„Ignorieren löst das Problem nicht“

Erstveröffentlicht: 
10.07.2016

Von RECHTSEXTREMEN bedrohte Familie in Weil am Rhein hat ein bisschen Ruhe gefunden
Im Fall der von Rechtsextremen bedrohten Familie in Weil am Rhein-Friedlingen haben die Behörden reagiert. Aus der Politik kamen betroffene Stellung nahmen. Daraus soll nun zivilgesellschaftliches Engagement entstehen.

 

Von KATHRIN GANTER

Die gute Nachricht: Die Gruppe Rechtsextremer, die rund drei Wochen lang fast jeden Tag vor dem Haus einer Familie in Weil am Rhein-Friedlingen stand, hat sich dort nicht mehr blicken lassen, seit Der Sonntag vor einer Woche über den Fall berichtet hat: Mutmaßlich aus rassistischen Motiven – der Familienvater hat einen afrikanischstämmigen Vater – übte ein Nachbar Sachbeschädigungen am Auto der Familie aus, beleidigte und bedrohte die 37 Jahre alte Frau und die sechs und 15 Jahre alten Söhne über Monate. Nachdem die Familie ein Annäherungsverbot gegen den Nachbarn erwirkt hatte, wurde die Frau von dessen Schwiegersohn auf offener Straße zusammengeschlagen. Vom folgenden Tag an trafen sich regelmäßig Personen aus dem rechtsextremen Milieu vor dem Haus der Familie, fotografierten den Balkon; zudem gab es Drohungen. Mutter und Kinder trauen sich nicht mehr alleine aus dem Haus, Freiwillige organisierten einen Begleitschutz.

Am Dienstag erließ das Amtsgericht Lörrach gegen acht Personen ein Annäherungsverbot. Sie dürfen sich der Familie ein halbes Jahr lang nur auf einen Abstand von 150 Meter nähern und nicht auf andere Weise Kontakt aufnehmen. Das Annäherungsverbot gilt Informationen des Sonntag zufolge unter anderem für den NPD-Gemeinderat Andreas Boltze, Sven Diesslin, der im Herbst mehrere Kundgebungen angemeldet hatte, und Andreas Weigand, Kreisvorsitzenden der rechtsextremen Partei Die Rechte. Die latente Bedrohung für die Familie bleibt dennoch: Zum Kreis der Rechten gehören mehr als diese acht.

In einer Stellungnahme bestreitet Weigand die Vorwürfe und kündigt an: „Wir werden jeden Anzeigen der über mich und meine Kameraden lügen verbreiten!“ Neben der betroffenen Familie und den berichtenden Journalisten soll unter anderem der Lörracher Polizeisprecher angezeigt werden. Viel Arbeit haben Polizei und Staatsschutz schon jetzt: Sie nehmen die Lage sehr ernst und ermitteln mit Hochdruck.

Stellungnahmen sind nur ein Anfang

Der Gemeinderat der Stadt Weil am Rhein veröffentlichte am Mittwoch eine kurze Stellungnahme, die von allen Räten – außer Andreas Boltze – sowie von Oberbürgermeister Wolfgang Dietz unterzeichnet wurde. „Rassismus und Gewalt sind für uns in keiner Weise akzeptabel“, heißt es darin. Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Rainer Stickelberger verurteilt die Vorkommnisse. Es müssten politische Lösungen gefunden werden, man setze aber auch auf Zivilcourage in der Gesellschaft.

Volker Hentschel, Vorsitzender des Friedlinger Stadtteilvereins, zeigte sich überrascht von den Vorfällen, von denen öffentlich nichts zu spüren gewesen sei. Das ist überraschend, weil andere Aktionen der Gruppe mehrfach medial thematisiertworden waren – unter anderem war es
im Februar fast zu einer Schlägerei zwischen den Rechtsextremen und Deutschtürken im Rheinpark gekommen.

Die Partei Die Linke kritisiert, die Positionierung der Räte sei lange überfällig gewesen. Bereits bei den ersten rechten Kundgebungen im Herbst hatte die Linke die Gegenkundgebungen organisiert. Damals seien die Gegendemonstranten mit den Rechten als „unruhestiftende Kräfte“ in einen Topf geworfen worden. Der Gemeinderat hatte erst nach mehreren Demonstrationen eine Stellungnahme abgegeben, die den Eindruck erwecken konnte, dass es sich bei den Demonstrationen um Scharmützel zwischen links und rechts gehandelt habe – die mit der Stadt nichts zu tun hätten. Auch im aktuellen Fall reagierte die Linke schnell: Die Linksjugend Solid organisierte die gestrige Kundgebung, an der sich etwa 40 Menschen mit der Familie solidarisierten.

Mitarbeiter von „Leuchtlinie“, der vom Land finanzierten Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, waren in dieser Woche vor Ort, um sich ein Bild zu machen, führten Gespräche mit der Friedlinger Familie, aber auch mit mehreren anderen Personen, die von der rechtsextremen Gruppe beleidigt oder bedroht wurden. Leiter Heval Demirdögen kündigt an, man werde das Netzwerk aus dem Beirat der Beratungsstelle aktivieren, dem unter anderem Wohlfahrtsverbände angehören. Sie sollen sich mit ihren Vertretern vor Ort verstärkt um die Begleitung der Familie kümmern. Kirchen und Gewerkschaften sollen mit ins Boot geholt werden. Zudem will „Leuchtlinie“ sich darum kümmern, dass die Familie bei Bedarf rasch psychologische Hilfe bekomme. „Wirwerden den Prozess dauerhaft begleiten“, sagt Demirdögen. Alle, die Opfer rechter Gewalt wurden, können sich bei „Leuchtlinie“ melden. Die Beratungsstelle hat auch einen Ansprechpartner vor Ort, der schnell Hilfe leisten kann.

Heval Demirdögen sagt, er habe sich gewundert über die Kürze der Stellungnahme des Gemeinderates, die er als „Selbstverständlichkeit“ beezeichnet. „Aber es ist erfreulich, dass die Stadt nun die Gefahrensituation erkennt.“ „Leuchtlinie“ arbeitet mit dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg zusammen.

Dieses bietet Personen und Institutionen vor Ort Unterstützung an, sich antidemokratischen Entwicklungen entgegenzustellen, und zwar in Form von Beratung, Qualifizierung und Begleitung. Das Angebot solle in Weil vorgestellt werden, erklärt der Landeskoordinator Günter
Bressau: „Wir können die Handelnden so weit stärken, dass sie mit der Problematik umgehen können.“

Er hofft, dass sich vor Ort Personen finden, die bereit sind, sich des Themas anzunehmen, denn: „Durch Ignorieren können wir Rechtsextremismus nicht besiegen.“ Die Rechtsextremen in der Region bezeichnet Bressau als „Gruppe beachtlicher Größe“ und sieht Handlungsbedarf. Die Stellungnahmen seien ein guter Anfang gewesen: „Aber das Problem zu lösen, ist eine langfristige Geschichte.“

KONTAKT: Leuchtlinie, Telefon 0711/88899933, E-Mail kontakt@leuchtlinie.de, www.demokratiezentrum-bw.de.