In Polen verbreiten einige Journalisten Fake News. So auch über die angeblich schlimmen Zustände in einem bayerischen Dorf.
Von Gabriele lesser
WARSCHAU taz | In Polen sind Fake News von wahren Nachrichten kaum noch zu unterscheiden: „Brustkrebs – wenn der Mann Präservative benutzt!“ Oder der Klassiker: „Flugzeugkatastrophe von Smolensk 2010: Ein russischer Anschlag auf Präsident Lech Kaczyński!“
Es sind keine Trolle, sondern Regierungspolitiker und Berater der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die diese „Nachrichten“ in die Welt setzen. Weitgehend ungeprüft werden sie dann von vielen polnischen Journalisten weiterverbreitet. So entstehen heute selbst Agenturmeldungen.
Als die PiS im Oktober 2015 erneut die Regierung in Polen übernahm, verabschiedete sie wie bereits 2005 gleich zu Beginn ein neues Mediengesetz. Damit wurde zunächst der öffentlich-rechtliche Rundfunk verstaatlich. Insbesondere die „Inteligencja“ fühlt sich nun von den stark ideologisierten TVP-Programmen und ihren bewussten Manipulationen abgestoßen.
Anders als bei Fernsehen und Radio, die nach wie vor die populärsten Medien sind, sinken die Auflagen der polnischen Tageszeitungen schon seit Jahren. Heute lesen – bei einer Bevölkerungszahl von 38 Millionen Menschen – nicht einmal mehr eine Million Polen eine überregionale Tageszeitung. Statt aber in bessere Berichterstattung zu investieren, wurden die Auslandskorrespondenten – bis auf Washington, Moskau und Brüssel – eingespart.
Gefeuert wurden auch ältere und hochqualifizierte Redakteure, um an ihrer Stelle junge, unerfahrene, aber billigere Journalisten einzustellen. Die Folge ist eine Berichterstattung, die auf Sensationen setzt und immer weniger mit der Realität zu tun hat. Statt selbst vor Ort zu recherchieren, werden Interviews mit Augenzeugen und Experten publiziert, deren Glaubwürdigkeit zum Teil zweifelhaft ist.
Für Aufsehen gesorgt
So erschien Mitte letzten Jahres in der konservativen Tageszeitung Gazeta Prawna ein sensationell aufgemachtes Interview mit Maya Paczesny. Die Videoclip-Produzentin erzählt darin, wie sich das oberbayerische Dorf Rupprechtstegen durch die Aufnahme von Flüchtlingen vom „Paradies in eine Müllkippe“ verwandelt habe.
Wie sie selbst aus lauter Angst vor einer Brandstiftung nicht mehr schlafen konnte: auf der einen Seite die angeblich dreckigen und stehlenden Flüchtlinge, auf der anderen die alteingesessen Deutschen, die so stolz waren auf die Nazivergangenheit ihrer Eltern und Großeltern.
Am Ende sah sich Paczesny gezwungen, wie sie im Interview sagt, ihr Traumhotel an den deutschen Staat zu verkaufen, der daraus eine weitere Flüchtlingsunterkunft machen wollte. Sie selbst flüchtete zurück nach Polen, einem Land ohne muslimische Flüchtlinge und ohne stolze Nazi-Deutsche.
Das Interview sorgte in Polen für Aufsehen, weil hier eine Augenzeugin die Angst vor den Flüchtlingen bestätigte, die PiS-Parteichef Jaros ł aw Kaczy ń ski schon im Wahlkampf 2015 nach Kräften geschürt hatte: Die Fremden würden angeblich Parasiten und tödliche Krankheiten einschleppen, an denen aber nicht sie selbst, sondern nur die Polen sterben würden. Kaczy ń ski und die PiS, so das Wahlversprechen, würden die Polen vor dieser mörderischen Gefahr schützen.
Nichts war so wie beschrieben
Als Ewa Wanat, die frühere Chefredakteurin der Warschauer Radiostationen TokFM und RDC, das Interview las, kamen ihr Zweifel. Wanat schreibt zurzeit mit einem Stipendium der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit ein Buch über das Zusammenleben von Deutschen, Flüchtlingen und Immigranten. Ihre Rechercheergebnisse deckten sich so gar nicht mit den im Interview beschriebenen Zuständen. Sie beschloss, der Sache vor Ort nachzugehen.
In Rupprechtstegen befragte sie mehrere Dutzend Menschen, Einheimische wie Flüchtlinge, sah sich das angebliche Traumhotel von Maya Paczesny an, ging zum Forellenteich, aus dem die Flüchtlinge angeblich die Fische geklaut hatte.
Nichts war so, wie Paczesny es beschrieben und zigtausende Polen es geglaubt hatte. Als Wanat Paczesny und die Interviewerin mit ihren Rechercheergebnissen konfrontieren wollte, nahmen beide nach einem Erstkontakt keine Telefonate mehr entgegen und antworteten auch nicht auf E-Mails oder SMS.
Nur ein Beispiel von vielen
Als Ewa Wanats Reportage „Flüchtlinge aus dem deutschen Paradies“ im liberalkatholischen Nachrichtenmagazin Tygodnik Powszechny erschien, entbrannte eine Diskussion über Wahrheit und Lüge, das „Recht auf seine eigene Perspektive“ und die Frage, ob Journalisten tatsächlich die Pflicht haben, die Glaubwürdigkeit ihrer Gesprächspartner zu überprüfen. Zwar lautete die erste einhellige Antwort, dass es keine solche Pflicht gebe. Doch später änderten einige Journalisten, wie der bekannte Radio- und Fernseh-Interviewer Konrad Piasecki, ihre Meinung.
Das Interview mit Paczesny ist nur ein Beispiel von vielen. Außergewöhnlich ist nur, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, die Geschichte nachzurecherchieren. Immerhin gibt es inzwischen Internetportale wie oko.press, deren Journalisten es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Recherchearbeit zu leisten, auf die immer mehr Redaktionen verzichten.
Den Artikel von Ewa Wanat können Sie auf taz.de/Fluechtlingeausdemparadies nachlesen.