In einem Land, in welchem jede Gartenparty nach 22 Uhr zu einem Fall für die Polizei wird, sollen sich Hundertschaften von Rechtsradikalen nicht in aller Ausgelassenheit zusammenfinden können.
Courant normal am Montagmorgen bei der Kantonspolizei St. Gallen: Zu vermelden sind per Communiqué diverse Einbruchdiebstähle im ganzen Kanton, einige Vandalenakte einer unbekannten Täterschaft in der St. Galler Innenstadt, ein gesprengter Briefkasten in Bichwil und diverse Autounfälle – ein Wochenende offenbar wie viele. Kein Wort lässt die Polizei in ihren Mitteilungen dagegen zum Grosskonzert von rechtsextremen Bands in der Gemeinde Unterwasser verlauten, die am Samstagabend mit ihren hetzerischen Texten Rechtsradikale aus dem In- und Ausland anlockten. «Der Anlass lief absolut geordnet ab und war professionell organisiert», beschwichtigte die Kantonspolizei auf Nachfrage der Medien anderntags. Dabei ging am Wochenende im Toggenburg die mutmasslich grösste rechtsextreme Veranstaltung in der Schweiz seit Jahrzehnten über die Bühne. Über 5000 Anhänger waren vor Ort. Eingeladen hatte die «Reichsmusikkammer» – womit jeglicher Zweifel zur Gedankenwelt und geistigen Herkunft der Veranstalter zum Vornherein ausgeschlossen war.
Im Nachhinein lässt sich leicht über die zahnlose Strategie der offenbar überforderten Polizeibeamten vor Ort herziehen, die vor lauter Lärm keine Liedtexte der rechtsextremen Bands verstehen konnten – und in der Halle nichts weiter taten, als hilflos mit den Schultern zu zucken: Die Veranstalter solcher Konzerte sind geübt darin, ihre Anlässe zu planen, ohne bereits im Vorfeld zu viel Staub aufzuwirbeln. Auf diese Weise wird der Polizei die Einsatzvorbereitung erschwert. Das Toggenburger Konzert vom Wochenende wurde im Geheimen geplant, wobei selbst die Besucherinnen und Besucher den Veranstaltungsort erst im letzten Moment erfuhren. Auch die Werbung wird jeweils präzise so formuliert, dass sich niemand schon im Vorfeld strafbar macht – selbst wenn alle Beteiligten bestens wissen, was an Konzerten von Bands mit Namen wie Amok oder Stahlgewitter zu erwarten ist.
Dennoch ist eine gewisse Nonchalance bei der Kommunikation der St. Galler Polizei im Nachgang zum Konzert von Unterwasser nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Kantonspolizei wusste vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seit geraumer Zeit, dass in der Region ein Konzert mit rechten Rockbands geplant war. Wohl stand aufgrund der Erkenntnisse zunächst der süddeutsche Raum im Fokus, doch wie eng die Verbindungen zwischen den rechtsextremen Milieus in Deutschland und in der Schweiz sind, lässt sich im aktuellen Lagebericht des NDB nachlesen. Schon vor drei Jahren hat überdies im Kanton St. Gallen ein als Klassenzusammenkunft getarntes Treffen mit mehreren hundert Neonazis aus dem In- und Ausland stattgefunden. Aktenkundig ist zudem die Gewaltbereitschaft innerhalb der rechtsextremen Szene, die alleine schon zu allergrösster Vorsicht verpflichtet hätte. Stattdessen liess es die Polizei zu, dass ein Vielfaches des angekündigten Publikums ungehindert in die Sporthalle von Unterwasser reiste.
Natürlich entspricht es rechtsstaatlichen Prinzipien, dass Leute nicht auf Vorrat an der Einreise in die Schweiz gehindert oder gar verhaftet werden. Die Antirassismusstrafnorm eignet sich nicht, um präventiv gegen rechtsradikale Veranstaltungen vorzugehen. Dagegen lässt es das Polizeirecht im Ernstfall zu, Veranstaltungen zu unterbinden, die – wie jene von Unterwasser – zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit werden könnten. So hat beispielsweise der Stadtrat von Schlieren in diesem Sommer ein Konzert des umstrittenen kroatischen Sängers Marko Perkovic verboten, weil er Auseinandersetzungen nicht ausschliessen konnte. Unbekannt ist auch, ob sich die Polizei in Unterwasser um Video- oder Tonaufnahmen bemüht hat, um die Beweisführung in einem möglichen Strafprozess zu erleichtern.
Die Erwartungen an die ohnehin schon am Rand der Belastungsgrenze stehende Polizei sind hoch, und sie erfordern die nötigen Ressourcen, die heute nicht immer vorhanden sind. Im Gegenzug darf erwartet werden, dass die rechtsextreme Szene im Blickfeld bleibt. In einem Land, in welchem jede Gartenparty nach 22 Uhr zu einem Fall für die Polizei wird, sollen sich Hundertschaften von Rechtsradikalen nicht in aller Ausgelassenheit zusammenfinden können.