Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht mit der Ankündigung vom kommenden gesellschaftlichen Wandel konfrontiert wird. Sei es in den Nachrichten, in den Parlamenten oder bei Betriebsversammlungen – überall wird von der Digitalisierung, der Transformation der Industrie und der weiter voranschreitenden Globalisierung gesprochen.
Der Tenor ist dabei überall derselbe: Diese Entwicklung sei eine große Chance und eröffne für die Gesellschaft große Möglichkeiten. Neue Modelle der Mobilität, neue Wege der Kommunikation und neue Arten des Konsums werden als die bahnbrechenden Errungenschaften dieser gesellschaftlichen Erneuerung angepriesen. Doch viele ArbeiterInnen stehen diesen Veränderungen eher mit einem mulmigen Gefühl gegenüber. Denn während Unternehmen wie Bosch, Daimler, Porsche, SAP und andere neue Geschäftsmodelle aufbauen und durch die sogenannte Industrie 4.0 weiter rationalisieren und von dieser Entwicklung profitieren, bedeutet sie für ArbeiterInnen vor allem eines: Unsicherheit! Gerade in einer Stadt wie Stuttgart, die zutiefst durch die Industrie geprägt ist, steigt zunehmend die Angst bei den ArbeiterInnen die Arbeit zu verlieren und sich in prekären Jobs oder Arbeitslosigkeit wiederzufinden. Bislang ist den meisten ArbeiterInnen unklar wie die kommende Neuerung sich auf die abertausend Arbeitsplätze und damit auf ihre Lebensbedingungen auswirken wird.
Doch mit einem Blick auf die tatsächlichen Beweggründe für diesen angestrebten Prozess ist bereits abzusehen, wie sich dieser auf den Großteil der Bevölkerung auswirken wird: In der kapitalistischen Logik geht es nicht um die Bedürfnisse der Menschen, sondern einzig und allein um die Sicherstellung der Profite. Und damit bedeuten solche Veränderungsprozesse vor allem eines – eine massive Verschlechterung der Lebensumstände von ArbeiterInnen, die nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitssituation hat, sondern (damit) auch überall im Alltag wiederzufinden sein wird.
Profit over people – Der Gewinn steht über dem Menschen
Schauen wir in die Geschichte so finden wir zahlreiche Beispiele für solche Veränderungsprozesse, bei denen der Profit das treibende Moment für eine Erneuerung der herrschenden Verhältnisse war. Den verschiedenen Prozessen gemeinsam ist, dass die ökonomische Situation sich veränderte und das Kapital dazu gezwungen war auf diese zu reagieren, um weiterhin die gewohnten bzw. gesteigerten Profite erwirtschaften zu können.
Nehmen wir als Beispiel für einen solchen innerkapitalistischen Veränderungsprozess die „Agenda 2010“. Sie war eine Antwort auf die zunehmend verschärften globalen Wettbewerbsbedingungen und die damit verbundenen sinkenden Renditeerwartungen der Konzerne. Produktionsverlagerungen, der Wegfall von abertausenden von Arbeitsplätzen und steigende Arbeitslosigkeit in der BRD waren die Folge dieser Entwicklung. Die politische Antwort der damaligen rot-grünen Regierung lautete Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Steuererleichterungen für Banken und Konzerne, sowie Sanktionen gegen ArbeiterInnen und Arbeitslose, die nicht gewillt waren jeden Job egal zu welchen Lohn und Arbeitsbedingungen anzunehmen. Heute sehen wir was diese Politik bewirkt hat: Rekordgewinne der Banken und Industrie auf der einen Seite, auf der anderen verschärfte Konkurrenz zwischen den ArbeiterInnen durch die massive Ausweitung des Niedriglohnsektors, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und unbezahlte Arbeit wie beispielsweise die sogenannten 1€-Jobs. Besonders betroffen sind davon Frauen, die vor allem im Niedriglohnsektor Beschäftigung fanden (Kasten). All diese Maßnahmen führten zu einer verschärften Konkurrenz - einem Hauen und Stechen - um jeden Arbeitsplatz.
„Sozial ist das was Arbeit schafft“ war der Leitsatz der hiesigen Politik, egal ob man von der Arbeit und dem dafür erhaltenen Lohn seine Rechnungen bezahlen und leben kann. Die Zurückhaltung der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen trug ihr Übriges dazu bei, dass das Lohnniveau und die Kosten für die Unternehmen sanken, während die Produktivität immer weiter stieg. Alles in allem standen nicht der Wohlstand der Beschäftigten, sondern ausschließlich die Wettbewerbsfähigkeit und der Erhalt der Renditen der deutschen Wirtschaft, im Fokus dieser Politik.
Im internationalen Kontext führte diese Politik dazu, dass die BRD andere Nationalökonomien gnadenlos nieder konkurrierte. Bei der hohen Produktivität und den niedrigen Lohnstückkosten, also der Anteil des Produkts, die als Lohn an den Arbeiter/die Arbeiterin geht, konnten andere europäische Länder nicht mehr mithalten. Austeritätspolitik, das Einsetzen von autokratischen Regierungen und Sparprogramme für die europäischen Peripherieländer sind die Folge. Dies bedeutet, dass ArbeiterInnen aus Ländern wie Griechenland, Spanien oder Italien bis heute mit deutlichen Einschnitten in Einkommen oder Sozialleistungen konfrontiert sind und der Austeritätspolitik der Troika unterliegen. Gleichzeitig werden die Agenda-Mechanismen unter dem Namen „Europa 2020“ als Blaupause herangezogen, um den europäischen Wirtschaftsraum weiter nach neoliberalen Gesichtspunkten umzugestalten.
All dies war und ist eine Antwort auf die sich verändernden Produktionsverhältnisse im Kontext der zunehmenden Globalisierung und sicherte nur die Profite der Unternehmen auf Kosten des Großteils der Bevölkerung. Diese brachte die sich damals bereits verschärfenden Widersprüche innerhalb der Gesellschaft offener zum Vorschein und vertiefte die Kluft zwischen arm und reich – sowohl innerhalb der BRD, als auch in Europa.
Auch in Stuttgart sind die Folgen der Agendapolitik deutlich spürbar. Zwar steigt das Durchschnittseinkommen in der Stadt stetig, aber auch die Anzahl der überschuldeten Haushalte nimmt beständig zu und erreichte 2016 einen erneuten Höchststand. Zu den Hauptgründen für Überschuldung zählen Arbeitslosigkeit oder prekäre Beschäftigung bei steigenden Lebenshaltungskosten. Zwar stellten die großen Unternehmen Personal ein, allerdings meist nur AkademikerInnen in den Bereichen Forschung und Entwicklung. In der Produktion setzten sie auf Befristete, LeiharbeiterInnen und Werksverträgler, die einen deutlichen niedrigeren Lohn als das Stammpersonal für die gleiche Arbeit erhalten. Aber auch das Stammpersonal wurde durch sog. Standortsicherungsvereinbarungen zu Lohneinbußen oder höheren Arbeitszeiten gezwungen.
Gleichzeitig erhöhten sich die Mietpreise in Stuttgart in den letzten 8 Jahren um knapp 20%, sodass viele sich ein Leben in der Stadt nur schwerlich bis gar nicht mehr leisten können, während Stuttgart die Stadt mit den meisten Einkommensmillionären in der BRD ist. Deutlich wird, dass der Reichtum der Konzerne und ihrer Aktionäre und Teilhaber immer größer wird, während immer mehr Menschen keine Ahnung mehr haben womit sie ihre Rechnungen bezahlen sollen oder wie sie bezahlbaren Wohnraum finden können.
Der große digitale Wandel – eine Restauration des Kapitalismus
Wenn man die Folgen der Agenda 2010 betrachtet, lässt sich vermuten, auf wessen Kosten der „große digitale Wandel“ gehen wird: Auf die Kosten der ArbeiterInnen. Die Globalisierung, die Verlagerung der Produktion und die zunehmende Digitalisierung sind – grob gesagt – die aktuellen Voraussetzungen für die kommende Neuerung.
Die Automatisierung und Digitalisierung wird in erster Linie zur Vereinfachung und Verbilligung der Produktion eingesetzt werden, dies aber nicht zu Gunsten der ArbeiterInnen, die bei vollem Lohnausgleich weniger arbeiten müssen, sondern um die Profite zu sichern und auszubauen – und zwar angepasst an das digitale Zeitalter.
Der Ausbau der Elektromobilität geschieht dabei zwar unter ökologischen Vorzeichen, dient aber vor allem der Erschließung neuer Märkte und der Anpassung der Produktionsverhältnisse an die heutige Zeit. Oft ausgeblendet werden die zehntausende von ArbeiterInnen, die an der Fertigung von Diesel- und Benzinmotoren hängen und das ihre einzige Möglichkeit des Lohnerwerbs ist, deren Zukunft angesichts der kommenden E-Mobilität und der Automatisierung und Rationalisierung, mehr als nur unsicher sind.
Damit einher geht eine gesellschaftliche Umstrukturierung weg von der Produktions- hin zu einer verstärkten Dienstleistungsgesellschaft, was tiefgreifende Auswirkungen auf den Alltag der Menschen haben wird. Angefangen bei der Arbeitssuche, der Strukturierung der Arbeitsplätze, über das Stadtbild, das durch die Verkleinerung der Fabrikanlagen verändert werden wird, bis hin zur Strukturierung der ArbeiterInnenviertel – und das alles mit dem treibenden Faktor der Profiterwirtschaftung.
Ursachen erkennen - Verantwortliche benennen
Verantwortlich für diese Politik sind neben der SPD und CDU – was oft vergessen wird – vor allem auch die Grünen. Sie waren aktiv an der Konzeption der Agenda 2010 beteiligt und sind bis heute einer der größten VerteidigerInnen dieses Angriffs auf die Lohnabhängigen. Einer der wichtigsten VertreterInnen von damals war beispielsweise der Tübinger Oswald Metzger, der ehemalige haushaltspolitische Sprecher und Obmann im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages und heutiger Lobbyist des Arbeitgeberlobbyverbands „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“. Aber auch aktuell zeigt sich deutlich, für welches Klientel die Grünen Politik machen, wenn der aus Stuttgart kommende Parteivorsitzende Cem Özdemir die Agenda 2010 immer noch als große Leistung der Regierungsbeteiligung der Grünen anpreist und diese gegen eventuell geplante Änderungen durch eine zukünftige SPD-KanzlerInnenschaft verteidigt oder wenn sich Winfried Kretschmann, seines Zeichens Ministerpräsident Baden-Württembergs, für die Schwarz-Grüne Regierungskoalition auf Bundesebene ausspricht. Auch Fritz Kuhn, der jetzige Oberbürgermeister Stuttgarts, der sich, vor allem in der Wohnungspolitik, als Förderer der Sozialpolitik darstellt, warnte 2007 noch davor die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu verlängern, da es der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schaden würde.
Es ist egal ob grün, rot, schwarz, gelb oder blau, alle etablierten Parteien verfolgen im Kern eine weitere Restauration der bestehenden Verhältnisse. Die einen mit ein bisschen mehr „sozialer Sicherheit“, die anderen mit Ökologie als Geschäftsmodell oder mit Ausgrenzung und Rassismus gegen diejenigen, die eben nicht verwertbar sind.
Damit Hand in Hand geht die Sozialpartnerschaft der Gewerkschaftsfunktionäre, die angesichts der kommenden kapitalistische Neuerung halbgare Deals aushandeln.
Es ist aber nicht die vermeintliche Gier der Herrschenden oder der „Egoismus des Menschen“ der Ursache dieser allgemeinen Politik ist, sondern die kapitalistische Logik, Profit zu maximieren bzw. Kapital zu verwerten. Dies war in der über zweihundertjährigen Geschichte des Kapitalismus so und wird sich auch nicht verändern. Es ist die immanente Logik dieses Systems, der unsere ganze Gesellschaft unterworfen ist und die das bestimmende Element sein wird, solange diese Verhältnisse existieren.
Das heißt, dass die oben genannten Veränderungsprozesse zwar die Form den Verhältnissen anpassen und sie erneuern, die Verhältnisse an sich aber die Gleichen bleiben: Die Produktionsmittel bleiben in der Hand der Herrschenden, die Ausbeutung durch Lohnarbeit dauert weiter an – wenn auch in einer anderen Form – und der Reichtum von Wenigen wird weiterhin von der Mehrheit der Gesellschaft produziert. Daraus wird auch klar, dass die Restauration nur ein Symptom für ein System ist, das den Profit über den Menschen stellt und das unter diesem Vorzeichen immer neue Wege finden muss, um Kapital zu verwerten und den, für das System notwendigen, Profit zu erhalten und auszubauen.
Diese Veränderungsprozesse können kein gutes Leben für Alle ermöglichen, sondern dienen nur dazu eine Systematik am Leben zu erhalten, die auf Kosten der Mehrheit der Menschen geht.
Umwälzung statt Restauration – Für ein solidarisches Miteinander!
Für uns muss es daher heißen, uns den Verhältnissen auf allen Ebenen in den Weg zu stellen und uns dort zu organisieren, wo wir leben und arbeiten. Ob im gemeinsamen Kampf gegen prekäre Beschäftigung, Arbeitsplatzabbau und Verlagerung oder im Kampf für höhere Löhne, bezahlbaren Wohnraum und kostenlose öffentliche Mobilität oder auch im Kampf gegen rechte Hetze und die herrschenden patriarchalen Verhältnisse – in all diesen Kämpfen muss sich die Perspektive jenseits der herrschenden Verhältnisse, jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung und die Perspektive einer klassenlosen Gesellschaft widerspiegeln, in der die Produktionsmittel in den Händen aller liegen und wir nach unseren Interessen und Bedürfnissen leben und arbeiten können.
Um diesem gemeinsamen Kampf Ausdruck zu verleihen gehen wir gemeinsam und solidarisch am 1. Mai auf die Straße – nicht für eine Restauration des Kapitalismus, sondern für die Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse.
Heraus zum revolutionären 1. Mai!
Gegen eine Restauration des Kapitalismus – Für die Umwälzung der Verhältnisse!
Zusammen Kämpfen
für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung!
Für ein solidarisches Miteinander!
Termine am 1. Mai 2017
- revolutionäre 1. Mai Demonstration 11:30 Uhr, Schloßplatz, Stuttgart
- 1. Mai Fest im Stadtteilzentrum Gasparitsch ab 14:00 Uhr, Rotenbergstr. 125, Stuttgart - Ost mit Essen & Trinken, Musik und Kulturprogramm
- 1. Mai Fest im Linken Zentrum Lilo Hermann ab 14:00 Uhr, Böblinger Str. 105, Stuttgart - Heslach mit Essen & Trinken, Musik und Kulturprogramm
sonstige Termine
- Jeden Freitag Kneipenabend mit Essen ab 20:00 Uhr - Stadtteilzentrum Gasparitsch
- Jeden 2. Freitag im Monat internationalistischer Abend ab 20:00 Uhr - Stadtteilzentrum Gasparitsch
- Jeden 1. Sonntag im Monat Nachbarschaftsfrühstück ab 11:00 Uhr - Stadtteilzentrum Gasparitsch
Geschichte des 1. Mai
Im Kampf um den 8-Stunden-Tag traten in den USA am 1. Mai 1886 über 340 000 Arbeiter und Arbeiterinnen in den Streik. Einige Tage darauf wurden bei Auseinandersetzungen in Chicago zwischen DemonstrantInnen und der Polizei 7 Polizisten und 8 Arbeiterinnen und Arbeiter bei den sog. Haymarket Riots getötet, sowie weitere 40 Menschen verletzt.
In Erinnerung an die Auseinandersetzungen und die Kämpfenden in Chicago rief 1889 der Internationale Arbeiter-Kongress den 1. Mai zum „internationalen Feier- und Kampftag der Arbeiterklasse“ aus. Im Faschismus wurde der 1. Mai zum „Nationalen Tag der Arbeit“ erklärt und die Kampftradition gebrochen.
Nach dem Faschismus wurde der 1. Mai als Kampftag wieder aufgegriffen und seither gehen Jahr für Jahr Menschen in der ganzen Welt auf die Straße, um ihren Interessen Ausdruck zu verleihen. Von Beginn an ist der 1. Mai unser Tag und ein Symbol dafür, was wir, wenn wir gemeinsam für unsere Interessen kämpfen, erreichen können. Damals wie heute gehen wir am 1. Mai auf die Straße um die einzelnen Teilkämpfe, die wir Tag für Tag zu führen haben, miteinander zu verbinden und für eine klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung einzustehen.
Zusammen Kämpfen [Stuttgart]
www.zk-stuttgart.tk