Nach Tankstellen-Überfall auf 15-jährigen Geithainer: Mutmaßlicher Täter sitzt in Haft

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Erstveröffentlicht: 
22.05.2010

Eigentlich wollten Peter und Michael (Namen geändert, d. Red.) Freunde in Rochlitz besuchen. Als sie sich am Freitag, 7. Mai, in Geithain auf den Weg machten, ahnten sie noch nicht, welch dramatischen Verlauf der milde Frühjahrsabend nehmen sollte.

 

Um kurz nach 20 Uhr hielten der 18-jährige Michael und sein 15-jähriger Begleiter an der Total-Tankstelle in der Peniger Straße. Während die beiden Michaels Auto betankten, fiel ihnen ein dunkler VW-Golf auf, der erst auf der Straße vorbeifuhr, um dann zu wenden und sich in die Tankstellenausfahrt zu stellen.

Dann ging alles ganz schnell: Ein junger Mann stieg aus dem Golf aus und ging langsam auf Peter zu. Kurz bevor er vor ihm stand, begann er, auf ihn zuzulaufen, sprang ihm gegen den Brustkorb und schlug ihm gezielt ins Gesicht. "Das war 'ne Sache von ein, zwei Sekunden", erinnert sich Peter. "Einmal durchgezogen, und das war's." Während der Täter mit seinen Kameraden flüchtete, schleppte sich Peter schwerstverletzt in den Tankstellenshop. Erst als ihm die Verkäuferin einen Spiegel reichte, sah er das Ausmaß seiner Verletzungen. "In meiner Stirn war eine Delle. Aus Nase, Ohren und Mund lief Blut. Ich sah sogar Blut in meinen Augen." Michael fuhr seinen Freund mit dem eigenen Auto sofort ins nächste Krankenhaus nach Rochlitz. Da die Ärzte dort seine Verletzungen nicht behandeln konnten, wurde er noch am Abend in eine Chemnitzer Klinik verlegt. Die Diagnose der Ärzte: Nasennebenhöhlenfraktur. Zu diesem Zeitpunkt schwebte der junge Mann in Lebensgefahr.

"Ein Arzt sagte zu mir, ich könne jeden Augenblick sterben. Das werde ich nie vergessen." Erst am Sonntagmorgen retteten die Mediziner in einer Notoperation Peters Leben. Seitdem fixieren Titanplatten seine rechte, vordere Schädelseite. Eine lange OP-Narbe zieht sich einmal quer über seinen Vorderschädel. Weite Teile seines Hinterkopfes kann er nicht mehr spüren. "Das fühlt sich an, als ob man eine Badekappe tragen würde", beschreibt Peter das Gefühl, das ihn wohl Zeit seines Lebens begleiten wird. Hinzu kommen die psychischen Belastungen. Manche Gewaltopfer leiden auch noch Jahre nach der Tat an den Folgen.

Der mutmaßliche Täter ist schnell identifiziert: der 19 Jahre alte Albert R. aus Lunzenau hatte sich eine Viertelstunde vor dem Übergriff im Tankstellenshop ein belegtes Brötchen gegönnt. Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras führten zu seiner Identifizierung. Als er sich eine Stunde nach der Tat bei derselben Tankstelle ein kühles Bier kaufen möchte, um mit seinen Freunden anzustoßen, weist ihn die Verkäuferin ab. Mit seiner Identifizierung steht fest, dass die Gewalttat politisch motiviert gewesen ist.Der Lunzenauer, dem Kontakte ins Freefight-Milieu nachgesagt werden, gehört der militanten Neonazi-Szene an. In der Vergangenheit besuchte er immer wieder Veranstaltungen von NPD und "Freien Kräften". Zuletzt wurde er im prägnanten Hardcore-Outfit, mit Piercings in Unterlippe und Nase sowie zentimetergroßen Fleischtunneln in beiden Ohren und langem roten Kinnbart am 24. April auf einer JN-Demonstration anlässlich des "Elbeday" in Torgau gesehen.

Am Montag, 10. Mai, holten ihn die Ermittler von der Arbeit ab und führten ihn dem Haftrichter vor. Seitdem sitzt der mutmaßliche Täter in der JVA Zwickau in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz wirft Albert R. schwere Körperverletzung vor. Möglicherweise kommt auch eine Anklage wegen versuchten Totschlags in Frage. Der Täter nahm den Tod seines Opfers zumindest billigend in Kauf.

Dass ausgerechnet der 15-Jährige der Gewaltattacke zum Opfer fiel, ist nicht allein dem Zufall geschuldet. Wenige Wochen zuvor erst wurde der Jugendliche, der sich auch gern alternativ kleidet, im Internet an den Pranger gestellt: Sein Foto sowie seine Adresse wurden auf einem überregionalen Portal der rechten Szene veröffentlicht. Auf dem Portal finden sich reihenweise Fotos von Journalisten und von Gegnern rechtsradikaler Gewalt. Die meisten Bilder entstanden am Rande diverser rechtsradikaler Aufmärsche und Demonstrationen. Wer verbirgt sich hinter solchen Webseiten? Im Falle der besagten Website führt die Spur unter anderem direkt zur sächsischen NPD. Nach einem Bericht des Fachportals "Recherche Nord" soll der Eilenburger NPD-Funktionär Kai Rzehaczek für die Inhalte der Seite mitverantwortlich sein. Der Eilenburger Stadtrat und Betreiber eines rechten Online-Versandhandels gilt als ein Bindeglied zwischen dem Internetprojekt und der regionalen Szene.

Nach Angaben der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen e.V. ereigneten sich im Jahr 2009 allein in Sachsen 263 rechtsmotivierte Übergriffe. Auch Peter und Michael wurden schon vor dem 7. Mai immer wieder von Neonazis bedroht. Im vergangenen Dezember erreichte die beiden per E-Mail ein anonymer Drohbrief. Zeitgleich erschien im Internet ein Videoclip, in welchem unter der Losung "Geithain bleibt braun" Fotos von alternativ gekleideten Jugendlichen gezeigt worden sind. Ein weiterer Brief lag im April in Michaels Briefkasten. "Wenn du nicht mit deinen Aktionen aufhörst, dann sieht dein Auto aus wie unten angeführt". Darunter ist ein ausgebrannter Pkw abgebildet. In der Nacht zum 4. April beschmierten Unbekannte das Garagentor von Peters Eltern mit dem Schriftzug "Peter, Wir kriegen dich".

Doch bei Drohgebärden blieb es nicht. "Allein in den letzten zwei Monaten wurden in Geithain drei Autos von Neonazis demoliert", berichtet Peter. Allein zweimal traf es Michaels Pkw: "Mir wurden Nummernschilder geklaut und wiederholt die Seitenspiegel abgetreten", ärgert sich der junge Mann. Nachdem er am Samstagabend nach dem Übergriff seinen Freund im Krankenhaus besucht hatte, verfolgten ihn ein paar dubiose Gestalten im Auto von Rochlitz bis nach Hause. Kaum hatte er seinen Wagen auf dem Grundstück seines Elternhauses geparkt, versuchten ihn die Verfolger aus dem verriegelten Fahrzeug zu ziehen. Erst als seine Mutter den Angreifern lautstark mit der Polizei drohte, suchten sie das Weite