Gruppen der rechten Szene wollen in Bautzen vorerst nicht demonstrieren - und laden Oberbürgermeister Ahrens zum Gespräch. Der nimmt an.
Der Oberbürgermeister von Bautzen, Alexander Ahrens, will nach den Krawallen zwischen Flüchtlingen, Polizei und Rechtsradikalen auch mit rechten Gruppen über die Probleme in seiner Stadt reden. "Zu einem sachlichen Gespräch bin ich immer bereit", schrieb der parteilose Kommunalpolitiker am Freitag auf Facebook. Er nahm dabei Bezug auf eine gemeinsame Erklärung von Teilen der rechten Szene in Sachsen, die für vorläufigen Verzicht auf Demonstrationen und Aktionen in Bautzen geworben hatten. Unterzeichner waren Gruppen wie "Nationale Front Bautzen", "streambz#fotografie" oder "rechtes-kollektiv.BZ".
Die rechten Gruppen unterbreiteten dem Oberbürgermeister ein Gesprächsangebot. Ziel sei es, die Politik zu "spürbaren Veränderungen" zwingen. Sie wollten Bautzens Politikern die Möglichkeit geben, ihren Erklärungen Taten folgen zu lassen. "Wir werden künftig keine Gruppierungen von trinkenden, pöbelnden und und aggressiven Asylbewerbern mehr dulden", hieß es. Die Ruhepause sei nur vorläufig. "Sollte sich die Situation nicht schnell und spürbar ändern, werden wir kurzfristig weitere Veranstaltungen in Betracht ziehen."
Ahrens sagte dazu: "Dabei betrachte ich die verwendeten Formulierungen nicht als Bedingung. Gerne können wir über Versäumnisse und Missstände sprechen, wobei ich diesen Themenkreis nicht auf die Verwaltung beschränkt sehen möchte. Es geht ausdrücklich auch um Missstände auf Seiten der Unterzeichner des Redeangebotes."
Andere Gruppen aus dem rechtsextremen Spektrum mobilisieren zu weiteren Demonstrationen nach Bautzen. Die aus Bayern stammende rechte Aktivistin Ester Seitz etwa hat für Sonntagnachmittag unter dem Motto "Migrantengewalt stoppen! Keine Berliner Zustände in Bautzen!" eine Veranstaltung angekündigt, die unter anderem von "Widerstand Bischofswerda" beworben wird.
Der Landkreis Bautzen hatte zuvor gegen die jugendlichen Flüchtlinge eine Ausgangssperre ab 19 Uhr und ein Alkoholverbot verhängt. Vier der minderjährigen Flüchtlinge - angebliche Rädelsführer - wurden bereits am Donnerstagmorgen getrennt und in anderen Heimen außerhalb des Landkreises untergebracht.
Hat die Polizei versagt?
Im Streit um die Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Rechtsradikalen in Bautzen gibt es immer deutlichere Kritik an der Rolle der Polizei. Der innenpolitische Sprecher der Grünen im sächsischen Landtag, Valentin Lippmann, sagte dem Tagesspiegel, die Polizei habe vor den Krawallen am Mittwochabend in der ostsächsischen Stadt "die Lage unterschätzt". Ähnlich wie im August vergangenen Jahres in Heidenau sei übersehen worden, wie rechte Gruppen im Vorfeld im Internet mobilisiert hätten.
Lippmann sprach zugleich vom Versuch der Polizei, die Verantwortung für die Eskalation am Mittwoch "einseitig den Flüchtlingen zuzuschieben". Am Mittwochabend hatten sich in der Stadt etwa 80 Einheimische und 20 Asylbewerber gegenseitig attackiert. Dabei wurden Flaschen und Steine geworfen. Unter "Wir sind das Volk"-Rufen jagte ein rechter Mob die minderjährigen Flüchtlinge zu ihrer Unterkunft, wo sie von der Polizei vor weiteren Attacken beschützt werden mussten.
Empört über das Vorgehen der Polizei ist auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay, die ihren Wahlkreis in Bautzen hat. Die Polizei habe am Mittwochabend nicht etwa die Rechten, sondern Geflüchtete zum Gehen aufgefordert, sagte sie. "Das ist völlig inakzeptabel. Wir dürfen nicht zulassen dass Neonazis ‚national befreite Zonen‘ in unseren Städten erkämpfen." Und weiter: "Die Frage ist nicht nur, wie viele Polizisten eingesetzt sind, sondern auch auf welcher Seite sie stehen."
Am Donnerstagabend versammelten sich laut Polizei etwa 350 Menschen auf dem Kornmarkt in der Innenstadt, wo es in der Nacht zuvor zu den Auseinandersetzungen gekommen war. Es handelte sich überwiegend um Einheimische, etliche von ihnen augenscheinlich aus der rechten Szene. Als etwa 25 Linksalternative - überwiegend aus Dresden und Leipzig - den Markt betraten, stellten sich ihnen die rechten Demonstranten lautstark entgegen. Polizisten hätten beide Lager getrennt gehalten, hieß es. Ein Journalist sei auf den Arm geschlagen worden, als er die Einheimischen filmte.
Im Polizeikessel aus einer umkämpften Stadt. #bautzen Heute Nacht ein Synonym für das ganz hässliche Deutschland. #bau1509
— Jürgen Kasek (@JKasek) 15. September 2016
Hitlergrüße aus dem Kornmarkt
Mobilisiert hatte wiederum die rechte Szene. Die Polizei registrierte während des Einsatzes acht Straftaten - neben der Körperverletzung des Journalisten zeigten drei Personen den Hitler-Gruß. Gerufen wurde "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus", was die Beamten als Volksverhetzung werteten.
Dennoch bilanzierte der Bautzener Polizeichef Uwe Kilz: "Die Polizei hat heute Abend in Bautzen konsequent die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleistet. Die unschönen Szenen, wie sie an den vergangenen Abenden am Kornmarkt zu sehen waren, gab es heute nicht. Unsere Einsatztaktik ist aufgegangen."
Der Grünen-Politiker Lippmann zeigte sich verwundert über die Darstellung der Polizei zu den Protesten am Donnerstagabend in Bautzen und warf ihr "mangelnde Sensibilität" vor. Er habe "wenig Verständnis für den erweckten Eindruck", es habe "wunderschöne Szenen" gegeben.
Gewerkschaft der Polizei: Fremdenfeindlichkeit nicht abgeebbt
Auch der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, Hagen Husgen, sagte, die Eskalation in Bautzen sei "nicht von ungefähr" gekommen. Er sei "nicht so überrascht", dass "in dieser Härte und Brutalität zugeschlagen wird", erklärte er im Deutschlandfunk. Die Ausschreitungen machten deutlich, dass die Fremdenfeindlichkeit nicht abgeebbt sei.
In den vergangenen Monaten habe es in Bautzen etwa 80 Polizeieinsätze gegeben, sagte Husgen weiter. Strafrechtliche Verfolgungen forderte er gegen die "links- und rechtsextreme Szene", aber "auch natürlich was die Zuwanderer und die Flüchtlinge betrifft, und das geht dann bis hin zur Abschiebung, und da hoffe ich, dass das schnell genug auch vonstattengeht".
Bundesregierung verurteilt Gewalt aufs Schärfste
Die Bundesregierung verurteilte die Ausschreitungen in Bautzen scharf. "Das ist unseres Landes nicht würdig", sagte die Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer laut dpa. "In Deutschland ist kein Platz für derartige Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Extremismus." Die Regierung verurteile aggressive, fremdenfeindliche und gewalttätige Ausschreitungen auf das Schärfste. Demmer betonte: "Ohne jetzt auf den konkreten Fall einzugehen, müssen wir natürlich dafür sorgen, dass die Gesetze sowohl von Flüchtlingen als auch von einheimischen Bürgern eingehalten werden."
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte: "Ich weiß nicht belastbar, ob diese Dinge von den Asylsuchenden ausgegangen sind oder nicht."
Sachsen-SPD-Chef Dulig: Niemand hat das Recht zur Selbstjustiz
Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig erklärte, die Auseinandersetzungen mit jungen Flüchtlingen in Bautzen würden von Rechtsextremisten instrumentalisiert. Sie hätten die Stadt "als ihr Propagandafeld entdeckt, um diese schwierige Situation für ihre Zwecke auszunutzen", sagte der Wirtschaftsminister und SPD-Landeschef. "Und sie schrecken auch vor Gewalt nicht zurück."
Schon seit Wochen komme es immer
wieder zu Auseinandersetzungen zwischen rechtsextrem Gesinnten,
besorgten Bürgern und Flüchtlingen auf dem Bautzener Kornmarkt. "Mir ist
völlig egal, wer angefangen hat", sagte Dulig. Niemand habe das Recht
zur Selbstjustiz. "Jeder hat sich an unsere Gesetze zu halten - überall.
Für Ordnung und Sicherheit sorgt die Polizei."
Dompfarrer entsetzt
Der katholische Bautzener Dompfarrer Veit Scapan reagierte "entsetzt und traurig" auf die jüngsten Konflikte zwischen Flüchtlingen und Deutschen in der Stadt. Sie ließen Bautzen in einem falschen Licht erscheinen, sagte Scapan der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). In Bautzen gebe es zahlreiche Initiativen, die sich für eine Integration von Flüchtlingen einsetzten. So engagierten sich in der Domgemeinde mehrere Arbeitsgruppen dafür und böten unter anderem Sprachunterricht an.
Scapan äußerte Zweifel, ob eine verstärkte Polizeipräsenz allein ausreiche, um Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten sowie Flüchtlingen und ihren Unterstützern zu verhindern. Notwendig sei, verstärkt mit denen zu reden, die für Argumente offen seien. „Wer aber nur Rabatz will, kommt weiter nach Bautzen“, betonte der Dompfarrer. Viele derer, die Flüchtlinge attackierten, kämen nicht aus Bautzen selbst, sondern aus dem Umland.