Trauer um Tod von junger Eritreerin im Landkreis Leipzig

Erstveröffentlicht: 
04.04.2017

Eine junge Frau, fast noch ein Kind, verstirbt und kaum einer kennt ihr Schicksal. Das wollte Pastor Jörg Wietrichowski ändern und organisierte gemeinsam mit der katholischen Gemeinde in Wurzen eine Trauerfeier.

 

Wurzen. Eritrea wird in den Medien regelmäßig als Nordkorea Afrikas bezeichnet. Hunderttausende fliehen aus dem kleinen Land im Osten des riesigen Kontinents – die meisten nach Europa. Doch hier weiß kaum jemand, was sie dazu treibt. Kein Wunder, belegt Eritrea in Sachen Pressefreiheit den letzten Platz der weltweiten Rangliste der Vereinigung Reporter ohne Grenzen. Armut, unfassbare Gewalt und Terror sind seit Jahren die Begleiter der knapp fünf Millionen Einwohner des Landes. Das und vieles mehr, das schockiert, steht in einem Bericht der Vereinten Nationen zur Situation im Land.

 

Im Sommer 2015 macht sich die 15-jährige Shewit auf eine beschwerliche Reise – auf die Flucht. Auch sie wünscht sich in Europa ein besseres Leben. Wie viele ihrer Landsleute hofft sie, Arbeit zu finden, um ihre Familie zu unterstützen. Drei jüngere Schwestern hat sie und einen kleinen Bruder.

 

Wie groß muss die Not sein, damit eine Mutter ihre Tochter, die fast selbst noch ein Kind ist, allein losziehen lässt? „Wir können uns das nicht vorstellen, wir können nur mit unseren Freunden aus Eritrea darüber sprechen“, sagt Pfarrer Uwe Peukert am Sonntagabend. Die Kleidung des 51-jährigen und die Ausgestaltung der Kirche mit einigen Ikonen im Altarraum erinnern in dieser Stunde an die orthodoxe Kirche, der Shewit und andere Eritreer angehören. Dieser Ostkirche und ihrer Spiritualität fühlt sich auch Pfarrer Peukert besonders verbunden. Mitglieder der katholischen und evangelischen Gemeinde, der Adventgemeinde im Muldental, haben zu einer Trauerfeier eingeladen. Für Shewit – die junge Frau, die auf ein besseres Leben in Europa gehofft hatte. Und nur einen Ausweg fand...

 

Ihr Weg führt sie aus ihrer Heimatstadt Senafe im Süden Eritreas nach Äthiopien, von da aus in den Sudan und nach Libyen, über das Mittelmeer bis nach Italien und schließlich nach Deutschland. Etwa ein Jahr ist sie unterwegs, die meiste Zeit davon allein. Von einer Erstaufnahmeeinrichtung im hessischen Gießen kommt Shewit erst nach Markranstädt und dann im Januar dieses Jahres in ein Kinderheim für minderjährige Asylsuchende in Borsdorf. Sie besucht das Berufliche Schulzentrum Wurzen, lernt dort Deutsch, sie findet Freunde in der Unterkunft und in der eritreischen Gemeinschaft, die in der Region immer größer wird.

 

Viele der jungen Menschen, die zu Shewits Freunden geworden sind, sitzen am Sonntagabend in der Herz Jesu Kirche. Sie folgen den Worten von Pfarrer Peukert und Pastor Wietrichowski, die von Dolmetschern übersetzt werden. Etwa 70 Menschen – nicht nur Eritreer, sondern auch Mitglieder der katholischen und der Adventgemeinde sowie Ehrenamtliche und andere, denen das Schicksal der jungen Menschen am Herzen liegt – haben sich in der Kirche versammelt, um Shewit zu gedenken.

 

Anfang Februar absolviert die junge Frau, die gerade 17 Jahre alt geworden ist, das sogenannte Interview – jenes Gespräch, das für den Ausgang im Asylprozess entscheidend ist. „Wir wissen heute, dass es mäßig gelaufen ist. Nicht wegen ihrer Antworten, sondern weil sie in Italien ihre Fingerabdrücke abgeben musste“, erzählt Wietrichowski den Trauergästen. Dublin II, die Verordnung der Europäischen Union, nach der ein Geflohener seinen Asylantrag in dem Land stellen muss, in dem er zuerst registriert wurde, beeinflusst die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Shewit erhält, so heißt es vom Pastor, in der Woche vor dem 24. Februar den Bescheid, in dem es heißt, dass sie nach Italien ausgewiesen werde. „Wir wissen von Anwälten, dass Familien nicht mehr nach Italien abgeschoben werden, weil dort die Obdachlosigkeit auf sie wartet“, so Wietrichowski.

 

Shewit unterstand als Minderjährige der Obhut des Jugendamtes, wurde in der Einrichtung in Borsdorf, die mit 22 Plätzen sehr familiär ist, von geschultem Personal betreut. Laut Aussagen des Landkreises werden die jungen Geflohenen im Asylprozess begleitet und unter Anwesenheit von Dolmetschern über alle Schritte und Optionen unterrichtet. „Das Jugendamt hat sich als Vormund für den Verbleib Shewits in Deutschland eingesetzt“, so der Pastor. Ob sie in der Lage war, diese Information nach dem Erhalt des Bescheides aufzunehmen, weiß er nicht. Auch er kennt die Geschichte der jungen Frau nur aus ihrem privaten Umfeld.

 

Sehr sensibel wollen der Landkreis und die Betreiber der Einrichtung, die Diakonie Leipzig, mit dem Thema umgehen. Einen Mantel des Schweigens wollen sie nicht über den Fall legen, das wird im Zuge der Recherchen deutlich. Es geht um den Schutz der Persönlichkeit der jungen Frau, das macht Brigitte Laux, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Landkreises, mehrfach deutlich. Auch die LVZ will mit dem Thema behutsam und sensibel umgehen. Will keinen Sensationsjournalismus betreiben, sondern aufmerksam machen auf ein Schicksal, das stellvertretend für viele steht, sensibilisieren – und gedenken.

 

Shewit hat in ihrem jungen Leben viel erlebt, hat eine beschwerliche Reise hinter sich gebracht, hat versucht, sich hier mitten unter uns ein Leben aufzubauen. Und sie ist fast unbemerkt von uns gegangen, weil sie wohl dem Druck nicht mehr Stand halten konnte, „weil die Angst vor dem, was im Leben kommt, größer wurde, als die Angst vor dem Tod“, beschreibt Wietrichowski.

 

In der Tragik dessen zeigt sich jedoch auch, was wichtig ist. Über Glaubensgrenzen hinaus trauern junge Menschen und ältere, Christen, Muslime und Atheisten am Sonntagabend gemeinsam in der Herz-Jesu-Kirche um ein junges Leben.

 

Pastor Wietrichowski appelliert an die Anwesenden, sich zu öffnen, sich mit Leid und Sorgen an andere zu wenden – sei es in der Kirche oder in Gesprächen mit anderen Menschen. Er spricht von der Verantwortung, die ein jeder hat – auch anderen gegenüber. Ihn und den katholischen Pfarrer eint die Hoffnung, dass dieser Tod kein sinnloser war, dass er aufrüttelt und zusammenwachsen lässt. Dass die Trauer verbindet und daraus Mut entsteht, die Dinge gemeinsam durchzustehen, füreinander einzustehen.

 

Am Sonntagabend in der Wurzener Herz-Jesu-Kirche gibt es keine Religionen, keine Nationalitäten, kein wir und die anderen. Es gibt nur Menschen, die den Verlust einer jungen Frau betrauern, die einen Platz in diesem Land verdient hatte, eine Chance. So wie jeder andere Teenager auch.