Im Hambacher Forst kämpfen Klimaaktivisten mit Guerillamethoden gegen den Braunkohletagebau von RWE. Wie sehr der Konflikt die Region spaltet, zeigt die Geschichte von Bonnie und Thomas Körber.
Sie
 haben sich mit Steinen bewaffnet, die Gesichter sind vermummt. Manche 
haben sich die Fingerkuppen verklebt oder abgeschmirgelt, damit die 
Polizei keine Abdrücke nehmen kann.
An einem Mittwoch Ende 
November schlagen sie los, attackieren an der Landstraße L276, nahe 
Kerpen-Buir, ein Auto mit vier Sicherheitsleuten, die Rodungsarbeiten 
des Energiekonzerns RWE im Hambacher Forst bewachen. Laut Polizeibericht
 verliert der Fahrer die Kontrolle, das Fahrzeug überschlägt sich 
mehrfach, die Sicherheitsleute müssen leicht verletzt ins Krankenhaus.
Eine
 Aktivistin, die sich Bonnie nennt, hat an solchen Aktionen nur eines 
auszusetzen: mangelnde Wirksamkeit. "Wir haben lange diskutiert, was 
effektiver ist", sagt sie, "Gewalt gegen Menschen oder Gewalt gegen 
Maschinen." Das Votum war klar: "Kaputte Maschinen halten den Betrieb 
auf und zwingen RWE finanziell in die Knie", sagt Bonnie. "Kaputte 
Menschen sind schnell austauschbar." Bonnie will nicht sagen, ob sie an 
der Attacke beteiligt war. Prinzipiell aber hat sie kein Problem mit 
Gewalt. "Die RWE-Leute wissen ja, dass ihr Handeln Konsequenzen hat."
Thomas
 Körber machen die Angriffe auf seine Leute noch immer fassungslos. Die 
Attacke an der L276 war nur einer von Hunderten Übergriffen, derentwegen
 der Leiter des Tagebaus Hambachs viele Nächte und Wochenenden lang 
Noteinsätze leitet: Die Umweltschützer stecken Trafostationen und Bagger
 in Brand. Sägen Strommasten an. Verstecken Eisenträger in den Kronen 
alter Eichen, die Holzfäller zu erschlagen drohen. "Es darf nicht sein, 
dass man seiner Arbeit nachgeht und um Leib und Leben fürchten muss", 
sagt Körber.
Körber und Bonnie sind zwei sehr ungleiche Menschen:
 Ein 44-jähriger Ingenieur, Vater zweier Kinder, der in einem Mietshaus 
wohnt und in den Karnevalsverein geht. Und eine Klimaaktivistin, Anfang 
zwanzig, die in einem Baumhaus lebt, um den letzten Rest eines alten 
Waldes zu bewachen, der am Rande des größten Braunkohlereviers Europas 
liegt.
Bonnie und Körber stehen auf zwei Seiten eines Konflikts, 
der sich seit 2012 stetig verschärft hat. Und der nun, da der Landkreis 
darüber nachdenkt, einen Teil der Aktivisten zu vertreiben, vollends 
eskaliert. Die Gewalt erinnert an die Zeit Mitte der Achtzigerjahre, als
 militante Umweltschützer nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl die 
deutsche Atomindustrie mit Molotowcocktails und Brandanschlägen 
bekämpften. Und genau wie damals streitet das Land auch jetzt über eine 
energiepolitische Zäsur.
72 Prozent der Bevölkerung fordern laut 
einer Umfrage des Forschungsinstituts Emnid ein Gesetz für den 
Kohleausstieg. Die Regierung aber hat die Entscheidung, wie dieser 
ablaufen soll, auf 2018 vertagt. Im Westen der Republik wächst seitdem 
der Zorn. Anwohner verstehen nicht, warum die Kohlebagger trotz 
Energiewende ihre Heimat verwüsten. Nicht wenige unterstützen in ihrer 
Verzweiflung die Aktivisten. Und so kommt es, dass der Hambacher Forst, 
dieses kleine Stück Wald zwischen Etzweiler und Buir, zur Frontlinie der
 deutschen Energiewende wird.
Bonnies Welt
Bonnie
 sitzt in einem Baumhaus, rund 15 Meter über dem Boden, und blickt in 
die Kronen der Stieleichen und Winterlinden. Ihre Unterkunft ist 
zweistöckig und liebevoll eingerichtet. Unten die Küche mit Gaskocher, 
Spüle, Esstisch und selbst gezimmerten Gewürzregalen. Oben das 
Schlafzimmer, ein vielleicht zwölf Quadratmeter großer Raum mit zwei 
Glasfenstern, einer Matratze, Kerzen und einem Ofen. In eine der 
Bretterwände haben die Klimaaktivisten kleine Löcher gebohrt, durch die 
die Zweige des Baums in den Raum hineinragen.
Seit gut vier 
Jahren lebt Bonnie in den Bäumen. Oft wache sie vom Knattern der 
Kettensägen auf, sagt sie. Sie sitzt dann an ihrem Fenster und hört zu, 
wie die Stämme krachend brechen und mit einem dumpfen Aufprall zu Boden 
fallen. Immer näher kommen die Maschinen, wenige Hundert Meter noch bis 
zu den Baumhäusern.
"Es hat etwas Endgültiges, wenn ein Baum 
fällt", sagt Bonnie. "Ein Leben ist ausgelöscht. Ich verstehe nicht, 
wofür." Sie wendet sich ab, hat Tränen in den Augen.
Der Wald, in
 dem Bonnie lebt, liegt am Rande eines gigantischen Lochs, das sich 
trichterförmig rund 400 Meter in die Erde gräbt und in dessen Mitte RWE 
jährlich 40 Millionen Tonnen Braunkohle fördert. Der Scheitelpunkt des 
Trichters wandert unablässig nach Südwesten auf den Hambacher Forst zu. 
Diesen Winter werden rund 70 Hektar Wald gerodet. Ein Tausende Jahre 
altes Ökosystem, ein Lebensraum für europarechtlich geschützte Tiere, 
geht Stück für Stück verloren.
Die Umweltschützer finden das 
sinnlos. Durch die erneuerbare Energien ist Deutschlands 
Braunkohlebedarf deutlich gesunken. Laut einer Studie der Denkfabrik 
Agora Energiewende könnte der Tagebau Hambach schon 2024 stillgelegt 
werden. Nicht erst 2040, wie derzeit geplant. Bis klar ist, wie viel 
Kohle die Republik überhaupt noch braucht, müssen die Motorsägen 
schweigen, findet Bonnie.
Auf einer Wiese unweit der Baumhäuser 
haben die Klimaaktivisten ein Protestcamp errichtet. Es besteht aus ein 
paar bunt besprühten Campingwagen voller Sperrmüll, einem Gewächshaus 
mit Tomaten, einem Gemeinschaftszelt voller gammliger Sofas und einer 
toten Ratte.
Die meisten Bewohner sind Anfang bis Ende zwanzig. 
Sie kommen aus Norddeutschland, Österreich, Spanien, Italien, aber 
selten aus der Region. Nicht alle unterstützen die Gewaltaktionen gegen 
RWE. Und nicht für alle scheint die Rettung des Waldes oberste Priorität
 zu haben.
Im Camp schläft manchmal ein Mann, der seinen 
männlichen Körper ablehnt, weil er als Kind von einem Erwachsenen 
missbraucht wurde. Eine junge, lockige Frau kommt regelmäßig für ein 
paar Tage, um der Konsumwelt zu entfliehen. Es wird gefeiert, gekifft 
und Gitarre gespielt.
Unter den Anwohnern haben die Aktivisten 
einige Unterstützer. Manche bringen ihnen Kleidung, Nahrung, Wasser oder
 Geld. Antje Grothus, die nur wenige Kilometer vom Camp entfernt wohnt, 
lässt sie regelmäßig bei sich duschen. "Ich halte die Rodungen von RWE 
für gewalttätig", sagt die 52-Jährige, die sich in einer 
Bürgerinitiative gegen den Tagebau engagiert. Die Aktivisten würden auf 
diesen Missstand wenigstens bundesweit aufmerksam machen.
Körbers Welt
Ein
 VW-Bus fährt durch die Kohlegrube, die voller Geröll und Staub ist. 
Förderbänder knirschen vor dem milchig-gelben Horizont. Jedes Mal, wenn 
der Wagen hält, präsentiert Tagebauleiter Thomas Körber einen neuen 
Kriegsschauplatz.
Da ist der mehr als 90 Meter hohe 
Schaufelradbagger, an dem sich Aktivisten im Sommer 2015 festketteten. 
Da sind die 50 notdürftig geflickten 30.000-Volt-Leitungen, die 
Klimaschützer im April 2016 in Brand steckten und damit die 
Stromversorgung des kompletten Tagebaus lahmlegten. Da ist der 
Sicherheitsmann, der ins Krankenhaus musste, weil ein Aktivist ihm mit 
einer Steinschleuder in die Genitalien geschossen hatte. Rund 130 
Straftaten hat die Polizei allein in diesem Jahr registriert³ der 
Sachschaden geht laut RWE in die Millionen.
Körber kränkt die 
Verachtung, mit der die Aktivisten ihm und seinen Leuten begegnen. Er 
ist mit dem Braunkohlerevier ebenso tief verbunden wie Bonnie mit dem 
Wald. Er fing vor gut 20 Jahren als Ingenieur bei RWE an. Die Kohle galt
 seinerzeit noch als Rückgrat der deutschen Industrie, RWE als 
fortschrittlicher Arbeitgeber, und die Kohlekumpel haben den Ruf einer 
eingeschworenen Gemeinschaft.
Heute stellen RWEs Kraftwerke 
Klimakiller dar, die Kohlebagger werden "Heimatfresser" genannt, weil 
ihretwegen ganze Ortschaften umgesiedelt werden. Und Körber muss sich 
immer öfter für seinen Job rechtfertigen. Es gefällt ihm nicht.
"Wir
 sind keine depressive Mannschaft, die sich für ihre Arbeit schämt", 
sagt er. Der Tagebau sei völlig legal, und er sei zudem nötig. Die 
erneuerbaren Energien decken erst knapp 30 Prozent des deutschen 
Strombedarfs. "Wir werden noch Jahrzehnte gebraucht", sagt Körber.
Die
 Regierung hat andere Pläne. Sie will 2018 eine Kommission einberufen, 
die festlegt, welche Kohlemeiler in welchem Jahr vom Netz gehen. Es ist 
absehbar, dass mehr Kohle in der Erde bleibt als RWE lieb ist. Im 
Abbaugebiet Garzweiler II hat die Landesregierung Düsseldorf dem Konzern
 die genehmigten Fördermengen schon um ein Drittel gekürzt.
RWE 
hält trotzdem an der Braunkohle fest. Schließlich erwirtschaftet das 
Unternehmen mit seinen Kraftwerken noch immer Hunderte Millionen Euro 
pro Jahr. Bis in Berlin eine Entscheidung fällt, zählt im rheinischen 
Revier jeder Baggerstich.
Und so wird RWE den Hambacher Forst 
weiter abholzen. Die Waldkrieger werden weiter Brandbomben legen. Und 
Tagebauleiter Thomas Körber wird seine Leute immer stärker maßregeln 
müssen.
Denn auch die Mitarbeiter von RWE hegen inzwischen 
Gewaltfantasien gegen die Klimaaktivisten. "Ab in die Grube und 
zuschütten die Affen", schreibt einer auf Facebook. "Ich hasse dieses 
dreckige, kriminelle Pack±", schreibt ein anderer. "Es wird Zeit, sich 
zu wehren±" Körber müht sich, seine Leute im Griff zu behalten. Das 
Schlimmste, was RWE passieren kann, ist ein Märtyrer auf der 
Gegnerseite.
In den kommenden Monaten droht die Gewalt 
zuzunehmen. Mitte Dezember hat das Oberverwaltungsgericht Münster das 
Protestcamp für illegal erklärt. Der Kreis Düren erwägt, die 
Campingwagenburg auf der Wiese zu räumen. Die Baumhäuser sind vorerst 
wohl nicht betroffen, die Aktivisten drohen dennoch mit Vergeltung.
Es
 ist ein nebliger Samstagnachmittag Ende November. Bonnie steht am 
Waldrand und betrachtet die frisch gefällten Stämme. Das Holz ist noch 
feucht, riecht noch nach Harz. Hier, wo sie steht, endet die alte 
Energiewelt. Zumindest heute noch. Bonnie wird im Wald bleiben, bis zum 
Ende. Sie hat sich geschworen, für jeden einzelnen Baum zu kämpfen.
Von Stefan Schultz



