Offener Leserbrief zum Artikel "Lichterkette mit Lücken – Und was sonst noch geschah"

Hans-Georg PrauseRedakteur und Freier Journalist aus Bautzen. Seit 2015 verantwortlich für die Kolumne "Laut gedacht" auf bautzenerbote.de

Am 22.09.2016 veröffentliche Hans-Georg Prause ein Redakteur und Freier "Journalist" aus Bautzen einen Beitrag mit dem Titel "Lichterkette mit Lücken – Und was sonst noch geschah" auf der Internetseite des Bautzener Botens. Wir wollen diesen Beitrag nicht unkommentiert lassen.

 

Offener Leserbrief

 

 

Sehr geehrter Herr Prause,

 

heute las ich Ihre Kolumne „Lichterkette mit Lücken – Und was sonst noch geschah“. Diese möchte ich nicht unbeantwortet lassen und daher einige Passagen im Folgenden kommentieren.

In Ihrem Artikel schreiben Sie: „Zugegeben, das war schon heftig und laut, doch es gab weder eine Massenschlägerei (u.a. MDR und DIE WELT) noch ein Pogrom (die Macher von https://linksunten.indymedia.org  sollten mal nachlesen, wofür dieser Begriff steht!). Die Bautzener Bundestagsabgeordnete Carmen Lay (Die Linke) spricht ebenfalls von Pogromstimmung.“ (zitiert nach http://www.bautzenerbote.de/lichterkette-mit-luecken-und-was-sonst-noch-geschah/, letzter Zugriff 22.09.16, 15:24 Uhr.)

Dazu möchte ich noch einmal auf den von Ihnen verlinkten Artikel „25 Jahre nach dem Pogrom in Hoyerswerda und 35 Kilometer von Hoyerswerda entfernt: Rassistische Menschenjagd in Bautzen - Lokalpresse, Polizei und Stadt Bautzen machen aus Opfern Täter“ (zitiert nach https://linksunten.indymedia.org/de/node/190603, letzter Zugriff 22.09.16, 15:32 Uhr.) zu sprechen kommen. Bei genauerer Lektüre fällt auf, dass die Verfasser des Artikels mit „Pogrom“ zumeist die rassistisch motivierten Übergriffe auf ein Asylbewerberheim in Hoyerswerda bezeichnen. Dass diese durchaus von Historikern und Politikwissenschaftlern so bezeichnet werden, können Sie bspw. auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen: „Hoyerswerda: 1991 verübten Neonazis hier das erste Pogrom der Nachkriegszeit gegen Asylbewerber und Migranten.“ (http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41646/klimawandel-in-hoyerswerda, letzter Zugriff 22.09.16, 14:57 Uhr.). In dem von Ihnen erwähnten Indymedia-Artikel ist nur ein einziges Mal von Pogromen in Bautzen die Rede, was Sie scheinbar im Zusammenhang mit den Ereignissen der letzten Wochen nicht für gerechtfertigt halten, wenn ich Ihren Kommentar richtig verstehe. Dabei erscheint mir fragwürdig, ob Sie, Herr Prause, überhaupt wissen, wie man „Pogrom“ definiert. Dazu möchte ich Sie gern auf die deutschsprachige Wikipedia-Seite verweisen, die wissenschaftlich-fundiert die aktuelle Forschungsdebatte zum Begriff „Pogrom“ widerspiegelt. Dort ist als erster Satz zu lesen: „Der Begriff Pogrom bezeichnet die gewaltsame Ausschreitung gegen Menschen, die entweder einer abgrenzbaren gesellschaftlichen Gruppe angehören oder aber von den Tätern einer realen bzw. vermeintlichen gesellschaftlichen Gruppe zugeordnet werden.“ (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Pogrom, letzter Zugriff 22.09.16, 15:09 Uhr). Auch in diversen Polit-Lexika können Sie ähnliches nachlesen, bspw.: „Solche gewalttätigen Verfolgungen, die sich gegen Minderheiten in einem Staat richten, bezeichnet man als "Pogrome".“ (zitiert nach http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/161505/pogrom-reichspogromnacht, letzter Zugriff 22.09.16, 15:10 Uhr).

Per definitionem ist die Bedrohung, Ausübung körperlicher Gewalt und eine anschließende Verfolgung von minderjährigen Flüchtlingen als durchaus als Pogrom zu benennen. Des weiteren möchte ich Sie darauf hinweisen, dass von Anhängern des rechten Spektrums selbst der Begriff „Pogromstimmung“ verwendet wurde. Dies scheint Ihnen bei Ihrer oberflächlichen Recherche leider entgangen zu sein.

Statt dessen lassen Sie sich zur einer polemischen „links gleich rechts“-Bemerkung hinreißen,indem Sie das Auftreten der Antifa mit einer Analogie zum Horst-Wessel-Lied beschreiben: „Die Straßen waren frei, die Reihen fest geschlossen. Die Antifa marschierte, […].“ (zitiert nach http://www.bautzenerbote.de/lichterkette-mit-luecken-und-was-sonst-noch-geschah/, letzter Zugriff 22.09.16, 15:24 Uhr.) Diese Bemerkung wirft bei mir als Leser die Frage auf, ob sich an ihr nicht sogar Ihre politische Heimat erkennen lässt, Herr Prause.

Zu guter Letzt möchte ich noch auf den folgenden Satz eingehen: „Hätten sich nun noch junge Ausländer in großer Zahl mit eingereiht [gemeint ist die titelgebende Lichterkette], ach, was für tolle Motive wären das gewesen. Mit ihnen, den so bemitleidenswerten Opfern der Bautzener Verhältnisse.“ (zitiert nach http://www.bautzenerbote.de/lichterkette-mit-luecken-und-was-sonst-noch-geschah/, letzter Zugriff 22.09.16, 15:24 Uhr.) Zuerst möchte ich bemerken, dass Ihre sarkastische Wortwahl hier völlig unangebracht ist. Wie Sie wahrscheinlich selbst wissen, spätestens aber in dem von Ihnen zitierten Indymedia-Artikel nachgelesen haben, ist der Bautzener Kornmarkt aufgrund des freien WLANs ein gern genutzter Aufenthaltsort der jungen Flüchtlinge. Diese wurden von dort gewaltsam vertrieben, nachdem es über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder zu Provokationen kam. „Alle im Internet veröffentlichten Videos zeigen Angriffe auf Geflüchtete; der Angriff rechter Gewalttäter auf einen Rettungswagen wird von der Polizei bagatellisiert, die Hetzjagd durch die Stadt schlicht ignoriert.“ (zitiert nach https://linksunten.indymedia.org/de/node/190603, letzter Zugriff 22.09.16, 15:32 Uhr.) Ich denke, die Wortwahl „Opfer“ ist demzufolge völlig angebracht.

 

Ebenso vermisse ich in Ihrer Kolumne eine Stellungnahme zu offensichtlichen Problemen. Sie haben wahrscheinlich, ebenso wie ich, bei dem ein oder anderen Stadtspaziergang bereits Graffiti und Sticker mit dem Schriftzug „Naziekiez“ entdeckt. Des weiteren haben Sie mit Sicherheit auch die Pressekonferenz des Bautzener Polizeisprechers gesehen, bei der die Behauptung aufgestellt wurde, dass fünfzehn bis zwanzig minderjährige Flüchtlinge etwa 80 „eventbetonte“ und alkoholisierte Menschen attackiert hätten. (http://www.sueddeutsche.de/panorama/bautzen-pressekonferenz-der-polizei-1.3164600, letzter Zugriff 22.09.16, 16:00 Uhr.)

Ist es nicht eigentlich die Aufgabe der Presse, in solchen Momenten Fragen aufzuwerfen? Ich vermisse in Ihrem Beitrag die Objektivität. Sie stellen weder Fragen, wer denn diese „eventbetonten jungen Menschen“ sind,die vorher in der Stadt unterwegs waren und ob diese für die „Nazikiez“-Schmierereien in der Bautzener Innenstadt verantwortlich sind. Sie hinterfragen nicht, wie es sein kann, dass eine Gruppe von 15-20 Jugendlichen eine Gruppe Menschen angreift, die ihr zahlenmäßig vierfach (!) überlegen ist. Noch lese ich bei Ihnen eine Idee zur Problembewältigung. Sie machen sich sowohl über die Flüchtlinge, das Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ mit seiner Lichterkette sowie die „Antifa“, Indymedia und Caren Lay lustig. Bei Ihnen kommt allein das rechte Spektrum gut weg – den Begriff „Nazi“ oder „Rassist“ trauen Sie sich scheinbar nicht auszusprechen.

Damit senden Sie das Signal an Ihre Leser, dass Aktionismus gegen Fremdenfeindlichkeit immer lächerlich ist – egal, welche Form dieser Aktionismus annimmt. Und dieses Signal, halte ich für extrem bedenklich.

 

Ich hoffe, in Zukunft eine besser recherchierte und differenziertere Berichterstattung von Ihnen zu lesen.