5000 Rechtsextreme sind am Wochenende für ein Konzert in den Schweizer Ort Unterwasser eingefallen. Wie konnte das passieren? Ein Anruf beim Gemeindepräsidenten.
Ein Interview von Christian Teevs
SPIEGEL ONLINE: Am vergangenen Samstag gab es in der Schweiz das größte Neonazi-Konzert der vergangenen 20 Jahre. 5000 Rechtsextreme bei Ihnen in Unterwasser. Was ist da passiert?
Züllig: Wir wurden kalt erwischt, einfach ausgetrickst. Wildhaus-Alt St. Johann ist eine beschauliche Gemeinde im Toggenburg, 2600 Einwohner, nahe der deutsch-schweizerischen Grenze. Im Dorf Unterwasser gibt es eine Tennis- und Eventhalle für Veranstaltungen und für die hatten wir eine Anfrage für ein Rockkonzert.
SPIEGEL ONLINE: Wie sah diese Anfrage aus?
Züllig: Es klang harmlos: ein Konzert für Schweizer Nachwuchsbands. Die Veranstaltung an sich muss nicht bewilligt werden. Wir als Gemeinde erstellen lediglich ein Gastwirtschaftspatent, damit Alkohol ausgeschenkt werden kann. Auf Nachfrage wurde gesagt, es gehe darum, unbekannten Schweizer Bands eine Plattform zu geben. Jede Band solle im Bekanntenkreis 100 Tickets verkaufen, um die Halle zu finanzieren. Es klang gar nicht unsympathisch, also haben wir das Patent erteilt.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie vorher noch mit dem Vermieter der Halle gesprochen?
Züllig: Nicht persönlich, routinemäßig erfolgt aber bei Bedarf eine Absprache zwischen der Verwaltung und dem Vermieter. In diesem Fall gab es keine Besonderheiten.
SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie gemerkt, dass man Sie reingelegt hat?
Züllig: Am Samstagnachmittag. Ich habe mir in einer Nachbargemeinde ein Fußballspiel angeschaut und bekam einen Anruf von einem besorgten Bürger. Es kämen immer mehr Glatzköpfe ins Dorf. Ich habe dann mit der Polizei Kontakt aufgenommen und bin gegen 17.30 Uhr nach Unterwasser gefahren. Da war schon viel los, gegen 19 Uhr waren 5000 bis 6000 Neonazis im Ort.
SPIEGEL ONLINE: Warum wurde die Veranstaltung nicht abgesagt?
Züllig: Wie denn? Was wollen Sie mit zehn bis zwölf Polizisten ausrichten? Wenn ich mir die Horde so angeschaut habe, denke ich, dass 500 Polizisten nicht gereicht hätten. Und wo soll man die hernehmen? Das war für uns keine Option. Wir haben darauf geachtet, dass die Sache nicht eskaliert.
SPIEGEL ONLINE: Die Kantonspolizei spielt den Vorfall herunter und sagt, sie habe keine Delikte feststellen können. Dabei gibt es Berichte über Hitlergrüße und rassistische Texte, die gegen Schweizer Strafrecht verstoßen.
Züllig: Ich war die ganze Nacht vor Ort, auch in der Halle, und da wurden unzweifelhaft rechtsradikale Texte gesungen. Einen Hitlergruß habe ich nicht gesehen, aber es war unbestritten ein Neonazi-Konzert. Das wollten wir nicht und das möchten wir auch nie wieder haben.
SPIEGEL ONLINE: Es traten Bands wie Stahlgewitter und Frontalkraft auf. Auf einem Flyer wurde ein "Konzert in Süddeutschland" angekündigt. Dazu zählen die Neonazis offenbar auch die Schweiz.
Züllig: Ich habe den Flyer mittlerweile gesehen, da stehen die Bands alle drauf, auch die Schweizer Gruppe Amok. Auf der Rückseite heißt es: "Plant eure Anreise so, dass ihr zwischen 16 Uhr und 16.30 Uhr im Raum Ulm seid." Das heißt, die meisten Neonazis haben auch erst spät erfahren, dass das Konzert in Unterwasser stattfindet. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Als die bei uns waren, war es zu spät. Wir konnten nicht mehr eingreifen.
SPIEGEL ONLINE: Was ziehen Sie für Lehren daraus? Wie könnte so ein Neonazi-Treffen in Zukunft verhindert werden?
Züllig: Wir werden verschiedene Szenarien besprechen. Insgesamt müssen wir viel aufmerksamer sein und uns von dem Glauben verabschieden, so etwas könne bei uns nicht passieren. Ich bin persönlich verantwortlich und bin da völlig naiv herangegangen. Diese Schuld nehme ich zu 100 Prozent auf mich.
SPIEGEL ONLINE: Hat das Konzert strafrechtliche Konsequenzen?
Züllig: Das kläre ich gerade mit der Staatsanwaltschaft. Es klingt vielleicht nicht sehr kompetent, aber wir müssen erst herausfinden, ob es strafrechtliche Verstöße gab und wenn ja, wer könnte der Beklagte sein: eine Band? Der Veranstalter? Der Vermieter? Diese Fragen müssen nun geklärt werden.
SPIEGEL ONLINE: Barbara Gysi, sozialdemokratische Nationalrätin, kritisiert, es habe schon viel zu oft Neonazi-Konzerte in St. Gallen gegeben. Wer ist dafür verantwortlich?
Züllig: In der Deutlichkeit, wie es Frau Gysi benennt, habe ich das bisher nicht wahrgenommen. Zur Verantwortlichkeit kann ich mich darum nicht äußern. Ich denke aber, dass die Schweizer Bundespolitik gefordert ist. Sie muss Vorkehrungen treffen, damit solche Konzerte in Zukunft nicht mehr möglich sind.