Von Anna Kröning, Jette Moche - Ein sogenannter Reichsbürger hat im mittelfränkischen Georgensgmünd bei Nürnberg vier Polizisten angegriffen. Dabei verletzte er zwei der Beamten schwer und zwei leicht. Ein 32 Jahre alter SEK-Beamter musste mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht und operiert werden. Sein Zustand sei inzwischen „eher stabil“, er befinde sich aber noch immer in Lebensgefahr sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der kurzfristig über die Lage informierte. Er sei „überaus entsetzt“ über die dramatische Situation. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen versuchten Mordes.
Die Situation eskalierte bei einer Razzia, die das Landratsamt Roth bei dem 49-jährigen deutschen Staatsbürger und Einwohner der 6600-Einwohner-Gemeinde angeordnet hatte. Die Polizei sollte etwa 30 legale Waffen, die der Mann besaß, sicherstellen. Grund für diese Entscheidung seien „Unzuverlässigkeiten“ des 49-Jährigen gewesen, was bedeutet, dass ein Besitz von Waffen als gefährlich eingestuft wird.
Zur Unterstützung der Polizeiinspektion rückten am Mittwochmorgen gegen 6 Uhr Spezialeinheiten der bayerischen Polizei aus, um ihm die Waffen abzunehmen. Sie öffneten die Tür gewaltsam, da sie damit rechneten, dass er auf die Klingel nicht reagieren würde.
Als die Spezialkräfte in das Haus eindrangen, in dem sich der Mann aufhielt, eröffnete dieser sofort das Feuer auf die Beamten. Diese schossen zurück.
Zwei Polizisten erlitten bei dem Schusswechsel schwere Verletzungen und mussten ins Krankenhaus gebracht werden, einer mit einem Durchschuss im Oberarm. Die anderen beiden wurden durch Glassplitter verletzt. Der Mann konnte schließlich leicht verletzt festgenommen werden. Oberstaatsanwälting Anita Traud stellte einen Haftantrag und ermittelt gegen ihn wegen versuchten Mordes. Er soll am Donnerstag einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.
Reichsbürger zeigte sich unkooperativ
Innenminister Herrmann berichtet, der Mann sei den Behörden bekannt gewesen: „Der Mann hatte sich schon in der Vergangenheit geweigert, Zutritt zu dem Anwesen zu erstatten.“ Er sei legal als Schütze oder Jäger im Besitz der Waffen gewesen, habe aber zunehmend den Eindruck der „Unzuverlässigkeit“ erweckt. Darum habe das Landratsamt angeordnet, ihm die Waffen zu entziehen, was auch der Landrat der Rother Landrat Herbert Eckstein bestätigt.
Seine Mitarbeiter seien zweimal zu dem Haus des Waffenbesitzers gegangen, aber von einer Frau und schließlich von ihm selbst des Grundstücks verwiesen worden. Darum entschloss man sich, die Polizei einzuschalten und es kam zur Razzia. Man habe bislang zwar „skurrile Erfahrungen“ mit dem selbst ernannten Reichsbürger gemacht, aber er sei nicht durch Gewalttätigkeit aufgefallen, sagte Eckstein.
Verfassungsschutz beobachtet Szene in Bayern
Innenminister Herrmann sprach von einer „bislang nicht bekannten Eskalation“ der Reichsbürger-Szene in Bayern und kündigte Konsequenzen an: “Wir müssen alle, die als Reichsbürger in Bayern unterwegs sind, stärker überwachen“, sagte er. Vor allem müsse überprüft werden, inwiefern diese im Besitz von Waffen sind.
30 bis 40 Personen der Reichsbürgerszene sind nach Angaben des bayerischen Verfassungsschutzes derzeit dem Rechtsextremismus zuzuordnen. „Unsere Beobachtung betrifft insbesondere die Gruppe der Exilregierung Deutsches Reich“, teilte ein Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz mit. „Ihre Ideologie ist völkisch und antisemitisch. Das ist klar rechtsextremistisch.“
Fantasiepapiere und rechtsextreme Verbindungen
Sogenannte Reichsbürger erkennen die Legalität und Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Organe nicht an. Häufig geht mit ihrer Ablehnung der Demokratie auch die Leugnung des Holocaust einher. Sie gehen davon aus, dass das Deutsche Reich noch immer existiert. Die Bewegung entstand in den 80er-Jahren.
Auch Steuern und staatliche Abgaben sind aus ihrer Sicht illegal. Manche Reichsbürger haben eigene Fantasiepapiere. Etliche Akteure sind nach Einschätzung von Verfassungsschützern auch in der rechtsextremen Szene aktiv. Zahlen nennt das Bundesamt für Verfassungsschutz aber nicht.
Es gibt verschiedene Gruppierungen von Reichsbürgern, häufig Einzelpersonen, die nicht unbedingt miteinander vernetzt sind. Eine solche Vernetzung nimmt aber nach aktueller Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) immer mehr zu, deren Vorsitzender Ernst Walter vor einer „großen Gefahr“ durch die Reichsbürger warnt. Angesichts des aktuellen Falls forderte er eine stärkere Beobachtung durch den Verfassungsschutz: „Sollte sich irgendjemand in einer solchen Gruppierung exponieren, so muss er überwacht werden.“ Man könne nicht mehr von einer „regionalen Situation“ ausgehen wie zu Beginn der Bewegung, als Reichsbürger vor allem in den neuen Bundesländern auftraten.
Denn immer wieder kommt es nicht nur zu bürokratischen Blockaden, sondern auch zu gewaltsamen Zwischenfällen. So kam es im August in Sachsen-Anhalt bei einer Zwangsräumung in Reuden zu einem Schusswechsel. Gegen den 41 Jahre alten Hausbewohner wird wegen versuchten Totschlags ermittelt, gegen ihn wurde Haftbefehl erlassen.