Freital-Prozess: Eine Stadt auf der Anklagebank

Erstveröffentlicht: 
13.03.2017

Das braunste Tal Deutschlands wird Freital in der Presse genannt. Von hier stammen die mutmaßlichen Rechtsterroristen, die nach Anschlägen gegen Flüchtlinge und politische Gegner vor Gericht stehen. Der Umgang in der Stadt mit dem Prozess ist schwierig.

 

Freital. „Dass da 40 000 Menschen in Generalhaft genommen werden, das geht gar nicht“, sagte Uwe Rumberg. Der 58-jährige Freitaler Oberbürgermeister ist seit anderthalb Jahren im Amt „und dieser Stadt von Geburt an verbunden“. Doch der Ruf Freitals ist ruiniert, seit dort im Sommer 2015 fremdenfeindliche Proteste vor einer Flüchtlingsunterkunft wochenlang für Schlagzeilen und Sprengstoffanschläge gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer für Angst und Entsetzen sorgten.

 

Acht dafür mutmaßlich Verantwortliche stehen seit vergangener Woche im nahen Dresden vor Gericht, angeklagt wegen der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung, versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und weiterer Delikte. Der Generalbundesanwalt gab der Gruppe einen Namen: Freital. Das „braunste Tal Deutschlands“, schrieb der „Stern“.

 

„Da ist man geschockt, wenn man so etwas liest“, meint Rumberg. „Und da bin ich wirklich den Tränen nah.“ Er sei „christlich-pazifistisch erzogen worden“, sagt der CDU-Mann. Seine Eltern hätten den Zweiten Weltkrieg erlebt, „und mein Vater hat immer gesagt, "seht zu, dass sich so etwas nicht wiederholt"“. Das sei seine Lebenseinstellung. „Deshalb bin ich auch nicht nur gegen Rechtsextremismus, sondern gegen jeglichen Extremismus.“

 

Dass Freital ein generelles Problem mit Rechtsextremismus hat, könne er aber nicht erkennen. Überhaupt sei alles gut gewesen, bis die Flüchtlinge kamen. „Bis die Asylproblematik über uns hereinkam, hatten wir keine nennenswerten Szenen. Da ist nichts mit Rechts- oder Linksextremen gewesen.“

 

Für die Proteste, die sich gegen die Erstaufnahmeeinrichtung im früheren Hotel „Leonardo“ richteten und bei denen die nun Angeklagten kräftig mitmischten, zeigt das Stadtoberhaupt Verständnis. Man müsse „immer wieder diese zentrale Einrichtung sehen und welche Auswirkung die auf das unmittelbare Umfeld hatte. Die Leute waren einfach betroffen, konnten teilweise nachts nicht mehr schlafen, hatten natürlich auch eine gewisse Angst. Das sind aber keine Extremisten gewesen.“

 

Steffi Brachtel von der Organisation für Weltoffenheit und Toleranz sieht das freilich anders. „Es müsste eigentlich eine ganze Stadt vor Gericht stehen. Auch wenn ich weiß, dass nicht alle Einwohner rechts sind oder Nazis sind oder Terroristen sind. Aber sie haben es zugelassen.“ Die Haltung Rumbergs regt sie auf. „Auch jetzt kommt noch keine klare Positionierung von der Stadtverwaltung. Und so denken die Leute hier auch. Viele sagen, "das waren doch nur ein paar Böller, es sind doch nur Dumme-Jungen-Streiche gewesen".“ Bei einem Großteil der Bürger fehle „das Bewusstsein völlig, dass das Straftaten waren, dass das wirklich Terror war.“

 

Brachtel spricht aus Erfahrung. Als Flüchtlingshelferin wurde sie selbst terrorisiert: Bedrohungen im Internet, Nachstellungen, ihr Briefkasten wurde gesprengt.

 

In der Stadt will kaum einer über den Prozess in Dresden reden. An der Aral-Tankstelle direkt gegenüber dem Polizeirevier - dort, wo sich die „Gruppe Freital“ laut Anklage regelmäßig traf, bevor man sich aufmachte zu Sprengstoffanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte oder politische Gegner - ist man zugeknöpft. Natürlich wisse man, dass die mutmaßlichen Rechtsterroristen abends da waren. „Hinten bei den Staubsaugern, da ist es aber dunkel“, sagt die Frau hinter der Kasse. „Und glauben Sie, die trugen ein Schild um den Hals, wenn sie reinkamen?“ Mehr will sie nicht sagen.

 

„Das ist doch alles nur aufgebauscht“, meint ein älterer Herr auf dem Parkplatz eines Baumarktes, bevor er sich kopfschüttelnd abwendet.

 

„Das Problem ist die schweigende Mehrheit, die das mitträgt und das Ganze legitimiert und relativiert“, sagt Brachtel. „Es gibt hier immer noch genug Leute, die das toll finden.“ Bei den acht Angeklagten im Alter zwischen 19 und 39 Jahren handele es sich auch nur um den harten Kern der Gruppe. „Ich denke, dass es schon noch etwa 20 Sympathiesanten und Unterstützer gibt. Das ist wirklich bloß die Spitze des Eisbergs.“

 

Chronologie: Die Spur der "Gruppe Freital"


Die Angeklagten sind seit November 2015 beziehungsweise April letzten Jahres in Untersuchungshaft. „Es hat sich seit den Festnahmen durchaus beruhigt, was die offene Gewalt angeht“, sagt Andrea Hübler von der Opferberatung RAA. „Es hat sich ein Stück weit verlagert in Freital. Wir hatten 2016 ganz, ganz viele Propagandadelikte, auch teilweise organisiert durchgeführt, wo an drei Orten gleichzeitig "NS jetzt"-Parolen, "Asylwahn stoppen" und ähnliche Parolen ans Rathaus und die Bahnhöfe gesprüht wurden.“

 

Der Fremdenhass sei nicht aus den Köpfen der Menschen verschwunden, „nur weil da jetzt acht Leute auf der Anklagebank sitzen“, erklärt Brachtel. „Das eigentliche Problem ist ja, dass diese Dinge in den Köpfen von Menschen fest verankert sind, von denen man nicht sagen würde, das sind Nazis oder die sind rechts. Und solange sich die Stadtverwaltung nicht klar und eindeutig positioniert, ist es auch für die Bevölkerung schwierig.“

 

Das Problem sei aber nicht auf ihre Heimatstadt beschränkt. „Jeder von uns - egal ob in Freital, Dresden, Heidenau oder Bautzen - muss sich fragen, in was für einer Gesellschaft wollen wir in fünf, zehn oder in 20 Jahren leben“, meint Brachtel. Sie wolle in einer bunten, offenen Gesellschaft leben. „Wo ich ohne Angst sagen kann, dass ich Nazis scheiße finde.“

 

Von Martin Fischer, dpa