Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hielt sich beim 28. Leipziger Immobiliengespräch am Mittwochabend nicht allzu lange beim Allgemeinen auf. Mit zum Jahresende 580 000 Einwohnern sei Leipzig auch 2016 die am schnellsten wachsende Stadt in Deutschland gewesen. Die Arbeitslosigkeit sank im Oktober erstmals unter acht Prozent und bei der Gewerbesteuer wurde ein neuer Rekord von fast 300 Millionen Euro erreicht. Dennoch entspreche das Steueraufkommen gerade mal dem Wert der Stadt Duisburg, die seit vielen Jahren unter Zwangsverwaltung stehe, sagte Jung bei dem Forum, zu dem der Bundesverband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) über 100 Gäste ins Marriott-Hotel geladen hatte. Leipzig könne sich noch lange nicht selbst finanzieren. „Wenn wir unsere Lebensqualität halten wollen, brauchen wir weiter Wachstum bei der Wirtschaft.“
Wichtigste Aufgabe der Stadtverwaltung sei es, den aktuellen Boom so zu managen, dass sich daraus ein dauerhafter Nutzen für Leipzig ergebe. „Wir müssen die Prognose von über 700 000 Einwohnern im Jahr 2030 immer mitdenken, aber zugleich offen dafür bleiben, auch mit weniger klar zu kommen.“ Besonders schwierig sei das im Bereich Kitas und Schulen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die bisherige Art der Bildungsempfehlungen rechtswidrig ist, könne für Leipzig bedeuten, dass in Zukunft nicht 55, sondern 65 Prozent der Schüler aufs Gymnasium gehen. Natürlich sei mit den Bauplänen für 40 Kitas bis zum Jahr 2020 sowie 28 Schulen bis zum Jahr 2025 für alle Kinder vorgesorgt, die hier geboren werden. „Doch der Zuzug auch aus Westdeutschland ist inzwischen so stark, dass wir schon wieder eine Warteliste von über 700 Kindern für Kita-Plätze haben. Derzeit kommen pro Jahr zwölf Schulklassen durch die Zuzüge hinzu.“
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 habe der Wanderungssaldo für Leipzig bei 6000 ausländischen sowie 11 000 deutschen Zuwanderern gelegen. Unter diesen Vorzeichen sei es für ihn unbegreiflich, dass die Bundesregierung die Asylkrise nicht genutzt habe, um das deutsche Baurecht zu vereinfachen. „Das hatte ich auch rechtzeitig der Kanzlerin gesagt“, erzählte Jung. „Doch die Asylkrise hat an keiner Stelle zu einer Vereinfachung des Baurechts geführt. Jetzt ist diese Chance vertan.“ Seit Menschengedenken habe es hierzulande in keiner Schule mehr gebrannt. „Aber die Brandschutz-Lobby ist so stark, dass jedes Jahr die Bestimmungen höher gefahren werden“, klagte er. Die Heimbauordnung werde ebenfalls immer weiter verschärft. Das alles koste nutzlos Zeit und viel Geld.
Der Oberbürgermeister nannte dazu auch Beispiele. So sei die Stadt beim Umbau des um 1870 errichteten Richard-Wagner-Gymnasiums zur gerade eröffneten Sprachheilschule „Käthe Kollwitz“ von der sächsischen Unfallkasse gezwungen worden, das Treppenhaus zu verschandeln. „Nach heutigen Vorschriften war das historische Treppengeländer 30 Zentimeter zu niedrig und der Abstand zwischen den Sprossen zu breit. Dabei gehen dort nur Grundschüler hoch und runter. Wir haben das genau ausgemessen – sie wären auch mit dem alten Geländer keiner Gefahr ausgesetzt gewesen.“ Doch die Unfallkasse bestand auf einem zusätzlichen, hohen Geländer sowie eher hässlichen Lochgittern an den Sprossen.
Vor lauter Paragrafen und Haftungsbestimmungen trauten sich manche Mitarbeiter kaum noch, überhaupt was zu entscheiden, fuhr Jung fort. „Da steht in Gedanken stets der Staatsanwalt dabei.“ Das Rathaus versuche jetzt, mit Schulungen und „einer Kultur der Ermutigung“ gegenzusteuern. Um die Entwicklung ganz neuer Stadtviertel mit vielen Wohnungen voranzutreiben, solle es bald spezialisierte Projektgruppen in der Verwaltung geben. Aktuell rund 70 langwierige Bebauungsplanverfahren sind aus Sicht des OBM für Leipzig zu viel. Wo immer es geht, solle nach Paragraf 34 Baugesetzbuch zügig Baurecht geschaffen werden.
Jung appellierte an die Zuhörer, das neue Programm zum sozialen Wohnungsbau in Sachsen zu nutzen. Aus Leipziger Sicht weise es zwar erhebliche Fehler auf – zum Beispiel die bürokratische Pflicht, alle Bauleistungen wie öffentliche Vergaben auszuschreiben. Auch passten die Förderkriterien nicht zum aktuellen Mietenniveau in vielen hiesigen Stadtteilen. „Trotzdem: Wir müssen heute an den Stellschrauben drehen, um in fünf, sechs Jahren keine massiven Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu erleben“, sagte er.