[LCM] ,,Es wäre das Schlimmste, was passieren könnte…“ - Zum kommenden Referendum und dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien

Frieden in Kolumbien?

Kolumbien steht vor einem Referendum zu den Friedensverhandlungen zwischen der FARC-EP und der Regierung Santos. Es steht nichts weniger auf dem Spiel, als eine politische Perspektive jenseits des seit Jahrzehnten brutal ausgetragenen bewaffneten Konflikts, der seine Ursprünge bis weit in das frühe 20. Jahrhundert hat. Seit November 2012 verhandelten die marxistische Guerilla und die konservative Regierung um eine politische Lösung für den andauernden bewaffneten Konflikt. Die Friedensdelegation, die neben Mitgliedern der Guerilla, auch aus AktivistInnen der sozialen Bewegungen bestand, legte ein 100-Punkte Programm zur Lösung eines der Kernanliegen der aus Bauernaufständen entstandenen Guerilla vor: Der Landfrage [1].

 

Zur Geschichte des bewaffneten Konflikts

 

Der bewaffnete Konflikt datiert zurück auf die 60er Jahre [2], in denen inspiriert durch die kubanische Revolution eine Vielzahl von Guerillagruppen in Kolumbien entstand. Die Bandbreite reichte von der guevaristisch-befreiungstheologischen ELN, über die maoistische EPL, der fokistischen Stadtguerilla M-19, bis hin eben zur FARC-EP, die sich anlässlich eines blutigen Feldzugs der damaligen Frente Nacional (historische Einheitsregierung der Konservativen und Liberalen nach dem Bürgerkrieg) gegen die autonome Bauernbewegung 1964 als bewaffnete Selbstverteidigungsmiliz gründete. Der Fokus der kolumbianischen Linken auf den bewaffneten Kampf hat dabei seinen Ausgangspunkt in einer ganz spezifisch lateinamerikanischen politischen Konstellation: Die Existenz einer in Dynastien das Land beherrschenden in der Regel weißen, spanisch-stämmigen und im Westen ausgebildeten Oligarchie, die ihre Fortsetzung in Großgrundbesitzern auf dem Land findet. Die traditionell vorhandene Schere zwischen Oligarchie und breiten Teilen der Bevölkerung – insbesondere der Landarbeiterschaft – wurde umso immenser auseinandergetrieben durch die rigorose Implementierung der Chicago-School-Politik [3] und zahlreiche Freihandelsabkommen, die die Märkte mit US-amerikanischen Exporten fluten und eine eigenständige ökonomische Entwicklung untergraben. Der Grad der sozialen Ungleichheit ist in Kolumbien so hoch wie in wenigen Ländern der Welt und eine gewerkschaftliche Vertretung der zahlreichen Niedriglohnsektoren durch jahrelange Tötungs- und Repressionspolitik gegenüber jeder gewerkschaftlichen Organisierung faktisch non-existent. Die Opfer des sogenannten Schmutzigen Krieges, die die kolumbianische Oligarchie seit den 80er Jahren mit Hilfe von Paramilitärs gegen die Guerillas, aber auch gegen jeder anderen Art linker Organisierung führte, waren in aller Regel arme LandarbeiterInnen, die von Paramilitärs mit Massakern und Gräueltaten systematisch vertrieben wurden. Profitiert haben die traditionellen Land-Eliten, die nunmehr einen Großteil des bäuerlichen Landbesitzes kontrollieren und eng mit den multinationalen Konzernen in deren Nutzung kollaborieren, d.h. diese vorrangig auf den Export nach Westen ausrichten, statt einer eigenständigen Landentwicklungspolitik nachzugehen. Zu den gravierenden sozialen Verheerungen, die die kolumbianische Oligarchie damit zu verantworten hat, kommt ihre historische und aktuelle enge Kollaboration mit den USA als de facto Satellit. Sei es in puncto historischem Antikommunismus, in der Kolumbien immer wieder zum Ausgangspunkt und Pilot-Projekt für Counter-Insurgency-Programme gegen jede Form linker Bewegungen wurde, oder aber heutzutage als militärischer und politischer Brückenkopf gegen die linken Regierungen in Venezuela, Ecuador und Bolivien.


Interventionismus und Paramilitarismus


Der schillernde Namen dieser Interventionspolitik lautete in neuerer Zeit Plan Colombia (2000), in dem eine verstärkte Finanzierung und Aufrüstung des kolumbianischen Militärs vorgesehen war – neben einer seit 2009 ausgebauten militärischen Präsenz der US-Armee im Land selbst mit 7 Militärbasen. Unlängst ist bekannt, dass insbesondere ex-Präsident Alvaro Uribe in der Zeit seiner Regierung mit diesen Geldern den Paramilitarismus der AUC um den Grundbesitzer Carlos Castano finanzierte und organisierte. Es gehört zu den Binsenweisheiten bürgerlich-reaktionärer Politik diese Art von faschistischen Todesschwadronen nach belieben auf und abzurüsten – die Hydra zu päppeln und ihr zu gegebener Zeit mal einen ihrer unzähligen Köpfe abzuschlagen, um sich mit blanker Weste vor die Öffentlichkeit stellen zu können. So behauptete Uribe nach dem rätselhaften Tod Castanos und der ,,offiziellen Demobilisierung“ der AUC 2006, den Paramilitarismus erfolgreich bekämpft und das Problem behoben zu haben. Mitnichten, wie die kolumbianische Linke weiterhin schmerzvoll erfahren muss. Die traditionell mit dem Drogenhandel [4] in Kolumbien eng verbundenen paramilitärischen Gruppierungen – nach der Auflösung der AUC zu einer unübersichtlichen Gemengelage an Kleingruppen und Banden geworden – sind nach wie vor entgegen der Beteuerungen im Regierungslager als politische Todesschwadrone aktiv und sind personell und politisch eng mit der kolumbianischen Ultra-Derecha [5] verflochten.


Dies zeigt sich nicht zuletzt an den aktuelleren Entwicklungen: Nachdem im Mai 2016 die Verhandlungsparteien in Havanna schließlich eine Einigung in den Friedensverhandlungen erzielen konnten, begann die Ultra-Rechte um den ex-Präsidenten Alvaro Uribe mit massenhafter Mobilisierung für ein Nein im anstehenden Referendums-Wahlkampf.

 

Flankiert wurden diese Mobilisierungen mit einer wieder verschärft einsetzenden Tötungspraxis gegenüber sozialen Bewegungen und linken Gruppierungen durch paramilitärische Gruppierungen. So zählten engagierte Oppositionelle bereits bis April diesen Jahres 115 politisch motivierte Morde an organisierten Aktivistinnen in den letzten Jahren. Die Strategie hinter dieser Praxis bleibt identisch mit ihrem historischen Auftreten: Es soll verhindert werden, dass die Guerilla oder andere linke und populäre Akteure gestaltend auf die Gesellschaft einwirken und damit eine politische Veränderung insbesondere im ökonomischen und militärischen Sektor herbeiführen könnten. Ergo sind es bestimmte Teile der in Kolumbien herrschenden Oligarchie, die kein Interesse an einem Frieden haben, da er ihre traditionellen Privilegien gefährden könnte. Eben diese Kräfte stehen traditionell im Bündnis mit den paramilitärischen Gruppen – finanzieren und bewaffnen sie – schaffen eine politische Lobby für ihre mörderische Praxis.


Die Interessen hinter den Friedensverhandlungen

 

Dass ein anderer Teil der Oligarchie, um die Liberalen und den konservativen Präsidenten Santos offen ist für Friedensverhandlungen, hat seinen Grund in einer veränderten Haltung der USA und der multinationalen Konzerne gegenüber dem bewaffneten Kampf. Die Hoffnung der Regierung, der USA und der Multis sind deckungsgleich und betreffen einen möglichen Zugriff auf bislang aufständische Gebiete und deren ökonomischer Erschließung. Bislang sind von der Guerilla kontrollierte Gebiete in Kolumbien Risikokapital, da die FARC-EP, umso stärker noch die kleinere Guerilla-Organisation ELN regelmäßig Öl-Pipelines sabotieren, Anlagen angreifen und Führungskräfte der Multi-Unternehmen entführen. Eine mögliche Entwaffnung der Rebellengruppen wäre aus dieser Perspektive ein win-win: Ein Ende des bewaffneten Konflikts mit einem möglichen wirtschaftlichen Aufschwung durch den massiven Ausbau bestimmter Industriesektoren. Natürlich hat auch dieser Teil der Oligarchie kein Interesse an einer Veränderung der herrschenden Verhältnisse. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Santos den nationalen Streik der Campesinos [6] vor einigen Monaten blutig mit unzähligen Toten von den bewaffneten Polizeieinheiten der ESMAD niederschlagen ließ, nachdem deren Organisationen mit der Regierung vereinbarte aber von dieser nie umgesetzte Reformen einforderten.


Si a la Paz oder Fortsetzung der bewaffneten Kampagne?

 

So hinterlassen die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in Havanna – trotz ihrer Erfolge, besonders in puncto Frauen- und LGBTI-Rechte – einen faden Beigeschmack. Nicht wenige Linke im Land befürchten die Wiederholung eines Phänomens, das bei mehreren historischen Friedensprozessen immer wieder einsetzte: Eine Entwaffnung der Guerilla, ein Massaker durch Paramilitärs an ihren legalen Strukturen und damit ihre Neutralisierung und/oder Integration in den neo-liberalen Konsens des politischen Mainstreams. Ersteres geschah historisch im Zuge der Friedensverhandlungen zwischen FARC-EP und der Regierung Betancur in den 80er Jahren mit dem legalen politischen Arm der Guerilla Union Patriotica (UP), deren Mitglieder massenhaft von Todesschwadronen hingerichtet wurden [7]. Die historische Auflösung und Demobilisierung der EPL und M-19 dahingegen führte zu einer Integration dieser Gruppen in verschiedene Teile des Establishments und Staatsapparats [8]. So ist es kaum verwunderlich, dass die kleinere Guerilla-Gruppe ELN sich bislang aus den Friedensverhandlungen heraushält und eine skeptischere Position gegenüber dem kolumbianischen Staat einnimmt.


So bekundet auch die ELN in einem kürzlich via Youtube veröffentlichten Kommuniqué Interesse an einem Friedensprozess, pointiert jedoch gleichermaßen heraus: ,,Ein Ende des Krieges in Kolumbien wird dann erreicht, wenn die Regierung Santos gewillt ist, einen strukturellen Wandel vorzunehmen (…)“ Ihrer Meinung nach steht eine politische Lösung weiterhin aus, da keine Basis für eine solche gegeben ist. Comandante Nicolas Rodriguez Bautista führt aus: ,,Erstens hält die kolumbianische Regierung eine Haltung der Gewalt gegenüber populären Kämpfen aufrecht. (…) Zweitens erkennt die kolumbianische Regierung die Vorschläge dieser Kämpfe nicht an. (…) Drittens ist das Phänomen des Paramilitarismus nicht verschwunden, sondern existiert unverändert mit starker Präsenz fort (…) Viertens ist das kolumbianische Wahlsystem (…) korrupt und klientelistisch (…) es ist ein System des Zwangs und der Waffen, dass der Linken und der populären Klasse den Zugang verweigert (…) Die gesellschaftlichen Bedingungen heute bleiben die gleichen, die den bewaffneten Aufstand von Anbeginn an motivierten“ [9].


Demgegenüber setzt die FARC-EP, der Polo Democratico Alternativo, Marcha Patriotica und ein großer Teil der sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen in Kolumbien auf den Friedensprozess als einen möglichen ersten Schritt einer sozialen Transformation der Verhältnisse oder zumindest als einen Ausgangspunkt für einen zu führenden politischen Kampf, den der bewaffnete Konflikt in den vergangenen 20 Jahren zunehmend verunmöglicht hat. Ein weiterer Punkt dürfte sein, dass die paramilitärische Aufstandsbekämpfungsstrategie unter Uribe der Guerilla massiven Schaden zugefügt und diese zurückgedrängt hat, sodass Oligarchie und Guerilla heute in einer Art militärischen Patt-Situation am Verhandlungstisch sitzen. Trotz der Gefahren sieht man seitens der FARC-EP das Potenzial in einer möglichen massenhaften Mobilisierung der Bevölkerung, den Einbezug eines großen Teils der Bevölkerung in den Friedensprozess und einer möglichen Post-Konflikt-Phase. Ein mögliches scheitern des Friedensprozesses wird dahingegen von dem einflussreichen FARC-Guerillero Carlos Antonio Sozada folgendermaßen kommentiert:,,Es wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Ich will gar nicht wissen, was das mit unserem Volk anrichten würde. Wer verhandelt, dem ist es erlaubt, den Krieg aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und zu erkennen, dass wir unsere Anstrengungen vervielfachen müssen, um ihn zu beenden. Keine der kommenden Generationen von Kolumbianern soll einen solchen Krieg noch einmal durchleiden müssen.[10]''

 

Von Jan Ronahi

 

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Anmerkungen:


[1] Die Forderungen in Spanisch im Genauen einsehbar: http://www.pazfarc-ep.org/index.php/pages/desarrollo-agrario-integral

 

[2] Einige Analysten gehen noch weiter zurück in der kolumbianischen Geschichte und beziehen den historischen Konflikt der Liberalen und Konservativen (die sogenannte Violencia), der in den 40er Jahren des 20. Jhts. ebenfalls in Form eines Guerillakrieges ausgetragen wurde und zur Gründung unabhängiger Bauernrepubliken führte, in den heutigen bewaffneten Konflikt mit ein, da die blutige Niederschlagung eben dieser Bauernrepubliken mit Hilfe des US-Imperialismus die Gründung der FARC zeitigte.

 

[3] Chicago-School bezeichnet der wissenschaftliche Think-Tank um den Ökonomen Milton Friedman, der verantwortlich zeigt für die neoliberale Wirtschaftsagenda: ,,In der wirtschaftspolitischen Diskussion meint ‚Chicago‘ die Überzeugung von der Effizienz freier Märkte im Hinblick auf Ressourcenallokation, Skepsis gegenüber Staatseingriffen in die Wirtschaft und die Betonung der Quantitätstheorie des Geldes für die Inflation (Friedman 1974). Implementiert wurde diese Agenda unter starker Mitwirkung der USA in gesamt Lateinamerika, am brutalsten aber im faschistischen Pinochet-Regime in Chile.

 

[4] Grundsätzlich haben sämtliche politische Formationen in Kolumbien in irgendeiner Form Kontakte zum Drogenhandel und sei es nur auf niedrigster Ebene in Form von Einzelpersonen, da es sich um eines der lukrativsten Geschäfte handelt, weshalb z.B. ein Teil der Landarbeiterschaft bevorzugt Koka zum Lebensunterhalt anbaut. Es handelt sich hierbei um keine Negativwertung durch den Autor, sondern um ein Teil der Analyse: In systematischer Weise und auf höchster Ebene haben im Besonderen der Paramilitarismus und seine Anhänger eine enge Geschichte mit den Narcos um das Medellin- und Cali-Kartell und ihren heutigen Nachfolgern. Die Drogenbosse waren in den vergangenen 3 Jahrzehnten an der Ermordung und den Kampf gegen die Guerillas an vorderster Front involviert. (Siehe: Zelik, Raul / Azzelini, Dario (1999) ,,Kolumbien – Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung“)

 

[5] Ultra-Derecha ist die in Kolumbien übliche Bezeichnung für die dem Paramilitarismus nahestehenden Gruppierungen und Parteien. Ihrer Funktion nach nehmen sie die Rolle faschistischer Gruppierungen und Parteien ein, sind jedoch was ideologische Tradition und Ausdruck angeht grundsätzlich verschieden von der europäischen Tradition. Sie wird in Kolumbien maßgeblich repräsentiert von Uribes Centro Democratico.

 

[6] Campesino ist die in Kolumbien übliche Bezeichnung für die Einwohner der ländlichen Gebiete Kolumbiens und nicht notwendigerweise der kolumbianischen Landarbeiter. Im Bezug zum paro nacional ist die Landarbeiterschaft gemeint.

 

[7] Je nach Untersuchungsergebnissen und politischer Ausrichtung der Analysten geht man von 3000 – 5000 umgebrachten Polit-AktivistInnen bis Ende der 80er Jahre aus. Sogar bürgerliche, menschenrechtspolitische Analysen (die in einer extremismustheoretischen Art und Weise den Konflikt betrachten) gehen davon aus, dass 58% der Massaker im Konflikt von paramilitärischen Gruppierungen, d.h. de facto vom kolumbianischen Staat, begangen wurden; In dieser konservativen Zahl sind diesem Narrativ folgend noch nicht die offiziellen Massaker des Staates enthalten. (Siehe: ,,Basta Ya! Colombia: Memorias de Guerra y Dignidad“ (2013) Centro Nacional de Memoria Historica)

 

[8] Nachgezeichnet in: Zelik, Raul / Azzelini, Dario (1999) ,,Kolumbien – Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung“

 

[9] https://www.youtube.com/watch?v=6eIg7w1IAJs (veröffentlicht am 17.07.2016). Wiedergegeben in sinngemäßer Übersetzung.

 

[10] Zuerst ist Freitag veröffentlichtes und von ,,KolumbienInfo'' dokumentiertes Interview https://kolumbieninfo.noblogs.org/post/2016/08/04/interview-mit-carlos-a...