Nach etwa 100 zurückgelegten Metern entern die Anti-G-20-Demonstranten am Samstag Baden-Badens kostbarsten Boden. Und sie tun es mit Gebrüll. Im Laufschritt reißen sie eine Wand aus Kartons, die „Festung Europa“ ein – die sie noch vom Leopoldsplatz trennte.
Der zentrale Platz der Altstadt präsentiert sich frisch asphaltiert, dabei war er vor wenigen Tagen noch eine große Baugrube – und wird es ab Montag wieder sein. 90.000 Euro ließ sich die Stadt den Schildbürgerstreich kosten, nur damit die herbeigefürchteten Linksextremen nicht mit Baumaterialien um sich werfen können.
Für viele Einheimische war die Episode
der größte Aufreger rings um das Treffen der G-20-Finanzminister. Wohin
man auch kam, stets raunten die Leute vom „Leo“ – inhaltliche Kritik am
Treffen hatte es dagegen schwer in dem reichen Kurort, der in den
vergangenen Jahren vor allem für wohlhabende Russen zum Urlaubsdomizil
und Investitionsplatz wurde – ein „Sotschi Business Center“ mit seinen
Immobilienaushängen im Fenster zeugt davon.
Und so kamen nur 500 Menschen zum Abschluss der zweitägigen Protestchoreografie
zusammen, um ihrem Antagonismus Ausdruck zu verleihen, die meisten
davon aus anderen Städten angereist. Dabei war es ein besonders
symbolträchtiger Tag, dieser 18. März: Tag der Pariser Kommune und der
politischen Gefangenen, zwei Jahre nach den letzten großen
Blockupy-Protesten in Frankfurt am Main und ein Jahr nach dem
EU-Türkei-Deal. Daran erinnerte einer von etwa einem Dutzend Sprechern
auf Auftakt-, Zwischen- und Endkundgebung. Nicht, dass jemand auf die
Idee kommt, inhaltlich hätte man nichts beizutragen.
Finanzmärkte, Demokratie, Klima, Afrika,
Türkei-Politik, Waffenexporte – kaum ein Thema, das nicht aufgegriffen
wurde. Und alle Redner einte die Überzeugung: Das Treffen, das vis-à-vis
im Kurhaus hinter massiven Polizeiabsperrungen stattfand, wird keines
der Probleme lösen – im Gegenteil. Die meisten werden sich im Nachhinein bestätigt fühlen.
Mehr als die Hälfte der Teilnehmer
bildete den Block des linksradikalen Bündnisses „Interventionistische
Linke“ (IL), mit den seit Blockupy bekannten Ausdrucksformen, bunte
Regenschirme und Sprechblasenschilder. Kurz vor Ende schwenkten
plötzlich auch etwa zwei Dutzend kurdische Fahnen, darunter der
syrischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ.
Die Aktivisten stellten sich damit gegen das jüngst vom
Bundesinnenministerium ausgesprochene Verbot, diese öffentlich zu zeigen
– analog zu jenen der PKK. Die Polizei griff nicht ein, ob aus
Unkenntnis der Rechtslage oder weil sie an dem friedlichen Verlauf des
Aufzugs nichts ändern wollte.
Für das Baden-Badener Anti-G-20-Bündnis, getragen von Attac, IL und Linkspartei wird es direkt weitergehen. Es sei „die Grundlage für die Mobilisierung nach Hamburg im Sommer“, wie IL-Sprecher Stefan Reiner sagte. Wenn in der Hansestadt im Juli die Chefs der Finanzminister tagen, wollen sie alle mit dabei sein.