Nach Suizid im Gefängnis Kritik an Zuständen in der JVA Halle

Marco Bras dos Santos ist ehrenamtlich für das Netzwerk "Gefangenengewerkschaft" tätig. Bildrechte: MDR  Marco Bras dos Santos
Erstveröffentlicht: 
17.03.2017
Nach Suizid im Gefängnis Kritik an Zuständen in der JVA Halle Am Mittwoch hatte sich ein Häftling in der Justizvollzugsanstalt "Roter Ochse" in Halle erhängt. Das Justizministerium bestätigte den Vorfall, will sich zu Einzelheiten aber nicht äußern. Die "Gefangenengewerkschaft", eine bundesweit aktive Häftlingsorganisation, erhebt nun Vorwürfe gegen das Justizministerium.

Mit einer kurzen Pressemitteilung informierte das Justizministerium Sachsen-Anhalts über einen Suizidfall: "In der Justizvollzugsanstalt Halle hat sich am Mittwoch Nachmittag ein Gefangener das Leben genommen", heißt es, "er strangulierte sich in seinem Haftraum, Anzeichen für Fremdeinwirkung gibt es nicht." Der Notarzt habe nur noch den Tod feststellen können. Laut Ministerium saß der Gefangene wegen Bedrohung ein. Ein Interview mit dem MDR lehnte das Justizministerium in dieser Sache ab.

Häftlinge erheben schwere Vorwürfe

Eine bundesweite Häftlingsorganisation kritisiert die ihrer Meinung nach unhaltbaren Zustände in der JVA Halle. MDR SACHSEN-ANHALT hat vier Fragen an Marco Bras dos Santos von der Gefangenengewerkschaft gestellt.

 

MDR SACHSEN-ANHALT: Was ist Ihnen zu dem Suizidfall bekannt?

Marco Bras dos Santos: Uns erreichte bereits vor wenigen Tagen ein Hilferuf aus der JVA Halle. Darin wurden rassistische Äußerungen der Beamten und Beamtinnen geschildert, wie "Mach dich weg, du Affe" oder "Wärst du in deinem Land geblieben, könntest du jeden Tag duschen".

Die Gefangenen der JVA erheben schwere Vorwürfe und leiten konkrete Forderungen ab, die wir als Gefangenengewerkschaft nur unterstützen können. Es stehen keine Dolmetscher zur Verfügung, die JVA-Leitung gewährt keine Sprechzeiten, die Besuchsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt und es existiert nicht einmal eine verbindliche Hausordnung. Das Schlimmste, neben dem Rassismus, sind jedoch die sehr kurzen Aufschlusszeiten, also die Zeit, in der Häftlinge ihre Zelle verlassen können. 

 

Handelt es sich bei dem Selbstmord nach Ihrer Einschätzung um einen tragischen Einzelfall?

Es handelt sich bei dem Suizid, der durchaus als härtestes Mittel des Protestes gewertet werden kann, sicher nicht um einen Einzelfall. Die Bedingungen in den Haftanstalten sind katastophal und wir wundern uns, dass nicht mehr passiert.

 

Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass der Suizid aus Protest geschah?

Nein, wir haben keine gesicherten Erkenntnisse. Gesicherter Rassismus, keine Rechtsberatung, keine Dolmetscher, keine psychologische Behandlung und quasi Isolation zusammen mit der kurzen Haftzeit legen lediglich den Schluss nahe.

 

Was müsste grundsätzlich geändert werden, wer ist gefragt?

Wir erachten die angespannte Personalsituation als ursächlich. Statt mehr Personal zu fordern, stehen wir für die Forderung nach einer internen Personal-Umstrukturierung der Haftanstalten, einer Auslastung der Plätze im offenen Vollzug sowie einem Erlass der Ersatzfreiheits- und Kurzstrafen. Das Opfer verbüßte eine Ersatzfreiheitsstrafe, die es mit uns nicht gegeben hätte. Hier sind eindeutig die Justizministerien gefragt, die ihren Verwaltungen Dampf machen, sich um den offenen Vollzug bemühen und länderübergreifend bezüglich der Strafmaße für Kleindelikte zu korrigieren. 

 

In Sachsen hatte der Selbstmord des mutmaßlichen Terroristen Al-Bakr für Aufsehen gesorgt. Wurden nach dem Fall Al-Bakr keine Konsequenzen in den Gefängnissen gezogen?

In Sachsen passiert, neben der Neueinstellung von Personal, einiges. Jedoch dauert es noch zu lange, bis die Veränderungen in den Gefängnissen tatsächlich ankommen. Wir halten bezüglich der Missstände den Druck der Öffentlichkeit hoch, tragen jedoch gleichzeitig dem Umstand Rechnung, dass das Justizsystem eher ein Kreuzfahrtschiff, statt ein Schlauchboot ist, was die Flexibilität angeht. Die Gefängnisse in Sachsen-Anhalt hingegen haben wir bislang vernachlässigt. Auch hier wird sich das Justizministerium daran gewöhnen müssen, dass es auf organisierten Widerspruch seitens der Häftlinge stößt und es mit einer interessierten Öffentlichkeit zu tun bekommt. Denn Menschenrechte gelten auch hinter Gittern.

Netzwerk "Gefangenengewerkschaft" Die Gefangenengewerkschaft ist ein Netzwerk, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Interessen von Häftlingen in Deutschland zu vertreten. Zu den Forderungen zählen die Einführung des Mindestlohns und die Aufnahme von arbeitenden Häftlingen in die gesetzliche Rentenversicherung.

Das Netzwerk hat nach eigenen Angaben mehr als 1.000 Mitglieder in mehr als 50 Haftanstalten – vornehmlich Inhaftierte oder ehemalige Häftlinge – und ist als nicht-rechtsfähiger Verein eingetragen. Die Gefangenengewerkschaft wird von Behörden formal nicht als "Gewerkschaft" anerkannt, genießt also nicht die entsprechenden Privilegien..