Brandenburgs NSU-Untersuchungsausschuss fragt, ob der NPD-Politiker Frank Schwerdt für den Verfassungsschutz spitzelte. Das Innenministerium gibt keine Auskunft und befeuert einen alten Verdacht.
Potsdam - Brandenburgs Verfassungsschutz heizt Spekulationen um einen möglichen, einflussreichen V-Mann in der rechtsextremistischen NPD und im Umfeld von Neonazi-Kameradschaften an. Das Innenministerium verweigert nach PNN-Recherchen dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags Auskunft darüber, ob der im Oktober 2016 verstorbene Neonazi und NPD-Funktionär Frank Schwerdt V-Mann für die Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums in Potsdam war.
Schwerdt war in den in den 1990er-Jahren einer der einflussreichsten Rechtsextremisten in Brandenburg, nicht nur in der NPD, wo er seit Ende der 1990er-Jahre Bundesgeschäftsführer war, sondern zuvor vor allem in der gewaltbereiten Neonazi- und Kameradschaftsszene. Er steuerte in Brandenburg etwa den Aufbau sogenannter „nationaler Jugendklubs“ für den Aufbau von Kameradschaften. Mit dem Verein „Die Nationalen“ hatte Schwerdt in den 1990er-Jahren eine breite Sammlungsbewegung von Neonazis in Berlin und Brandenburg geschaffen. Er galt als „Spiritus Rector“ der 1996 gegründeten, ein Jahr später verbotenen „Kameradschaft Oberhavel“. Als „Die Nationalen“ sich 1997 auflösten, um einem Verbot zuvorzukommen, bewegte er einen Großteil der rund 150 Neonazis aus den Kameradschaften in Berlin und Brandenburg zum Eintritt in die NPD.
Kontakt zum NSU-Terrortrio
Die rechtsextremistische Partei war bis dahin in der Hauptstadtregion nahezu bedeutungslos und gewann durch den massiven Eintritt von Neonazis an Kraft. Brandenburgs Verfassungsschutz befand damals, das Jahr 1997 sei „möglicherweise eine Trendwende für die NPD in Brandenburg“. Mit seiner Hilfe wurde 2001 der im Nordosten Brandenburgs – in Barnim, Märkisch-Oderland, Uckermark und Oberhavel – aktive „Märkische Heimatschutz“ gegründet. In Thüringen wurden ihm Verbindungen zum NSU-Terrortrio nachgewiesen, er wird zum größeren NSU-Umfeld gezählt, hatte engen Kontakt zu Unterstützern und Helfern der Rechtsterroristen.
Trotz eines klaren Beweisbeschlusses des brandenburgischen NSU-Untersuchungsausschusses, der Gerichtskraft hat, will das Innenministerium jedoch nicht erklären, ob Schwerdt für den Verfassungsschutz in der Neonazi-Szene spitzelte. Das Innenministerium verweist darauf, dass derlei Informationen geheimhaltungspflichtig seien. Sollten Details bekannt werden, sei das Staatswohl gefährdet. Es würden Rückschlüsse auf „nachrichtendienstliche Zugänge“ ermöglicht, wie das Innenministerium nun dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags mitteilte. Damit wären die Arbeit des Verfassungsschutzes und die Sicherheit seiner Mitarbeiter gefährdet.
War Schwerdt V-Mann? Keine Negativauskunft des Innenministeriums
Nicht einmal in einer als geheimer Verschlusssache deklarierten Antwort an den Untersuchungsausschuss will der Verfassungsschutz Auskunft geben, ob Schwerdt für die Behörde tätig war. Obwohl der Neonazi bereits tot ist, im Oktober 2016 im Alter von 72 Jahren verstorben war, will das Innenministerium auch keine Negativauskunft erteilen – also dass Schwerdt nicht V-Mann war. Verwunderlich daran ist, dass die Behörden nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember eine Negativauskunft sogar öffentlich verbreitet hatten. Demnach sei der islamistische Terrorist Anis Amri kein V-Mann gewesen.
Mit seiner Auskunftsverweigerung befeuert das Innenministerium trotz aller Versprechen, Brandenburgs NSU-Untersuchungsausschuss bei seiner Aufklärung von möglichen Verstrickungen der hiesigen Behörden zu unterstützen, einen unter Experten und Szenekennern schon lange gehegten Verdacht: dass der Verfassungsschutz weitaus stärker an zentralen Stellen aktiv war und führende Köpfe der rechtsextremistischen Szene als Spitzel geführt haben könnte. Dabei steht auch die Frage im Raum, welchen Anteil der Verfassungsschutz selbst am Wachstum von Kameradschaften und der Neonazi-Szene in Brandenburg hatte. Inwieweit er von militanten Aktionen gewusst, diese hingenommen haben könnte – oder ob ihm der Versuch, die Szene auszukundschaften und mit Quellen an zentralen Stellen unter Kontrolle zu halten, aus dem Ruder geraten ist.
Weiter Schweigen im Fall Schwerdt
Dazu, dass Frank Schwerdt als V-Mann für den Verfassungsschutz aktiv war, gibt es seit Jahren Hinweise, die sich bislang aber nicht erhärtet und bestätigt haben.
Zudem wirft der gesamte Vorgang ein schlechtes Licht auf den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses selbst. Denn das Schreiben des Innenministeriums zum Fall Schwerdt ging am 19. Januar im Ausschussbüro und damit beim Ausschussvorsitzenden Holger Rupprecht (SPD) ein. Einen Tag später dann tagte der Ausschuss. Doch Rupprecht informierte den Ausschuss nicht über das Schreiben des Innenministeriums. Stattdessen befasste sich der Ausschuss mit dem Umgang mit Akten des Verfassungsschutzes. Nach einem halben Jahr Blockade lenkte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) ein: Dem Ausschuss soll nun im Geheimschutzraum ungeschwärzte Akten vorgelegt werden. Nur im Fall Schwerdt herrscht Schweigen.
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Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke stoppt die Vernichtung aller Akten mit Rechtsextremismus-Bezug. Doch der Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss erfuhr davon erstmal nichts.
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