Ex-Bundespräsident Christian Wulff spricht in Dresden und lässt streitbare Themen dabei nicht aus. Das finden nicht alle toll.
Von Tobias Wolf
In den Sitzreihen dominieren dunkle Anzüge und Abendkleider, als der Christdemokrat den Kapitalismuskritiker gibt. Gerechtigkeit, Bankenrettung, Globalisierung, Religionen, Populismus. Christian Wulff versucht im Dresdner Quartier an der Frauenkirche einen Streifzug durch die aktuelle Weltlage. Im Publikum sind lokale Honoratioren, Wirtschaftsbosse, Uni-Professoren und jene, die gern dazugehören wollen.
Es ist nicht ganz klar, wer wegen des Prominenten, wegen des Themas oder wegen des Buffets in das Forum Tiberius im Dresdner Quartier an der Frauenkirche gekommen ist. Die gut 80 Augenpaare kleben am Pult, als der Ex-Bundespräsident über Bankenrettungen und Ungerechtigkeit redet, über Demokratie, Religionen und Streitkultur. Über Populismus als Konsequenz der Globalisierung. Über Ängste und einer Debattenkultur, die von Hetze gegen Minderheiten statt Anstand geprägt ist. „Ungleichheiten werden dann nicht akzeptiert, wenn Gewinne privatisiert, Verluste aber sozialisiert werden“, sagt der 57-Jährige einen dieser Sätze, denen kaum zu widersprechen ist.
Dann kommt er auf Flüchtlinge zu sprechen, und wie er es seinem Sohn erklärt. „Wenn 500 Kinder in deiner Schule sind und drei kommen dazu, dann habt ihr doch alle noch genug zu essen. Das versteht er.“ Im eben noch stillen Saal raunt es nun durch die Reihen. Zwei ältere Damen tuscheln, verschränken die Arme. Ihre Züge verfinstern sich noch mehr, als das Thema kommt, das in Dresden kommen muss. Den Namen Pegida erwähnt Wulff zwar nicht, dennoch weiß jeder, was er mit den Verteidigern des Abendlands meint. „Das Christlich-Abendländische war immer von Vielfalt unserer Kultur durchdrungen“, so Wulff. „Das muss hier mal gesagt werden.“ Die Damen schütteln energisch den Kopf. Bis zum Ende der Reden werden sie nicht ein einziges Mal klatschen. Vielleicht auch, weil sie wissen, was sie mit dem CDU-Mann erwartet – Wulff, der die erste Landesministerin mit Migrationshintergrund in sein Kabinett holte und als Bundespräsident sagte: „Der Islam gehört zu Deutschland.“
Dies sei richtig, sekundierte CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer schon vor Wulffs Vortrag, als er den Redner vorstellte. Ob er das mit seinem Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich abgesprochen hat, der ebendies verneint hat? Vielleicht ist das der wichtigste Unterschied zwischen der sich konservativ gerierenden Sachsen-CDU und einem im Westen sozialisierten Politiker wie Wulff, der Tempel, Kirchen, Moscheen und Synagogen gleichberechtigt nebeneinander stehen sehen will. Die Mienen der beiden Damen sind eingefroren. Wulff sieht sie nicht. In den ersten Reihen nicken die Zuhörer zustimmend, dort wo Vertreter der Uni und Künstler sitzen. Selbst wenn er den Ärger manches Zuhörers spürte, Wulff ist es gewohnt, einiges auszuhalten, nachdem er unter dem Druck von Öffentlichkeit und Medien zurücktreten musste, obwohl sich fast alle Vorwürfe als haltlos herausstellten.
„Ich war damals ziemlich wortkarg, aber inzwischen ist alles wieder gut.“ Die Wunden mögen verheilt sein, die Narben bleiben, so oft, wie er über Medien spricht und gleichzeitig hofft, „dass es nie wieder jemandem so ergehen möge wie mir“. Seinen Frieden hat er offensichtlich auch mit der Presse gemacht. Es brauche wieder Anerkennung für den Beruf des Journalisten, der Dinge recherchiert und einordnet, eine Dienstleistung erbringt, die etwas wert sein müsse.
„Wer meint, er braucht das nicht mehr und lässt sich einfach vollsülzen von den kostenlosen Nachrichtenportalen, der wird sich wundern, wie sein Diskussions- und Argumentationsniveau abnimmt.“ Die Menschen müssten den eigenen Echoraum verlassen, sich konträre Positionen anhören, sagt Wulff. „Es gibt keine Alternative zu einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft, die nach gemeinsamen Regeln zusammenlebt.“ Viele klatschen, die alten Damen gehen wortlos zum Buffet.