erschüttert", sagte er damals und spaltete seine Fraktion in zwei Hälften.
Der Antisemit Gedeon sitzt fraktionslos weiterhin im Landtag, ist weiterhin Mitglied der AfD und verbreitet weiterhin seine kruden Ansichten zu Antisemitismus und Holocaust auf seiner Homepage. Derzeit als "Strategisches Papier zur Situation vor der Bundestagswahl – Gewidmet den mutigen Kämpfern und Wahrheit-Suchern in der AfD!". Aber was ein Ex-AfD-Fraktionsmitglied so in seiner Freizeit macht, davon muss Meuthen nun wirklich nichts wissen.
Zur Wiedervereinigung der gespaltenen Fraktion verkündete der beurlaubte Fachhochschulprofessor, alle AfD-Abgeordneten hätten eine Erklärung gegen Antisemitismus unterzeichnet. Doch mit Stefan Räpple gab es mindestens ein Fraktionsmitglied, das nicht unterschrieben hatte. Meuthens Glaubwürdigkeit ist eine etwas diffizile Angelegenheit. Aber was ist heute schon einfach?
Laut Meuthen grenzt sich die AfD klar von der NPD ab
Im September 2016 gab Meuthen dem Deutschlandfunk ein bemerkenswertes Interview über eine mögliche Zusammenarbeit mit der NPD. Die er verneinte, auch wenn er – das war Thema das Interviews – vernünftige parlamentarische Vorschläge anderer Parteien, eben auch der NPD, rein theoretisch unterstützen würde. Die AfD sei ja eine Partei des gesunden Menschenverstandes. "Wir haben eine ganz klare Abgrenzung zu allen extremistischen Positionen und Parteien", sagte er im Interview. Und: "Die AfD wird niemals mit Extremisten paktieren, kooperieren oder zusammenarbeiten." Mhm.
Da gibt es einen Screenshot der Antifa Freiburg von einem Facebook-Post, den Alexander Neidlein, NPD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, vor noch gar nicht so langer Zeit abgesetzt hat. Er teilte einen Artikel der Südwestpresse über den AfD-Abgeordneten Udo Stein aus Bühlertann, der sich "gegen Rechtsextreme aus eigenen Reihen" abgrenzt. "Unglaublich", schreibt Neidlein darunter "dieser Penner hat bei der Bundestagswahl noch Plakate von uns aufgehängt und Flugis verteilt." Meuthen sagt dazu auf Anfrage: nichts.
Meuthen sagte dem Deutschlandfunk beispielsweise auch: "Wir haben hier vom Bundesvorstand eine völlig klare Linie, die sagt, wir wollen mit der Identitären Bewegung nichts zu tun haben." An dieser Stelle ein kleiner Exkurs: Wer Mitglied werden möchte in Deutschlands Alternativpartei, muss eine Unvereinbarkeitserklärung abgeben, auf der er ankreuzt, ob er mal Mitglied in einer extremistischen Partei oder Organisation war, beispielsweise der Identitären Bewegung. Wenn ja, wird's leider nichts mit der Parteimitgliedschaft. Theoretisch. Praktisch steht aber im Kleingedruckten des Formulars, dass der "Landesvorstand sich nach Einzelprüfung mit Zweidrittel seiner Mitglieder trotzdem für eine Aufnahme entscheiden" kann. Puh, da kann man froh sein, dass Jörg Meuthen eine "ganz klare Abgrenzung" zu Extremisten hat. In seiner Rede auf dem Bundesparteitag 2016 in Stuttgart sagte er jedenfalls: "Lassen sie sich von der Presse nicht irritieren, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.... Dieses ganze Bild der Ausländerfeindlichkeit, das man uns anzuheften versucht, (ist) nichts als schiere Lüge und Mumpitz."
Dann ist da aber noch Marcel Grauf, Mitarbeiter der beiden AfD-Landtagsabgeordneten Heiner Merz und Christina Baum. Der soll nach Recherchen der Antifa Freiburg im Mai 2009 als Landesorganisationsleiter der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten zur Schulung im "Raum Schwäbisch Hall" eingeladen haben – es ging unter anderem um "politische Grundbegriffe, PC-Sicherheit, Rhetorik, eine Rechtsschulung". So steht es samt Mailadresse und Telefonnummer auf einem Einladungsschreiben, das im Netz kursiert. Der Landtagsabgeordnete Merz hält das für "eine Lüge". Grauf habe sich nur "auf Veranstaltungen der NPD herumgetrieben". Beim Einstellungsgespräch hätte er erklärt, er sei bei keiner Partei aktiv. "Hätte ich von NPD-Aktivitäten gewusst, würde er nicht für mich arbeiten", sagt Merz. Und Christina Baum schreibt auf Kontext-Nachfrage: "Ich gestehe allerdings auch, dass ich nicht nachvollziehen kann, wen überhaupt die jugendliche Vergangenheit meines Mitarbeiters interessieren könnte."
Die taz fragte auch Jörg Meuthen nach seiner Meinung zur Personalie Grauf und schrieb dann: "Auch Fraktionschef Meuthen will sich nicht äußern. Er kenne G. als Mitarbeiter von Merz 'flüchtig', sagt er. Die Vorwürfe müsse er erst prüfen." Kontext gegenüber sagt er auf nochmalige Nachfrage: "Hier liegt ein Irrtum vor. Mitnichten habe ich der taz vor ein paar Wochen gesagt, ich würde die Sache prüfen wollen." Man möge sich bitte an die beiden Abgeordneten wenden. Sei ja schließlich deren Mitarbeiter.
Meuthen will mit Rechten nichts zu tun haben – außer mit Björn Höcke
Marcel Grauf jedenfalls scheint ein recht umtriebiger Bursche zu sein, der laut Antifa-Recherche auch für die rechte Zeitung "Neue Ordnung" des Ares-Verlags aus Graz Texte schreibt. Das übrigens in bester Kollegenschaft zu Albrecht Jebens, über den Kontext vor einigen Jahren schon einmal berichtet hat ("Gut in Deutsch"). Grauf war offenbar auch Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Germania. Wie übrigens auch Torben Braga. Der ist Assistent von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, der vermutlich unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" für die NPD-Veröffentlichungen "Volk in Bewegung" und "Eichsfeld-Stimme" Artikel geschrieben haben soll.
Apropos Höcke: Nachdem der in seiner Dresdner Rede vom "Mahnmal der Schande" schwadroniert hatte und selbst hartgesottene AfDler das vehement kritisierten, schlug sich ausgerechnet der Möchtegern-Liberale Meuthen nachdrücklich auf dessen Seite. Eines der wenigen Male übrigens, in denen Jörg Meuthen nicht ahnungslos war, sondern offen gegen das Ausschlussverfahren gegen den Thüringer Landeschef mobilisierte. Heute steht Höcke kurz vor dem Rauswurf. Vermutet hat man dessen Nähe zur NPD schon lange. Aber davon hat Jörg Meuthen bestimmt nichts gewusst.