Wer braucht auf Antifa-Kundgebungen schon ein Megaphon?

Erstveröffentlicht: 
14.03.2017

Dresdner Staatsanwaltschaft legt im Prozess gegen Antifaschisten Tim H. erneut Revision ein / Im Antrag wird die Beweislast umgekehrt

 

Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat nicht vor, den Antifaschisten Tim H. in Ruhe zu lassen. Nach nunmehr drei Prozessrunden innerhalb von sechs Jahren, die zuletzt mit einem Freispruch des Aktivisten endeten, beantragten sie erneut Revision. Das Landgericht Dresden hätte klären müssen, so die Begründung, zu welchem Zweck der Angeklagte überhaupt ein Megafon mit sich geführt habe – »wenn nicht um die unfriedliche Menge, den schwarzen Block, zu koordinieren und anzutreiben.«

 

Dem heute 40-jährigen Vater zweier Kinder wird damit weiterhin vorgeworfen, bei den Massenprotesten gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden im Februar 2011 aufwiegelnd auf die Aktivisten eingewirkt zu haben. Damals war es dem zivilgesellschaftlichen Bündnis »Dresden Nazifrei« gelungen, rund 20.000 Menschen zu Blockaden zu mobilisieren und Europas größtem Naziaufmarsch so ein Ende zu bereiten. Tim H. wurde danach von der Dresdner Staatsanwaltschaft vor Gericht gezerrt, bislang dreimal. Sie hatte dem Angeklagten vorgeworfen, mit dem über ein Megafon geäußerten Spruch »Kommt nach vorne!« einen gewalttätigen Durchbruch von Nazigegnern durch eine Polizeisperre koordiniert zu haben. Nun versucht sie ein viertes Mal, damit durchzukommen.

 

Tim H.s Anwalt Sven Richwin will keine Einschätzung angeben, ob der Revision stattgegeben werden könnte. Strafrechtlich sei die Begründung des Antrags »hanebüchen«, doch während der vergangenen Prozesse habe es in Dresden schon einige Überraschungen gegeben. »Die Staatsanwaltschaft scheint ein generelles Problem mit der Versammlungsfreiheit zu haben«, kritisierte Richwin den Antrag gegenüber »nd«. »Das Megaphon ist ein klassisches Kommunikationsmittel – kein Tatmittel – ohne das eine Kundgebung gar nicht möglich ist.«

 

Zudem führe die Staatsanwaltschaft mit dem Revisionsantrag ihre Bekämpfung der Unschuldsvermutung fort, die die Prozesse gegen Tim H. von Anfang an geprägt habe. »Sie fordert von dem Angeklagten ein, selbst erklären zu müssen, wozu er das Megaphon mit sich führte. Das ist eine klare Umkehr der Beweislast.« Für Richwin ist schon lange klar, was die Staatsanwaltschaft mit den Revisionen bewirken möchte: »Durch die krasse Verfahrenslänge wird das Verfahren selbst als Strafe genutzt.« Mit einer Verurteilung Tim H.s rechne in Wahrheit keiner mehr. 

 

Die Verfahrensgeschichte: Haftstrafe, Geldstrafe, Freispruch


In einem ersten Verfahren hatte das Amtsgericht Dresden die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft als erwiesen angesehen und den nicht vorbestraften Angeklagten im Januar 2013 zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, wegen Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruchs und Beleidigung. In seiner Urteilsbegründung hatte der Richter Hans-Joachim Hlavka gesagt: »Ich kann Ihnen keine günstige Sozialprognose ausstellen«, und: »Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen.« »Sachsen dreht frei«, stellten linke Aktivisten fest, und auch Juristen kritisierten das Urteil – insbesondere weil der Hauptbelastungszeuge, ein Anwohner, Tim H. damals entlastet hatte.

 

Im Berufungsverfahren am Landgericht Dresden im Januar 2015 wurde dann die schwache Beweislage aufgerollt. Die Verteidigung hatte dabei eine eigene Auswertung der Videoaufnahmen präsentiert und der Polizei eine »Manipulation des Beweismaterials« vorgeworfen. In diesem zweiten Prozess wurde H. nur noch wegen der Beleidigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 45 Euro verurteilt.

 

Zuletzt hatte das Landgericht Dresden den Aktivisten im Dezember vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen. Zur Urteilsbegründung hatte der Vorsitzende Richter Martin Schulze-Griebler gesagt: »Es konnte ihm nicht einmal nachgewiesen werden, dass er überhaupt Ansagen mit seinem Megafon gemacht hat.« Er hatte zugleich sein Bedauern über die lange Verfahrensdauer von fast sechs Jahren und den Umstand geäußert, dass dabei drei völlig unterschiedliche Urteile gefällt wurden: »Mein Vertrauen in die Strafjustiz würde das nicht unbedingt festigen.«