Pumpen für die Polizei

Erstveröffentlicht: 
13.03.2017

Wer die Aufnahmeprüfung bei den hessischen Ordnungshütern bestehen will, muss auch sportlich was drauf haben. Ein Selbstversuch mit Handikap.

 

Die gute Nachricht wie immer zuerst. Tatü, tataaa: Ich habe die Aufnahmeprüfung bei der Polizei bestanden! Also eigentlich. Fast. Teilweise. Praktisch so gut wie bestanden. Die Sache hat nur zwei Haken. Aber dazu später.

 

Erst einmal heißt es: aufwärmen, warm machen für die vier Abschnitte der sportlichen Prüfung: Achterlauf, Bankdrücken, Fünfer-Sprunglauf, Wendelauf. Von Bankdrücken hab ich schon mal gehört. Der Rest war mir völlig fremd, bis ich vorgestern im Internet danach gesucht habe. Und was man da so liest … Leider war es in dem Moment schon zu spät, um das Ganze wieder abzusagen. Also Augen zu, Jacke aus – und durch.

 

Im wahrsten Sinne, denn beim Achterlauf muss man, anders als ein Ozeanriese, nicht nur rückwärts vom Stapel rutschen, sondern die Form einer liegenden Zahl 8 rennen und jedesmal, wenn man die Taille der schlanken Nummer erreicht, durch ein am Boden liegendes Holzrechteck schlüpfen – insgesamt zehnmal. Keine Ahnung, wann Sie zum letzten Mal durch ein am Boden liegendes Rechteck geschlüpft sind, aber bei mir dürfte es schon so etwa 70 oder 80 Jahre her sein. Jedenfalls fühlt sich mein Körper beim Testdurchgang gerade so an.

 

Polizist werden: Will das nicht jeder kleine Junge? Nein. Ich wollte eigentlich immer nur, dass mein Vater Polizist ist. Das war er zwar, aber natürlich nur in der Statusangabe von uns Kindergartenbuben. „Mein Papa ist Polizist!“: So lautete die übliche Durchsage im Viertel, wenn einem jemand blöd kam. Ob man vorhatte, in Hunderttausend Millionen Jahren selbst Polizist zu werden oder nicht: Das war im Gespräch mit Angebern nicht halb so wertvoll. Also wozu dann?

 

Die jungen Leute, die diese Prüfung bei der Polizeiakademie in Wiesbaden heute in echt machen (und nicht nur aus überbordendem frühlingsbedingtem Bewegungsdrang wie wir vier Journalisten), sind alle um die 20 und ganz offensichtlich noch ein paar Prozent beweglicher in den Hüften als wir. An diesem herrlichen Montagmorgen haben sie schon um 7.15 Uhr den Computertest für den Polizeidienst absolviert.

 

Wie lief’s bisher? „Ganz gut“, druckst ein Quartett drahtiger Kerle herum, „Mathe, Logik, Diktat.“ Ja und, bestanden? „Wissen wir ja noch nicht, das erfahren wir jetzt erst.“ Oha, packender Moment. Besonders weil eigens der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) angereist ist und der Bekanntgabe beiwohnt. Beuth berichtet zunächst vom Einbrecherjagen: Damit waren 900 Polizisten aus Hessen jüngst beschäftigt. Da sieht man mal, wie viele Ordnungshüter so ein Bundesland braucht. Und nicht nur für die Einbrecherhatz. „Es sind mehr Menschen im Land, die allgemeine Sicherheitslage hat sich verändert“, etwa in Sachen islamistischer Terrorismus, sagt der Innenminister: „Wir brauchen Verstärkung.“ Meinetwegen – ich bin bereit! Über die Bezahlung müssten wir aber noch mal in Ruhe sprechen.

 

Normalerweise stellt Hessen immer so viele Polizisten neu ein, wie drei Jahre später aus dem Dienst ausscheiden; aber weil die Lage nun mal ist, wie sie ist, steckt die Landesregierung bis 2020 jetzt 1010 Leute mehr in Uniformen als üblich. Interessante Zahlen eigentlich: 1010 ist ja genau die Hälfte von 2020. Aber keine Zeit, den Innenminister noch danach zu fragen, wir müssen uns beeilen, nicht nur wegen des Islamismus – der Prüfungsstress.

 

Passend zum gestiegenen Polizeipersonalbedarf haben sich auch so viele junge Leute beworben wir noch nie. 25 von ihnen sitzen jetzt bibbernd an den Tischen im blauen Auswahlcontainer. „Es ist jeden Tag spannend, wie viele bestehen“, sagt Eva Hertel, die das Eignungstestzentrum leitet, denn jeden Tag wird eine Gruppe geprüft. Im Durchschnitt meistern übers Jahr etwa 50 Prozent diesen ersten Part am Morgen – und so ist es auch heute: 13 haben es geschafft. Neun Männer, vier Frauen. Geballte Fäuste, verzweifelte Blicke. Triumphgesten. Leere. Das ganze Spektrum, jeden Tag aufs Neue.

 

Felix, ein 27-jähriger Mann in Uniform, hat die Prüfung in der vorigen Bewerbungsrunde bestanden. „Das Schwierigste bei den Tests war der Nachmittagsteil“, sagt er – „nervenaufreibend“. Da werden die Bewerber interviewt und ausgequetscht. Puh, das müssen wir Spaßbewerber zum Glück nicht machen. Warum Polizist? „Ich habe Sport studiert“, sagt Felix, „aber dann keinen Job gefunden. Also habe ich mich umorientiert. Familie und Freunde gefragt, was sie davon halten, wenn ich Polizist werde. Das gab überall nur gutes Feedback.“

 

Die 13 Glücklichen kommen mit uns in die Sporthalle. „Man sollte sich gut aufwärmen“, erfahren sie. Der Ratschlag galt schon immer. Sonst gibt’s eine Zerrung. „Bauchnabelpiercing? Brustpiercing? Bitte vorher rausnehmen“, sagt Sportausbilder Rüdiger Zipp. Den Ratschlag gibt es vermutlich noch nicht so lang. Jedenfalls nicht vor Polizeieignungstests. Aber je islamistischer der Terrorismus, desto gepiercter wohl auch der Polizist. Soll heißen: Zeiten ändern sich, die Welt ändert sich. Es kommt nicht darauf an, wie einer aussieht oder woher er stammt oder womit er sich schmückt – es kommt darauf an, was er macht. Und wie. 

 

Sieht ganz easy aus...


Los. Die jungen künftigen Polizeileute machen es alle ziemlich gut. Sieht ganz easy aus, besonders das Bankdrücken. 30 Kilo wiegt die Hantel für die Männer. 17-mal muss man sie mindestens nach oben wuchten, für 50 Wiederholungen gibt es die Höchstpunktzahl. Der Erste schafft 26, der nächste 33. Anfeuerungsrufe und aufmunterndes Klatschen der Prüfungskameraden, ein rührender Zusammenhalt ist da in ein paar Stunden entstanden. Dann einer mit HSV-Trikot: 38. Den sollte ich nachher toppen. Dann gewinnt auch die Eintracht am Samstag gegen die Hamburger.

 

Wir fangen allerdings mit dem Achterlauf an. Schade eigentlich. Dann werde ich wohl nach der ersten Runde mit ausgerenktem Lendenwirbel an den Hallenrand gelegt und muss zusehen, wie die Konkurrenz vorbeizieht. Das sind: eine 33-jährige Zeitungskollegin vom „Wiesbadener Kurier“, ein Reporter vom Hessen-Fernsehen (35) und ein weiterer TV-Mann von RTL (38). Wenn Sie jetzt den Eindruck haben, das sei rein altersmäßig nicht ganz gerecht gegenüber der Frankfurter Rundschau: Ja, das kann man wohl sagen! Wobei: Meine bezaubernde Frau nennt mich mitunter „mein kleiner Hase“. Dann ist der Unterschied vielleicht gar nicht so groß.

 

Achterlauf jetzt. Die Dame vom „Kurier“ fängt an und macht das sehr elegant. Bei ihr ist aber schon im Ansatz zu erkennen, was auch mein Problem sein wird – genau, das Durchs-Holzrechteck-Gleiten auf dem Bauch. Im Prinzip ist das Bauchrutschen gar nicht so diffizil. Nur dieses lästige Aufstehen hinterher … „Ich bin eher so der Liegenbleiber“, gesteht der Kollege vom HR. Er wird in dieser Disziplin Dritter, ich hole einen ehrenhaften zweiten Platz hinter dem Handballer von RTL. Eine Reihenfolge, die sich wie ein roter Faden durch das Restprogramm ziehen wird.

 

„Es gibt zunehmend Fluchtversuche bei Festnahmen, da müssen wir Polizisten fit sein“, sagt Ausbilder Zipp. An mir soll’s nicht liegen. Aber könnten wir vielleicht bei den nächsten Stationen einen Zeitbonus für 50-plus-Teilnehmer, die kein Mineralwasser dabeihaben … – nein? Man wird ja wohl noch fragen dürfen. Da draußen, heißt es, fragt der Terrorist auch nicht, ob der Polizeibeamte, der hinter ihm herrennt, schon über 50 ist.

 

Fünf-Sprung-Lauf. Technisch anspruchsvolle Übung. Fünf Sprünge hintereinander aus dem Stand, zwei Durchgänge. Meine Messwerte: elf Meter im ersten – und 11,05 Meter im zweiten Versuch. Weltrekord! Na gut, nicht ganz. Aber besser als die Frauen bei den echten Polizeianwärtern. Und wieder Platz zwei im Reporter-Wettbewerb.

 

Dann der Wendelauf. Angenehm wäre es, wenn es sich dabei um ein 500-Meter-Rennen handelte, bei dem man einmal sein T-Shirt wenden muss. Oder um einen Lauf, dessen Motto lautet: Wende kein Bock mehr hast, bleibste halt stehen. Dummerweise hat der Lauf aber seinen Namen daher, dass man 19-mal wenden muss, weil die Strecke in 25-Meter-Stücke unterteilt ist. „Wer hier losrennt wie der Teufel, wird ein Problem bekommen“, sagt Sportausbilder Peter Barnack und rät dringend, sich die Strecke gut einzuteilen. Wer das nicht so gut verkraftet, also im Magen, für den stehen Eimer und Plastiktüten bereit. „Das geht hier nach dem Verursacherprinzip“, sagt Barnack. „Wer es mitgebracht hat, muss es auch wieder mitnehmen.“ Es habe aber auch schon Leute gegeben, die sich beim Wendelauf erleichtert und dann trotzdem noch das Prüfungsziel geschafft hätten.

 

Jetzt mag hier der Eindruck entstanden sein, der Wendelauf sei anstrengend. Das ist nicht ganz falsch; Den Eindruck hatte ich schon bei den jungen Läufern, als sie vorhin Luft pumpend auf dem Hallenboden lagen. Meine Taktik kann daher nur lauten: langsam angehen – und sich dann von den Zwischenzeiten schockieren lassen, die die beiden Ausbilder hineinrufen. Zehn, elf Sekunden für eine Runde stehen im Raum. Beziehungsweise hängen als Damoklesschwert über mir und meinem Magen. Zu allem Unheil verfolgen die Kollegin vom „Kurier“ und der Mann vom HR eine recht anspruchsvolle Marschroute: Sie rennen los wie der Teufel – immer dem Handballer von RTL hinterher, der offenbar vor dem Teufel wegrennt, ihn am Ende aber auch ziehen lassen muss. Zieleinlauf: Teufel, RTL, FR, Kurier, HR.

 

Ach so, und das Bankdrücken: Alles gegeben, aber das könnte ein Unentschieden geben am Samstagabend. Das Schwierige ist nicht das Gewicht, sondern das Gleichgewicht der Hantel. Immerhin: Ich habe ohne Training genauso viel gehoben wie der Typ im HSV-Trikot. Dann gewinnen wir trotzdem.

 

Alles in allem habe ich keine schwerwiegenden Verletzungen erlitten (Hautabschürfungen: eine) und bin mit 81 Gesamtpunkten überm Strich: Das reicht für eine bestandene Sportprüfung – yaaay! Wenn man nicht in einer Disziplin die erlaubte Gesamtzeit überschreitet – oooch. Und da hat das Aufstehen beim Achterlauf halt doch ein paar Sekunden zu lang gedauert. Das ist der eine Haken. Der andere fängt mit 5 an und hört mit 2 auf. In dem Alter wird man nicht mehr Polizist. Selbst wenn man wollte. Da kann der Terrorismus noch so islamistisch sein. Egal, ich sag’ dann einfach: Mein Papa war Polizist.

 

Und wenn ich wieder mal in der Polizeiakademie bin, fahre ich auf dem großen Parkplatz auch nicht ohne Gurt los. Die können vielleicht böse gucken. Das lässt sich bestimmt auch für die Aufnahmeprüfung trainieren.