Eine Gruppe No Border Aktivist_innen war vergangene Woche in Calais um die Migrant_innen dort zu unterstützen, bei ihrem täglichen Kampf um Schlafplätze und gegen die Polizei. Die Situation hat sich seit den großen Räumungen im Herbst nicht gebessert. Wir wurden Zeug_innen von erneuten Räumungen, Hetzjagden und dem ganz normalen Wahnsinn einer Stadt an der Grenze.
- ein persönlicher Wochenbericht -
Every Time Police Problem - Eine Woche in Calais
Als ich jünger war
Als ich jünger war habe ich im Fernsehen mal einen Film gesehen, über ein Dorf in dem gegen Ende des zweiten Weltkrieges ein Zug voller Gefangener liegen bleibt und vergessen wird. Als wenige Tage später die Nachricht vom Kriegsende auch dieses Dorf erreicht, wissen die Bewohner_innen des Dorfes nicht damit umzugehen. Sie wissen nicht, was sie mit diesem immer weniger und leiser stöhnenden Menschen machen sollen, sie haben Angst vor ihnen. Sie wissen sich nicht anders zu helfen, als gemeinsam die Waggons auf den Gleisen ein Stück weiter, bergab in den nahe gelegenen Wald zu schieben. Gerade so weit, damit das letzte Klagen nicht mehr zu hören ist, im Dorf.
Schweigen.
Die Hoffnungsvollen und Unerwünschten von Calais – zur Situation
Diese Woche waren einige Aktivist_innen des Netzwerkes „No Border“ in Calais, der kleinen französischen Hafenstadt am ÄrmelKanal mit dem Eurotunnel nach Großbritannien. Seit Jahren erreichen zahlreiche Migrant_innen aus den verschiedensten Ländern, unwirtlichen Regionen und Krisengebieten dieser Welt Calais, um von hier die letzte Hürde zum Reiseziel England zu nehmen. Sie haben beschlossen, unter den Bedingungen ihrer Heimaten nicht mehr leben zu wollen und sie haben so manches Mal die schönsten, traurigsten und bittersten Gründe und Träume, warum sie nach Europa und nach England wollen. Viele von ihnen sind schon seit Monaten unterwegs, stets ohne Rechte und abhängig von verschiedensten Schleppern in Mafiaähnlichen Strukturen und viele von ihnen hängen nun wiederum schon Monate fest in Calais, da die Grenze zur Insel eine der am schwierigsten zu überwindendenden ist. Unter LKWs geklemmt, auf die sie manchmal während der Fahrt aufspringen müssen, unter Planen, auf Anhängern versuchen sie es. Manchmal auch schwimmend, sich an eine der Fähren hängend, oder gar den ganzen Kanal überquerend – was bisher eher wenigen gelungen sein dürfte.
Doch die hochgesicherte Grenze ist nicht das einzige Problem, die einzige Hürde. Während sie des Nachts versuchen diese zu überwinden, bleiben viele Stunden und ein ganzer Tag der herumgebracht werden will.
Die Migrant_innen in Calais organisieren sich in ihren Nationalitäten, bzw. nach ihrer Herkunft. Einige leben in besetzten Häusern in Calais, Squats genannt. So leben Menschen aus dem Sudan, Somalia, und anderen, meist afrikanischen Ländern im so getauften „AfricaHouse“, oder im „EgyptianHouse“ Leute aus Ägypten und Palästina; andere in „Jungles“, kleinen ZeltDörfern aus Paletten, Pappe und Plastikplanen am Rande der Stadt – hier vorallem Menschen aus Afghanistan, Iran, Irak und kurdischen Gebieten. Die Jungles wurden den Herbst über vermehrt von der Polizei geräumt, so dass es keine Bleibe für diese Menschen gab.
Im Winter, wenn die Temperaturen unter nulll Grad sinken, öffnet die Stadt gnädigerweise eine Turnhalle, das BCMO, zur Übernachtung. Diese war dank „wärmerer“ Temperaturen von acht Grad allerdings schon wieder geschlossen, als wir Calais am vergangenen Wochenende (12. März) erreichten. In Ermangelung anderer Schlafplätze haben die afghanischen Pashtun, Iraker, Iraner und Kurden (es waren nur Männer) beschlossen unter dem Vordach der BCMOTurnhalle zu schlafen. Wer sich dort nicht mehr hinquetschen konnte, schlief an der Wand einer NachbarLagerhalle. Insgesamt dürften es um die siebzig Menschen gewesen sein, die dort jede Nacht, nach ihren missglückten Versuchen auf LKWs zu gelangen, ihren Schlaf fanden – unter zahlreichen gesammelten und gespendeten AltkleiderDecken und einzelnen Planen zum Schutz vor Regen.
Man stelle sich das vor. In einer Stadt mit 70 000 Einwohner_innen, schlafen an einem relativ zentralen Platz, an einer mittelgroßen Straße, täglich 70 Personen an einem Fleck. Die Menschen aus Calais, Calais' sogenannte Bürgerinnen und Bürger, scheinen das gekonnt zu ignorieren. Nicht einmal mehr die Kinder auf dem Heimweg von der Schule, werfen noch einen Blick auf die Deckenberge und die darin und drumherum wuselnden Menschen.
Es herrscht Schweigen über dieses „Problem“, meiner Meinung nach bedrückendes Schweigen.
Die Frage, wie die Stadt Calais, in Form einer Stadtverwaltung, damit umgeht, ist seit geraumer Zeit bekannt. Wiederkehrende Räumungen der Jungles und Squats, Schikane der herumlaufenden Migrant_innen, das UnmöglichMachen eines täglichen Lebens, eines Aufenthalts, eines schlichten Seins in der Stadt – mit Hilfe der nationalen wie städtische Polizei, Grenzschutz und polizeilichen Sondereinheiten.
Jede Festnahme, jede Kontrolle der nicht vorhandenen Papiere der Migrant_innen bedeutet die Gefahr des FingerabdrückeNehmens. Sind die Fingerabdrücke einmal genommen, gibt es aufgrund der „sichere DrittstaatenRegelung“ für die Betroffenen keine Möglichkeit mehr in Großbritannien einen Asylantrag zu stellen und somit dort endlich aus der „Illegalität“ herauskommen zu können.
In meinem Kopf schwirrt das traurige Bild eines jungen Afrikaners, wie er in der Sonne sitzt und mit Schleifpapier intensiv seine Fingerkuppen bearbeitet. Später gesellt er sich ans Feuer, zeigt einem anderen Mann seine Hände, der betastet sie ausgiebig. Ich verstehe nicht was sie sagen, doch es ist nicht nötig.
Eine Woche in Calais – aktuelle Geschehnisse
Graffiti als Vorwand für Festnahmen – Dienstag
Die ersten Tage die wir in Calais verbrachten, waren recht ruhig. Die üblichen Schikanen, die üblichen kleinen Festnahmen, eine Stadt voller Polizeipräsenz – an jeder Ecke. Nächtlich „heimkehrende“ Migrant_innen, erneut gescheitert am Hafen, an der Autobahn, an der Grenze. Sie rennen, gejagt von der Polizei, die sich einen Spaß daraus macht Gruppen von circa zwanzig Menschen vor ihrem Auto herzutreiben, wie eine Herde aufgescheuchter Tiere.
Ich der Nacht von Montag auf Dienstag beschlossen einige der Pashtun am nächsten Tag in Hungerstreik zu treten, zum einen weil dass Essen bei der täglichen Essensausgabe oft ein einziger geschmackloser Brei sei, zum anderen, weil die Polizei in letzter Zeit oft Leute auf dem Weg zur Essensausgabe festnahm, obwohl eine eine definitive Absprache zwischen den NGOs der Essensausgabe und der Polizei gab, dass genau das unterbleiben sollte. No Border Aktivist_innen informierten auf Bitte der Migrant_innen die lokale Presse und unterstützten sie mit Material beim Malen von Transparenten mit ihren Forderungen. Eines der von den Migrant_innen gemalte Demobanner lautete so ehrlich: „Every time police problem!“ Einige der Spraydosen wurden jedoch „zweckentfremdet“ und verschönerten kurze Zeit später die umliegenden Häuserwände.
Dies nahm die Polizei zum Anlass, nachdem sie am Morgen schon zwei Migranten an der BCMOTurnhalle festgenommen hatte, wieder zu kommen. Unter dem Vorwand die „schuldigen Sprayer“ festnehmen zu wollen, zählte sie 20 Migrant_innen regelrecht ab (!) und verfrachtete sie in ihre Busse.
Dies war die erste „größere“ Polizei-Action die wir (wohlgemerkt lediglich seit unseres Aufenthaltes) mitbekamen. Von da an rissen die Begegnungen mit der Polizei, inklusive der Festnahmen, nicht mehr ab.
Die Festgenommenen wurden am gleichen Tag noch freigelassen, doch kamen wenige Stunden später Beauftragte der Stadt und sperrten einen Durchgang zum Gelände hinter dem BCMO mit Gittern ab. Dadurch wurde dieses Gelände, auf dem sich immer noch Migrant_innen aufhielten und nachts auch schliefen, zu einer Mausefalle mit nur einem Ausgang.
Zu Befehl
Warum sie das tun, woher die Anordnung käme, fragten wir. „Das wissen wir nicht“, „Wir handeln nur im Auftrag“, war die Antwort. Wir handeln nur im Auftrag, wir wissen von nichts. Diese Sätze habe ich dieser Tage so oft gehört, bei jeder Begegnung mit irgendeiner Form von Staatsgewalt. Niemand scheint Verantwortung für irgendetwas zu haben in Calais. Niemand scheint nachzudenken, sich zu fragen, zu wundern, über das Danach, die Folgen.
„Wir warten gerade auf Anweisungen“ war ein weiterer Satz der einigen Uniformierten sehr leicht, zu leicht, über die Lippen ging. Mein Lachen darauf zollten sie mit Unverständnis im Blick.
Solidaritäts-Aktion am Abschiebeknast
Um gegen die Festnahmen zu protestieren, fuhren einige der No Border Aktivist_innen zum Abschiebeknast im Nachbarort Coquelles. An der Hinterseite des Gebäudes zeigten wir unsere Banner und riefen – um von den Menschem im Gefängnis gehört und um von den „Schreibtischtätern“ in ihren Büros gesehen zu werden. Einige schauten aus ihren Zellen, ein kurzer Sprechchor aus dem Hof kam uns zur Antwort. Doch die Polizei, die von hinten kam und uns am Weggehen hinderte, ließ nicht lange auf sich warten. Identitätskontrollen, eine Aktivistin wurde zu Boden geworfen und durchsucht. Die Befehlshabende Polizistin, die wir schon bei den Festnahmen am Morgen kennengelernt hatten, machte einen wirklich strengen und schlecht gelaunten Eindruck, vorallem nachdem sie unser Transpi: „No Borders!“ gelesen hatte und daraufhin meinte uns eindeutig der No BorderGruppe zuordnen zu können.
Das Polizeiaufgebot betrachten wir als angemessen: Zwei vollbestetze Kleinbusse und zwei Polizeiautos – für sechs Aktivist_innen. Sie geleiteten uns nach den Kontrollen zur Straße zurück, hinderten uns jedoch daran unsere Autos zu holen. Nach Diskussionen und Befragen eines Diensthöheren war dies dann doch möglich, allerdings wurde eines unserer Autos (bzw. später auch die Insassen des Autos als sie zu Fuß unterwegs waren) bis zum Abend von einem Polizeibus verfolgt. Bei Dämmerung im Strandgetummel konnten die abgeschüttelt werden.
Wir werten diese Aktion als Einschüchterungsversuch von Seiten der Polizei.
Zur gleichen Zeit wurde eine andere Aktivistin am Besuch eines Freundes in Abschiebehaft gehindert, mit der Begründung sie sei „No Border“ und weil ein Polizist sie von den MorgenFestnahmen her wiedererkannt hatte. Nach drei Anläufen und letzten Endes durch Hinzuziehen eines Anwalts, musste dem Besuch stattgegeben werden.
Räumung der BCMOTurnhalle – Mittwoch
Ein Wiedersehen mit der Polizei und auch der freundlichen Kommandoleiterin gab es schon am nächsten Tag, Mittwoch. Während die Migrant_innen gerade bei der Mittagsessesausgabe waren (der Hungerstreik wurde nach den Festnahmen und vielen Diskussionen doch ausgesetzt), machten Polizei und Säuberungskommandos – in weißen Schutzanzügen und Mundschutz sich dran den Platz rund um das BCMO von Decken und jeglichen persönlichen herumliegenden Gegenständen der Migrant_innen zu „säubern“. Darüber hinaus wurde alles mit (vermutlich) Desinfektionsmittel eingesprüht, was die Nutzung der Decken nicht gesünder macht. Aufgebracht kamen die Migrant_innen vom Essen zurück, doch an der de facto Räumung war nichts zu ändern. Migrant_innen und Aktivist_innen die wenigstens ein paar Gegenstände und Decken retten wollten, wurden von der Polizei lautstark, zum Teil mit Körpereinsatz, daran gehindert. Später gab es die gnädige Möglichkeit einige Decken wieder vom Müllauto herunter zu ziehen, sie waren mittlerweile nass und zum Teil stark verschmutzt. (Anmerkung dazu: Dass die Migrant_innen keine Möglichkeit haben Wäsche zu waschen, kaum irgend duschen können, liegt auf der Hand; Hautkrankheiten sind generell schon ein Problem)
Die ganze Szenerie, der Umgang der Polizei mit den Migrant_innen war wiederwärtig, die Behandlung der Migrant_innen als minderwärtig in so vielen Gesten abzulesen. Das „Geschenk“ von zwei unterschiedlichen Schuhen, die sie auf dem Boden gefunden hatte, von der lächelnden befehlshabenden Polizistin an einen verzweifelten Mann, der seine Decken suchte, war verachtend wie lächerlich zugleich.
Groteskes Ende der Aktion war, dass nach Ende der Aufräumarbeiten die Polizei den Migranten, die sich mittlerweile wartend an den Straßenrand gesetzt hatten, signalisierte sie sollten jetzt gehen. „You go now. You can go now!“ Auf die Frage wohin denn, gab es nur Schulterzucken von Seiten der Polizist_innen die erneut anfingen Drohgebärden zu machen um die Migrant_innen zu vertreiben. Einige der Migrant_innen fragten lauter, einige der Aktivist_innen versuchten der Polizistin die totale Sinnlosigkeit dieser Aufforderung zu erklären – ohne Erfolg. Irgendwann machten sich die Migrant_innen auf den Weg sich irgendwo zu verteilen, aufzulösen, und auch die Polizei fuhr ab. Beide, Migrant_innen wie Polizei sahen wir den Tag über in der Stadt verteilt. Verstreut verloren, mit einzelnen Decken bepackt, auf Parkbänken sitzend, wartend, die Einen; im blauweißen Auto sitzend, eben jene Einen jagend, die Anderen.
Wir sehen die Räumung des BCMO in mehrerlei Zusammenhang.
Bisherige Erfahrungen mit den Reaktionen der Stadt Calais auf Migrant_innen legten den Vermutung nahe, dass so viele Menschen, die täglich an einem solch zentralen Ort in Calais übernachten, Lagerfeuer machen und sich aufhalten, von der Stadt nicht dauerhaft akzeptiert werden würden. Eine Räumung war also abzusehen. Das sie zu diesem Zeitpunkt stattfand, mag an dem kleinen Aufmucken der Migrant_innen am Dienstag gelegen haben, möglicherweise inklusive der Unterstützung durch die, bei der Polizei nicht gerade beliebten No Border Aktivist_innen.
Darüber hinaus war am Sonntag, den 14. März, jedoch auch der erste von zwei Wahlgängen der Regionalwahlen in Frankreich. In Calais wurde bei einer Wahlbeteiligung von 37 Prozent (!) zu knapp 20 Prozent die rechtsextreme Partei Front National (FN) unter Führung von Marine Le Pen, der Tochter des Rechtspopulisten JeanMarie Le Pen, gewählt. Landesweit erhielt die FN allein schon elf Prozent der Stimmen. Solche Wahlergebnisse haben bekanntermaßen oftmals eine straffere Umsetzung einer ohnehin schon repressiven Politik zur Folge. Sie bieten regelrecht eine Legitimation härter durchzugreifen um für „Recht und Ordnung“ zu sorgen. So scheint es auch in Calais.
Kontrollen, Festnahmen, Schikane – Donnerstag
Diese in wenigen Tagen, Stunden, so angewachsene Polizeirepression gegen die Migrant_innen setzte sich am Donnerstag und Freitag fort. Das EqyptianHouse und ein weiteres Migrant_innenSquat wurden geräumt, alle Anwesenden festgenommen, mehrmals kam die Polizei zum AfricaHouse und nahm einzelne Leute, einmal 20 Menschen auf einmal, fest. Die Menschen die vor dem BCMO geschlafen hatten, kehrten zum schlafen an die Orte ihrer früheren Jungles zurück. Sie spalteten sich in ihre kleineren Nationalitätsgruppen auf. Die Pashtun suchten sich einige alte Güterzüge auf Abstellgleisen, auf denen, bzw. bei Regen unter denen sie übernachteten.
Am Donnerstag berichteten sie, dass in der Nacht die Polizei fünf mal gekommen sei, sich einmal regelrecht angepirscht hatte, um sie zu kontrollieren. Einzelne wurden dabei immer wieder festgenommen, zur Wache gebracht und nach einigen Stunden wieder laufen gelassen. Ärgerlicher zweistündiger Weg zurück bei Regen. Ein Mann erzählte uns, dass er seit dem gestrigen Abend vier Mal festgenommen worden war. Schikane. Reine Schikane.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurden wir Zeug_innen eines PolizeiBesuchs auf den Gleisen. Skurile Situation des Zusammentreffens von Migrant_innen, Polizist_innen und Aktivist_innen, alle über Gleise und Züge kletternd, des Nachts auf den Abstellgleisen vor Calais unweit des Hafens. Weit entfernt davon, dass irgendwer sonst etwas von diesem verrückten Spiel mitbekommen könnte. Weit davon entfernt, dass irgendwer etwas davon mitbekommen wollte.
Wir waren gekommen um Planen und Decken zu bringen für die Nacht. Kleine humanitäre Hilfeleistungen, die wir nicht als unsere erste Aufgabe sehen, denen wir uns aber nicht entziehen können, angesichts des Regens, der Kälte und der schlichten Tatsache, dass um die hundert Menschen irgendwo in den Dünen oder unter Zügen auf Gleisen schlafen. Ohne Decken, ohne Wasser, mitten in WestEuropa. Während in der Stadt die Sporthallen leerstehen und die Kirche mit einem Auto herumfährt, in welchem ein Zettel hängt der sagt: „Please, we take just people under age 18 an sicks to the church, because there is no enough space in the church, we are sorry“ [sic!].
Welch Hohn.
Schweigen
Eine ganze Stadt schweigt, angesichts dieses täglichen Unrechts gegen über Menschen, die einfach nur einen Traum haben und den Mut aufgebracht haben, sich auf den Weg zu machen. Die zum Teil so viel Leid erfahren haben, zu Hause oder unterwegs. Sich verändert haben in der Zeit de Reise. Bei etwas Ruhe erzählen sie davon, beim Tee am Lagerfeuer, beim Mittagessen, beim Warten auf die Nacht. So viele Geschichten vom Eingeschlossen sein, arm sein, auf der Suche nach der Familie sein, Minderheit zu sein, kriegsmüde sein. Geschichten über Stationen der Reise, über Gefühle über das hier und jetzt, über die Utopie vom freundlichen glücklichen gelobten Europa, über eine Stadt wie Calais.
Schmerzverzogenens Gesicht eines 17jährigen jungen Sudanesen beim Kopfschütteln auf die Frage ob er Kontakt zu seiner Familie in Dafur hat. Ob er Interesse an aktuelle Informationen zur Situation in Dafur haben möchte? „No, no, please no.“
Diese Geschichten scheinen in Calais keine Geschichte wert. Die Stadt schweigt sich aus. Die
Polizei tut ihren Job. Auf Anweisung. Ohne jegliche Verantwortung.
Bleiben die NGOs die die täglichen Essensausgaben organisieren, sie geben das Nötigste. Maximal. Macht es euch nicht zu gemütlich scheinen sie zu sagen, mit der Stadtverwaltung und Polizei im Nacken.
Bleibt die Kirche, die alle paar Tage mit einem Auto vier Leute (!) abholt, damit sie sich duschen können. Es scheinen aktuell um die dreihundert Migrant_innen in Calais zu sein. Die Leute rennen um die Wette zu diesem Auto. Das Schmunzeln darüber bleibt im Hals stecken.
Bleibt der UNHCR, die Flüchtlingsorganisation der UN. Welche Rolle, ich möchte sagen, welches Spiel, sie spielen, ist nicht ganz klar. Aufgrund der zahlreichen Festnahmen dieser Tage wurden Fingerabdrücke genommen, die noch nie gegeben worden waren. Ein zerplatzter Traum vom vielleicht möglichen Leben mit Papieren in England durch das Drücken eines Fingers auf ein Stempelkissen, auf einen kleinen Scanner.
Menschen die uns in den ersten Tagen stets gut gelaunt begegnet waren, sahen am Donnerstag so unendlich niedergeschlagen und müde drein. Nächte ohne Schlaf, Hetzjagden mit der Polizei. Fingerabdrücke. Und viele von ihnen, so viele erzählten, dass sie Abkommen mit dem UNHCR unterschrieben hätten, in ihrer Verzweiflung. In ihrer Hoffnungslosigkeit überredet von den UNMitarbeitern. Abkommen darüber, dass der UNHCR ihnen helfen würde einen hoffnungslosen Asylantrag für Frankreich zu stellen, sowie – wer auf Asyl von vorn herein keine Chance hat – die Übernahme der Flugkosten ins Heimatland durch den UNHCR. Sogar die Finanzierung der Tage bis zum Flug im Hotel. Das Niederschlagen der Augen. Kopfschütteln.
Was bedeutet eine Heimreise von wenigen Stunden Flug, in den Iran, Sudan, Afghanistan für diese Menschen? Wir können es nicht wissen, es uns nicht annähend ausmalen. Für die meisten wohl in erster Linie ein Scheitern, für manche Unglück, Krieg, Folter, Tod.
In meinem Kopf schwirren die verunsicherten Gesichter von Menschen, die ich kennenlernen durfte, wie sie schweigend im UNHCRAuto auf der Straße an mir vorüber fahren, mir nach schauen. Ich winke. Und mir bleibt für den Moment auch nicht anderes als zu scheigen. Doch mit Tränen in den Augen, angesichts dieser Hoffnungslosigkeit, dieses todesmutigen geplatzten Traumes, dieser schreienden Ungerechtigkeit, die da an mit vorbeifährt.
All das wegen einer zufälligen Geburt, an einem zufälligen Ort und einem Stück Papier, das man daraufhin bekommt – oder eben nicht.
Zum Abschied
Am Freitag Vormittag bereitete die Polizei den No Border Aktivist_innen noch ein ganz persönliches Abschiedsgeschenk, sie räumte das leerstehende und besetzte Haus in dem wir schliefen und nahm vier Aktivist_innen für sechst Stunden fest. Nach langem Warten und Verweigern der Aussage, hieß es jedoch, dass es keine Strafverfolgung gebe, wir lediglich „verschwinden“ sollten. Man wolle uns nicht mehr sehen. Immerhin – das soll nicht verschwiegen werden – durften wir noch unsere Sachen aus dem Squat holen.
Und so traten die meisten der No Border Aktivist_innen Freitag Nacht ebenfalls die Heimreise an. Froh und sich mit-schuldig fühlend zugleich diesen erdrückenden Ort verlassen zu können, und zu Hause wieder in den Genuss von Betten, Decken und Duschen zu kommen.
Viele der Migrant_innen jedoch bleiben, in ihren Squats, auf der Straße, auf den realen wie sinnbildlichen Abstellgleisen von Calais, wohin sie getrieben werden von einer Stadt, einem Land, einem Kontinent; von schlichten anderen Menschen, die nicht mit ihnen umgehen können, die sie nicht sehen wollen und deshalb ignorieren, die Angst vor ihnen haben. Und die sie deshalb quälen, statt mit ihnen zu reden – um dann zu überlegen, was getan werden könnte.
Sie werden nicht verschwinden diese Menschen, sie schaffen es sich durch die mitunter sichersten Grenzen dieser Welt hindurch zu bewegen, und führen uns die Probleme dieser Welt vor Augen. Auf dass sie dies auch weiterhin tun. No Borders! No Nations!
Die nächsten No Border Aktivist_innen sind schon in Calais eingetroffen, oder auf dem Weg dorthin.
Weitere Infos unter calaismigrantsolidarity.wordpress.com