Von Hubert Gude
Die ehemaligen RAF-Terroristen Garweg, Staub und Klette sind der Polizei nur knapp entkommen. Warum lief der Zugriff schief? Was wissen die Fahnder über das Leben der drei? Niedersachsens LKA-Chef erklärt es im Interview.
SPIEGEL: Vor mehr als 25 Jahren sind die RAF-Mitglieder Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette abgetaucht. Spüren Sie noch so was wie Jagdfieber?
Kolmey: Nennen Sie es, wie Sie wollen: Natürlich setzen wir alles daran, die drei flüchtigen Räuber und ehemaligen RAF-Terroristen zu fassen.
SPIEGEL: Als im März neue Fahndungsfotos von Staub auftauchten, schien es nur noch eine Frage der Zeit, dass die Gesuchten gefasst würden. Stattdessen beging das schwer bewaffnete Trio zwei weitere Raubüberfälle. Hat die Polizei versagt?
Kolmey: Tatsächlich hatten wir erwartet, dass die Fotos bald zu brauchbaren Hinweisen führen würden. Es sind die ersten frischen Fahndungsbilder seit den Achtzigerjahren, ein Erfolg unserer Ermittlungen. Die Aufnahme von Staub hat eine hohe Qualität, sie zeigt ein markantes, hageres Gesicht mit dünnen Haaren. Die Stellung der offenbar sehr schlechten Zähne ist gut erkennbar. Wenn ein Nachbar oder jemand aus dem näheren Umfeld von Staub das Foto sieht, müsste er ihn wiedererkennen. Leider war das bisher nicht der Fall.
SPIEGEL: An vielen öffentlichen Plätzen hängen heute Kameras. Wie kann man einfach so von der Bildfläche verschwinden?
Kolmey: Es gibt keinen permanenten Abgleich von öffentlichen Kameras mit den Lichtbildern von Gesuchten. Wir hatten bisher rund 900 Hinweise auf die Gesuchten, eine heiße Spur war nicht darunter.
SPIEGEL: Staub ist inzwischen 61 Jahre alt, Klette 57 und Garweg 48 Jahre. Was ist das für ein Leben im Untergrund?
Kolmey: Ich denke, dass die drei kein angenehmes und entspanntes Leben haben. Im Gegenteil: Ihr Dasein ist von der Angst geprägt, irgendwo auf der Straße erkannt zu werden. Sie können jederzeit auffliegen, und das wissen sie. Was machen sie, wenn sie krank werden und zum Arzt müssen? Jeder Termin ist riskant, selbst wenn sie einen Arzt finden, der sie gegen Bargeld behandelt.
SPIEGEL: Ist so ein Leben im Versteck ohne Unterstützer möglich? Erst kürzlich stellte die linksautonome Szene eine Solidaritätserklärung ins Netz.
Kolmey: Unsere Ermittlungen haben bisher keine Ansatzpunkte dafür ergeben, dass sie bei Sympathisanten untergetaucht sind. Es ist auch denkbar, dass sie isoliert für sich allein leben.
SPIEGEL: Seit 2011 haben die Ex-RAF-Leute bei ihren Raubzügen rund eine Million Euro erbeutet. Reicht das für den Ruhestand?
Kolmey: Die Höhe der Summe kann ich nicht kommentieren. Die drei werden sich fragen müssen, wie ihre Lebenserwartung aussieht. Sie wissen, dass sie mit 70 oder 75 keine bewaffneten Raubüberfälle mehr begehen können, sie müssen also für ihren Lebensabend vorsorgen. Dafür dürfte es noch nicht ganz reichen. Cremlingen muss nicht die letzte Tat gewesen sein.
SPIEGEL: Warum konnten die Täter entkommen, obwohl ein Polizist am Tatort war?
Kolmey: Der Beamte war zufällig privat vor Ort. Er ist dem Trio gefolgt, hat eine präzise Beschreibung der Täter und des Fluchtautos durchgegeben. Weil er aber ein Kind dabeihatte, hat er die Verfolgung schließlich abgebrochen, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Die Polizei hat sofort Fahndungsmaßnahmen eingeleitet ...
SPIEGEL: ... aber keine Ringfahndung ausgelöst, keine Straßensperren errichtet.
Kolmey: Wir wissen von früheren Überfällen, dass Staub, Klette und Garweg ihre Fluchtwagen in der Nähe der Tatorte wechseln und dann ihre Flucht fortsetzen. Das hätte also nichts gebracht.
SPIEGEL: Ein Zeuge hat Staub zweimal in Cremlingen gesehen. Der RAF-Mann habe ihm 5000 Euro für sein gebrauchtes Auto angeboten. Hat das LKA den Mann nicht ernst genommen?
Kolmey: Doch, wir haben auch ein Observationsteam dorthin geschickt, ohne Ergebnis. Solche Einsätze können nicht endlos lange fortgeführt werden. Außerdem war das geschilderte Vorgehen von Staub untypisch für die ehemaligen RAF-Terroristen. Bis dahin hatten sie ihre Fluchtautos immer bei Autohändlern gekauft und nicht auf Parkplätzen irgendwelchen Leuten Geld für ihr Auto geboten.
SPIEGEL: Eines der Autos, mit dem das Trio in Cremlingen vorfuhr, ein blauer Opel Corsa, war polizeiintern zur Fahndung ausgeschrieben. Sie hätten sie also vorher finden können. Ärgert Sie das?
Kolmey: Es gab den Hinweis auf ein Tatfahrzeug und den Tatort, beides hat sich im Nachhinein als wahr erwiesen. Natürlich lässt einen das nicht kalt. Die Kollegen, die an dem Fall gearbeitet haben, wünschen sich, dass ihre Arbeit zum Erfolg führt. Selbst wenn sich die Beamten nichts vorzuwerfen haben, ist das für sie nicht leicht. Aber wir lassen uns nicht entmutigen. Eines Tages werden wir sie festnehmen, davon gehen wir aus.
SPIEGEL: In einem der Tatfahrzeuge wurde der Schnipsel einer niederländischen Zeitung gefunden. Sind die drei überhaupt noch in Deutschland?
Kolmey: Wir suchen sie auch im benachbarten Ausland, im niederländischen Fernsehen gab es Fahndungsaufrufe. Nach dem Kilometerstand der Tatfahrzeuge können sie sich im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern aufhalten, also auch in den Niederlanden.
SPIEGEL: Die Polizei hat etwa 5000 Gebrauchtwagenhändler befragt. Warum?
Kolmey: Die Autokäufe folgen einem Muster: Die Ex-RAF-Leute zahlen ausschließlich bar, zeigen niemals einen Personalausweis und fahren nicht selbst mit dem Auto. Zudem ließen sie sich das Auto gern vollgetankt dort abstellen, wo sie es später abholen konnten. Dieses Vorgehen musste Händlern auffallen. Die Abfrage brachte auch etliche wichtige Fahndungsansätze.
SPIEGEL: Warum machen die Ermittlungsbehörden dem Trio kein Angebot, sich gegen Strafminderung zu stellen?
Kolmey: So einfach ist das nicht. Bei den Überfällen in Cremlingen und in Stuhr bei Bremen fielen Schüsse, wir reden hier von schweren bewaffneten Raubüberfällen und versuchtem Mord. Und: Es handelt sich um frühere Terroristen, die für ihre Taten noch nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten.