Ein Dutzend Mitglieder der Identitären Bewegung haben gestern kurzzeitig das Brandenburger Tor besetzt und für ihre Propaganda benutzt. Sie gehören dem Spektrum der Neuen Rechten an und werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Was viele nicht wissen: Die Gruppe pflegt Verbindungen in die AfD.
Die Rechten wollen es wissen. Am Samstag brannten sie auf dem Brandenburger Tor Pyrotechnik ab und hissten ein Plakat gegen die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“. Die Aktion war ein Fanal für die Bewegung der Identitären mit bundesweit etwa 500 Aktivisten. Zum ersten Mal traten die Rechtsextremisten für jeden sichtbar in Erscheinung.
Bislang ist die Gruppe in Deutschland öffentlich kaum bekannt. Sie tritt vor allem in sozialen Netzwerken auf und verbreitet dort ihre völkischen Thesen. Ihr Kopf ist der aus Österreich stammende Rechtsaktivist Martin Sellner.
Der „große Austausch“
Die Gruppe hält vor allem ein Motiv zusammen: Die Angst vor dem „großen Austausch“. In Europa und Deutschland würden Völker gezielt um die eigene „Identität“ gebracht. Durch die von der Bundesregierung orchestrierte Zuwanderung von Menschen vor allem aus dem islamischen Raum würde das ursprünglich in Deutschland lebende Volk ausgelöscht. Dieser Bevölkerungsaustausch wird nach Ansicht der Identitären von dunklen Mächten gesteuert.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht bei der Bewegung „Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ und beobachtet die Gruppe deshalb. Zuwanderer würden von den Identitären in extremistischer Weise diffamiert, besonders solche islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten. Die Identitären treten seit etwa 2012 auf.
In den vergangenen Monaten konnte die Identitäre Bewegung ihre politischen Ansichten in der AfD verankern. Auf der Internetseite „patriotische Plattform“ schrieben Mitglieder des rechten Flügels der AfD erst vor wenigen Wochen unter der Überschrift „Wir sind Identitär“: „Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeiten zwischen Identitärer Bewegung und AfD, denn auch die AfD ist eine identitäre Bewegung und auch die Identitäre Bewegung ist eine Alternative für Deutschland.“
Rechte Denkfabrik Schnellroda
Dreh- und Angelpunkt des Ideenaustausches ist das Rittergut des völkischen Ideologen Götz Kubitschek im ostdeutschen Schnellroda. Hier versammeln sich regelmäßig AfD-Rechtsaußen. Der Frontmann des nationalen AfD-Flügels, Björn Höcke, spricht von Kubitschek als „Freund“. Auf dem Rittergut in Schnellroda hielt Höcke auch seine rassistische Rede, bei der er über den „afrikanischen Ausbreitungstyp“ dozierte.
Der Mentor der Identitären Bewegung Martin Sellner tritt hier auf den von Kubitschek organisierten Sommer- und Winterakademien auf, zuletzt im Januar 2016 mit einem Vortrag unter dem Titel „Von Ungarn lernen“.
Kubitschek, Sellner und Höcke eint die Angst vor dem „großen Austausch“ oder wie Höckes es nennt, vor der „Multikulturalisierung“. Kubitschek verbreitet seine Thesen im Kampf gegen den „Verlust der eigenen Identität durch Überfremdung“ über seinen Verlag, den Antaios-Verlag. Die Titel heißen etwa: „Zurüstung zum Bürgerkrieg. Notizen zur Überfremdung Deutschlands“, „Die große Gleichschaltung“ oder „Revolte gegen den Großen Austausch”. Kubitscheks Rittergut ist eine neurechte Denkfabrik.
Offiziell hat sich die AfD für eine strikte Abgrenzung gegenüber den Identitären ausgesprochen. Die Partei soll nach dem Willen ihres Co-Parteichefs Jörg Meuthen sauber sein. Meuthens Marschrichtung: eine AfD ohne Extremismus, Rassismus und Antisemitismus. So soll sie bis weit in die Mitte hinein wählbar werden.
Identitäre in der AfD?
Aber die Abgrenzung der AfD gegen die Identitären funktioniert nicht. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel kämpft der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider für eine Öffnung nach rechts. Der aus Rumänien stammende Islamwissenschaftler sagte correctiv.org, er halte den Beschluss der AfD „für falsch“, sich von den Identitären abzugrenzen. Er würde sich zwar nicht darüber hinwegsetzen, aber versuchen, diesen Beschluss mit „guten Argumenten“ zu widerlegen.
Tillschneider ist Bundesvorsitzender der rechtslastigen „Patriotischen Plattform“, ein Zusammenschluss von AfD-Mitgliedern, die auf ihrer Webseite für eine Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung wirbt.
Tillschneider wirft dem parlamentarischen Geschäftsführer der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt Daniel Roi vor, „Kontakte zu führenden Aktivisten der Identitären Bewegung“ zu unterhalten. Ein bemerkenswerter Vorwurf. Roi hatte zuletzt einen Aufruf an die Partei gestartet, die Identitären und die NPD auszugrenzen. „Wir wollen keine Verschmelzung mit Organisationen, die als Auffangbecken für Extremisten fungieren“, schreibt Roi. Im Gespräch mit correctiv.org sagt Roi, „gewisse Teile“ der Bewegung würden zurecht vom Verfassungsschutz beobachtet.
Inhaltlich liegen die Identitären in jedem Fall mit dem rechten Flügel der AfD auf einer Linie. Die Angst vor dem Ende des deutschen Volkes ist ein Hauptmotiv bei fast jedem Auftritt von Björn Höcke. Der Rechtsaußen der Partei hielt zuletzt auch auf Wahlkampfveranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern völkische Reden. „Wir als Volk sind innerlich kaputter als nach dem zweiten Weltkrieg“, rief Höcke bei einer Wahlveranstaltung in Neubrandenburg. Der AfD-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag schreibt: „Ja, ich rede Klartext. Ja, ich will aufrütteln. Entweder wachen die Deutschen auf, oder sie sind verloren.“ Und weiter: Politik sei kein Machtspiel, „sondern der Weg dem deutschen Volk neue Orientierung zu geben.“
Neue Rechte im Kampf gegen den Staat
Die Neuen Rechten sehen sich im Recht, mit extremen Mitteln gegen den Staat zu arbeiten. In der Hochphase der Flüchtlingswelle 2015 organisierte der rechte Vordenker Götz Kubitschek eine Art Rechtsgutachten. „Zum politischen Widerstandsrecht der Deutschen“. Verfasst hatte das Papier der rechte Jurist Thor von Waldstein. In dieser Schrift findet sich die völkische Grundmelodie, die die Identitären, Höcke und Kubitschek antreibt.
Die Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, so von Waldstein, greife das deutsche Volk an. „In der Gesamtschau erhärten diese Fakten den Schluss, dass die Regierung die verfassungswidrige Beseitigung des Souveräns, des deutschen Volkes, nicht nur fahrlässig hinnimmt, sondern vorsätzlich durch millionenfache, willkommenskulturbeschleunigte Einschleusung rechtswidrig eingedrungener und weiter illegal eindringender Migranten ins Werk zu setzen beabsichtigt.“
Danach nennt von Waldstein verschiedene Widerstandsformen, die gegen die Regierung möglich und zu rechtfertigen seien. „Durch die Unterbrechung der Strom- und Heizungszufuhr verhindert ein Widerstandleistender die geplante Belegung einer Unterbringungseinrichtung mit Hunderten von Illegalen.“ Die Zeit sprach in den folgenden Monaten von einer Pogromstimmung, die sich in einigen Landesteilen ausbreitete.
Der rechte Vordenker Götz Kubitschek verteidigte die Identitäre Bewegung zuletzt gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz und forderte Solidarität. „Hunderttausende sind in den vergangenen beiden Jahren aktiv geworden (AfD, Pegida, einprozent)“, schreibt Götz Kubitschek, und „dieses Potential wartet nun auf den Herbst und den nächsten Schritt“. Kubitschek schreibt weiter: „Es ist wahrlich alles gesagt. Laßt uns handeln.“ Der Beitrag auf Kubitscheks Seite wurde weniger als zwei Wochen vor der Besetzung des Brandenburger Tores veröffentlicht.
Vorbereitung zu Angriffen
Es scheint zu befürchten, dass wesentlich schlimmere Dinge folgen. Der rechte Schriftsteller Lutz Meyer beschreibt auf einer von Kubitschek betriebenen Internetseite die Suche nach dem „archimedischen Punkt, von dem aus die Welt aus den Angeln zu heben wäre.“ Meyer macht Angriffspunkte im „globalen Datennetz“ und in „der Energieversorgung“ aus, beide „Großsysteme sind dezentral organisiert“. Diese auszuschalten, „das wäre widerständiges Handeln schlechthin“, schreibt Meyer: „Der Griff in die Speichen des Rades will sorgfältig geplant sein.“
Auf seinem Blog Sezession lobt Kubitschek die Identitäre Bewegung nur wenige Stunden nach deren Besetzung des Brandenburger Tores: „Das deutsche Volk darf weder überfallartig noch schleichend ausgetauscht werden.“
Da ist sie wieder die Angst vor dem „großen Austausch“.