„Mal ganz abgesehen von dem Recht auf ein schönes Leben“ (erschienen in der LaRage Nr.18)
Seit über einem Jahr schon ist das Alte Sportamt als selbstorganisierter Raum in Bremen besetzt. Seitdem wurde viel berichtet, geschrieben und diskutiert. Dieses Interview soll nun einige offene Fragen klären und eine Möglichkeit bieten, die Beweggründe der Besetzer_innen ausführlicher zu besprechen. Dazu treffen wir uns heute mit Sid und Nancy.
Hallo
erstmal. Ihr seid beide Teil der Nutzer_innen-Gruppe die das Alte
Sportamt im April letzten Jahres besetzt hat. Vielleicht könnt ihr zu
Beginn erklären was ihr im Alten Sportamt eigentlich so macht und was
das Projekt für euch bedeutet?
Nancy:
In erster Linie ist das Sportamt natürlich ein Veranstaltungsort. Dabei
ist uns aber besonders wichtig diesen selbstbestimmt zu organisieren.
Deshalb haben wir uns immer dagegen entschieden unter irgendwelche
Träger zu schlüpfen oder finanzielle Unterstützung zu beantragen. Uns
geht es darum finanziell unabhängig zu sein und niemandem Rechenschaft
ablegen zu müssen, um unsere Entscheidungen schließlich frei treffen zu
können. Alles was diesen Ort angeht wird auf dem Nutzer_innenplenum
besprochen und soll nicht von außen vorgegeben werden.
Sid:
Wir möchten generell, dass Menschen selbstbestimmt und solidarisch
miteinander umgehen und das versuchen wir hier so weit wie möglich
umzusetzen und Probleme gemeinsam zu lösen.
Ihr sprecht von Selbstbestimmung und Solidarität, wie lässt sich so ein Miteinander eurer Meinung nach umsetzen?
Sid:
Wir glauben,dass sich ein solidarisches Miteinander nur durch das
Ausprobieren von gemeinsamen Praxen erreichen lässt. Dazu sehen wir die
Möglichkeit in einem selbstorganisierten Projekt wie diesem. Es stößt
uns immer wieder auf Probleme und Fragen, zum Beispiel danach wie wir
gemeinsam Entscheidungen treffen, wie wir miteinander umgehen, wie wir
zueinander sprechen wollen.
Nancy:
Wir wollen gemeinsam versuchen Herrschaftsmechanismen und -strukturen
zu erkennen und aufzulösen. Auch wenn uns das nicht einfach so gelingen
kann, weil wir in einer Gesellschaft leben, die von diesen durchzogen
ist, ist es uns wichtig, dass sich kein Mensch über einen anderen
stellt. Wir denken, dass sich der Abbau solcher Strukturen erreichen
lässt, indem wir uns auf Augenhöhe begegnen und gleichberechtigt
miteinander umgehen. Dabei stehen wir dem eigenen Handeln und dem der
Anderen kritisch gegenüber. Durch die praktische Umsetzung und das
Immer-wieder-Ausprobieren davon können wir unserer Vorstellung von einer
solidarischen Gesellschaft näher kommen, die nicht nicht von
Konkurrenzverhalten und Leistungszwang beeinflusst ist.
Würdet ihr euch als eine Art Gegenmodell zur neoliberalen Stadt sehen?
Sid:
Das Sportamt soll halt nicht wie andere Veranstaltungsorte, wie
Kneipen, Clubs und so, ein Ort zum Konsumieren sein, wo den Leuten gegen
Geld alles bereitgestellt wird. Das Projekt entsteht und verändert sich
mit seinen Nutzer_innen und dem, was sie hier machen. Es lädt zum
mitmachen ein und die Leute können am Plenum und somit auch an den
Entscheidungen teilhaben. Außerdem soll das Sportamt ein Raum sein, wo
der Zugang bei Veranstaltungen möglichst frei ist, wo kein Eintritt
bezahlt werden muss und Essen und Getränke gegen Spende zu kriegen
sind. Das nimmt, zumindest für den Moment, den Druck des
Geldverdienens, den das Leben in unserer Gesellschaft mit sich bringt.
Darauf bezogen, würde ich schon sagen, dass das Sportamt ein Gegenmodell
ist. Obwohl Gegenmodell für mich zu sehr nach einer allumfassenden
Lösung klingt.
Nancy: Naja, eine allumfassende Lösung haben wir natürlich nicht, aber ich denke schon, dass sowas wie das Sportamt ein Entwurf für einen solidarischeren alltäglichen Umgang miteinander sein kann.
Gerade ging es um die "Stadt". Wo seht ihr euch in der aktuellen Stadtentwicklung?
Nancy:
Das neoliberale Modell setzt voll auf Verdrängung und Ausgrenzung.
Mieten werden teurer, öffentlicher Raum wird privatisiert und alles was
sich nicht im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik vermarkten
lässt wird verdrängt. Dieser Entwicklung stellen wir uns aktiv entgegen.
Die Besetzung des Alten Sportamts zeigt dass wir ohne die Politik und
deren Bebaungspläne eindeutig besser dran sind.
Sid:
Es kann nicht angehen, dass gesellschaftliche Teilhabe von den
finanziellen Mitteln abhängig ist. Dieser neoliberalen Logik werden wir
uns nicht anpassen. Vielmehr wollen wir Strukturen aufbauen die sich
außerhalb dieser Wege befinden und unabhänig sind.
Das
hört sich ja so an, als ob ihr die Zusammenarbeit mit der Politik
grundsätzlich ablehnt. Warum habt ihr dann trotzdem letztes Jahr mir der
Stadt verhandelt und wie kam es dazu, dass ihr die Verhandlungen im
Herbst abgebrochen habt?
Sid:
Eigentlich war das ein Versuch. Es gab ja in Bremen schon mehrere
Hausbesetzungen. Da gab es zum Beispiel die Besetzung der
Unruh-Spedition 2012 und zwei weitere 2014. Die Strategien dabei waren
ganz unterschiedlich und der Weg den wir gegangen sind war eben noch ein
ganz anderer. Ein bestehendes Projekt aus seinen beschissenen
Zwischennutzungsvereinbarungen heraus zu holen und es dabei vor dem
Rauswurf zu retten, schien uns nur dadurch machbar, dass wir
verhandlungsbereit waren.
Nancy:
Von vornherein gab es dazu aber auch verschiedene Meinungen auf unserem
Plenum. Wir haben wohl alle mal hin und her geschwankt zwischen dem
Wunsch das Projekt zu halten und dafür auch Kompromisse in den
Verhandlungen einzugehen und dem Wunsch straight zu bleiben, also den
Kontakt zur Stadt grundsätzlich zu meiden. Es gab eine Zeit, da hätten
wir einen Vertrag, der unseren Vorstellungen entsprochen hätte,
unterschrieben. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass es den nicht
gibt und nicht geben kann. Alles was uns angeboten wurde waren wieder
Zwischennutzungsverträge und völlig unbrauchbare Ersatzobjekte. An
dieser Stelle haben wir dann letzten Herbst die Entscheidung getroffen,
die Verhandlungen abzubrechen.
Teile der Öffentlichkeit werfen euch „Gesetzesbruch“ vor und fordern offen die Räumung des Geländes – was sagt ihr dazu?
Nancy:
In unserer Situation zeigt sich ja, dass dieser Rechtsbruch absolut
notwendig ist, denn ohne ihn gäbe es das Sportamt nicht mehr. Die
Gesetzeslage lässt eine Nutzung, wie wir sie betreiben, eben nicht zu
und wie die Verhandlungen gezeigt haben ist die Bremer Politik nicht
bereit diese Situation zu ändern. Folglich ist es, denke ich,
nachvollziehbar, dass wir diesen Weg gehen, um das Projekt "Altes
Sportamt" zu erhalten. Die vielfältige Nutzung zeigt auch, dass wir
damit nicht alleine dastehen. Wir sind gut vernetzt und hinter uns
stehen viele Unterstützer_innen.
Sid:
Zum Thema Räumung wollen wir an dieser Stelle deutlich machen, dass wir
versuchen werden, sie mit aller Entschlossenheit zu verhindern.
Also haltet ihr die Aneignung von fremdem Eigentum für ein legitimes Mittel?
Nancy:
Im Fall des Alten Sportamts ist die Sache doch eindeutig. Die Immobilie
stand einige Jahre leer und wir haben mit unserem Projekt einen toten
Ort wiederbelebt. Durch den offen Zugang und die Möglichkeit der
Beteiligung geben wir diese städtische Immobilie an die Allgemeinheit
zurück. Außerdem halten wir es weiterhin für nicht zu rechtfertigen ein
funktionierendes Projekt einfach platt zu machen.
Sid:
Aber auch grundsätzlich halten wir es für richtig Leerstand zu
besetzen. Ein Haus nicht einfach leerstehen zu lassen, sondern es den
Menschen zur Nutzung zu überlassen, würde einer
solidargesellschaftlichen Verantwortung entsprechen. Es gibt das
Grundbedürfnis nach Wohnraum und sozialen Treffpunkten. Diese sollten
unserer Meinung nach für alle verfügbar und keine Handelsware oder
Spekulationsobjekte sein. Die Leerstands-Politik des Bremer Senats
zeigt, dass das Recht auf Eigentum jedoch einen höheren Stellenwert hat
als das Recht jeder Einzelnen ihre Grundbedürfnisse zu decken, mal ganz
abgesehen von dem Recht auf ein schönes Leben. Solange das so ist, bleibt die Aneignung von fremdem Eigentum absolut richtig und notwendig.
Vielen Dank erstmal für das Interview. Wollt ihr denn noch etwas sagen?
Nancy:
Ja klar. Wir wollen an dieser Stelle alle Menschen, Projekte und
Gruppen grüßen die auf unterschiedlichste Art und Weise für eine
befreite Gesellschaft kämpfen. Wir halten es für richtig und notwendig
sich über das bestehende Recht hinweg zu setzen um eine positive
gesellschaftliche Veränderung zu erreichen. Wir hoffen, dass die
Besetzung des Alten Sportamts allen Aktivist_innen Mut macht und laden
alle herzlichst dazu ein bei uns vorbei zu kommen und diesen Ort mit uns
zu teilen.