Ministerien ignorieren Härtefallregelung

Erstveröffentlicht: 
27.12.2016

Der Familiennachzug für minderjährige Flüchtlinge wird nicht durchgesetzt, obwohl der Bedarf danach steigt: 2226 Heranwachsende brauchen ihre Eltern.

 

Wir erleben in der Frage des Familiennachzugs von Flüchtlingen in Deutschland derzeit eine Härte ohne Gleichen“, kritisiert Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Offensichtlich schlage die Wende in der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch hier voll durch, sagt er dieser Zeitung. Das sei „skandalös“ für eine Bundesregierung, die angeblich auch für christliche Werte einstünde.

 

Worum geht es? Im Asylpaket II, das im März dieses Jahres verabschiedet wurde, ist für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt worden – und zwar auch für Minderjährige. „Subsidiärer Schutz“ gilt für jene Menschen, die nach der Genfer Konvention nicht als Flüchtlinge anerkannt werden können, denen aber bei Abschiebung aus dem Gebiet der Europäischen Union Gefahr für Leib und Leben droht. Das ist der Fall, wenn jemand zwar durch Krieg in seinem Leben bedroht ist, ihm aber in seinem Heimatland keine individuelle Verfolgung droht.

 

Das Asylpaket II ist ein mühsam ausgehandelter Kompromiss zwischen Union und SPD, der vorsieht, in Härtefällen minderjährigen Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz den Nachzug ihrer Eltern zu erlauben. Über das Vorliegen eines Härtefalls – „bei dringenden humanitären Gründen“ – entscheide das Auswärtige Amt im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium. Das ist die Theorie. Und nur die Theorie.

 

Denn genau diese Härtefallregelung ist nach Recherchen der ARD-Hauptstadtredaktion praktisch nicht umgesetzt worden. Gleichzeitig sei die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus stark gestiegen – von 105 im Jahr 2015 auf 2226 bis November 2016. Das ergab eine der ARD vorliegende Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Franziska Brantner.

 

Und was ist mit der Härtefallregelung beim Elternnachzug? Das Innenministerium hat laut dem Bericht auf Anfrage der Grünen mitgeteilt, der Bundesregierung lägen dazu keine Erkenntnisse vor. Das federführende Auswärtige Amt habe nur vage auf „eine Reihe von Einzelfällen“ verwiesen, in denen ein Visum erteilt worden sei oder das Verfahren derzeit noch laufe. Statistisch erfasst würden diese Fälle jedoch nicht, hieß es weiter.