Neues rechtsradikales Netzwerk breitet sich in Thüringen aus

Erstveröffentlicht: 
16.12.2016

Thüringen, ein Spaß- und Erlebnisland für Rechtextreme? Ja, sagen Beobachter der Szene. In keinem anderen Bundesland finden so viele Rechtsrockkonzerte statt. Zudem kaufen Neonazis immer häufiger Immobilien in Thüringen. Die Szene ist im Freistaat offenbar noch aktiver geworden. Eine neue Gruppierung verwischt die Grenzen zwischen Neonazismus und Rockerbanden.

 

Von Stefanie Gerressen, Thüringenkorrespondentin für MDR AKTUELL

 

Sie nennen sich "Garde 20", "Turonen" und "Bruderschaft Thüringen", manche von ihnen tragen Kutten wie eine Uniform, häufig versehen mit einer schwarzen Raute mit der Zahl zwanzig. Unter diesen Namen treten Mitglieder einer neuen rechtsextremen Bruderschaft auf. Hier überschneiden sich Neonazis und das Rockermilieu. Bislang waren diese Szenen noch deutlicher zu trennen.

 

Das ist jetzt anders, sagt Katharina König, antifaschistische Sprecherin der Linke-Fraktion im Thüringer Landtag: "In Rockerstrukturen gibt es ja die klare Abweisung gegenüber politischem Engagement beziehungsweise rechter Ideologie, zumindestens nach außen. Das ist das erste neue: dieser Mix aus Rocker und Neonazistruktur. Das zweite neue ist, dass es sozusagen nicht auf einen Ort beschränkt ist, zumindest was den Personenkreis anbelangt." 

 

Starkes Potenzial verfassungsfeindlicher Leute


Dieses Netzwerk sei mindestens in ganz Thüringen aktiv, sagt König. Die Mitglieder organisieren und besuchen vor allem Konzerte. Es handelt sich dabei um den harten Kern der Thüringer Neonaziszene. So ordnet es auch der Thüringer Verfassungsschutz ein.

 

Dass sich neue rechtsradikale Strukturen in Thüringen formieren, ist für Dorothea Marx, Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, nichts Neues. "Wir haben nach wie vor ein sehr starkes Potenzial an Leuten, die sich dem rechtsradikalen Spektrum zurechnen und die auch bereit sind, sich da auch verfassungsfeindlich zu engagieren und organisieren", sagt sie. Es gelte daher, wachsam zu sein und dieses Spektrum gezielt zu bekämpfen.

Aber warum formieren sich ausgerechnet in Thüringen Neonazis neu – wo die Aufmerksamkeit nach dem Bekanntwerden des NSU-Komplexes doch erhöht ist? Marx glaubt, das liegt zum einen am Rechtspopulismus, der auch im Landtag wieder Gehör fände – und meint damit die AfD. 

 

Leerstehende Immobilien ziehen Neonazis an


Eine weitere Erklärung, warum sich Neonazis in Thüringen so wohl fühlen, hat Felix Steiner von der Mobilen Beratung in Thüringen, kurz MoBit. Er sieht in den vielen leerstehenden Immobilien einen Anzugspunkt für die Radikalen: "Es ist natürlich so, dass Thüringer Nazis in den letzten Jahren auch geschaut haben: Wo können sie agieren". In der Folge seien sie im Freistaat fündig geworden. Mehr als ein Dutzend Immobilien würden inzwischen für "menschenverachtende Rechtsrockkonzerte" genutzt.

 

Was kann der Staat dagegen unternehmen? Laut Steiner zum Beispiel Jugendschutzmaßnahmen durchsetzen. Jugendliche und auch kleinere Kinder seien nämlich häufig auf den Konzerten zu sehen – unabhängig von der Uhrzeit oder der Lautstärke.