Die Toten von Dessau

Erstveröffentlicht: 
20.06.2016

Gedenken an den im Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh und weitere Opfer. Vorwurf der Vertuschung und Arbeitsverweigerung Von Susan Bonath, Dessau

 

Schluss mit Vertuschungen durch Polizei und Justiz«: Das forderten Dutzende Demonstranten am Sonnabend in Dessau (Sachsen-Anhalt). Aufgerufen hatte die Initiative »In Gedenken an Oury Jalloh«. Seit elfeinhalb Jahren ringt diese um Aufklärung des Feuertods des Flüchtlings aus Sierra Leone. Oury Jalloh verbrannte am 7. Januar 2005 gefesselt in einer Dessauer Polizeizelle. Fast 100.000 Euro steckte die Initiative bisher in von ihr selbst veranlasste Ermittlungen. Die Demonstranten machten deutlich: Jalloh starb nicht als einziger auf ungeklärte Weise im Dessauer Gewahrsam.

 

»Wir gedenken auch Hans-Jürgen Roses und Mario Bichtemanns«, betonte Redner Thomas Ndindah vor dem Justizgebäude der Doppelstadt Dessau-Roßlau. Rose wurde 1997 kurz nach seiner Entlassung aus einer Ausnüchterungszelle von Passanten wenige Meter vom Polizeirevier entfernt gefunden. Wenig später verstarb er in der Klinik an schweren inneren Verletzungen. Nach jW-Informationen sollen Polizisten ihn mit Handschellen gefesselt und Schlagstöcke eingesetzt haben. Bei ihren Aussagen hätten sich deutliche Widersprüche aufgetan. Die Ermittlungen verliefen jedoch im Sande.

 

Der Obdachlose Bichtemann war Ende 2002 in Zelle Nummer fünf ums Leben gekommen. In dieser verbrannte gut zwei Jahre später auch Oury Jalloh, derselbe Revierarzt Andreas B. und Dienstgruppenleiter Andreas S. waren im Einsatz. Auf welche Weise Bittermann den als Todesursache diagnostizierten Schädelbasisbruch erlitt, wurde nie geklärt. Die Dessauer Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Als die PDS-Landtagsfraktion 2005 eine Neuaufnahme des Verfahrens forderte, lehnte Oberstaatsanwalt Christian Preissner dies ab. Er war auch unter seinem Vorgesetzten Folker Bittmann für den Fall Jalloh zuständig. Ende 2015 wurde Preissner pensioniert. Bittmann leitet seit Anfang 2005 die Staatsanwaltschaft in Dessau.

 

Ndindah warf der Dessauer Behörde vor, sie habe »in allen drei Fällen versagt«. Sie habe Indizien auf Misshandlungen durch Polizisten und deren offenkundige Falschaussagen nicht verfolgt. Beamte hätten ungehindert Beweise entsorgt. »Besonders krass« sei dies im Fall Jalloh. Laut Gerichtsakten verschwanden unter anderem Polizeijournale, Fahrtenbücher und eine Handfessel. Weitere Akten wurden während eines laufenden Prozesses vernichtet. Das Video von der Tatortsicherung bricht nach vier Minuten ab. Es existieren somit keine Filmaufnahmen von der Beweisaufnahme. Ein Feuerzeug, das der Gefesselte bei seinem angeblichen Selbstmord benutzt haben soll, wurde erst Tage später den Asservaten beigefügt. 2012 analysierten Gerichtsgutachter, dass es weder DNA vom Opfer noch Spuren aus der Zelle aufwies. Auch medizinische Sachverständige zweifelten die Selbstentzündungsthese an. Fraglich ist auch, wie Jalloh binnen weniger als einer halben Stunde auf einer feuerfest umhüllten Matratze in einer winzigen, gefliesten Zelle bis zur Unkenntlichkeit verbrennen konnte. »Trotzdem pochen die Ermittler stur auf Selbstmord, weil man keinem Polizisten eine konkrete Handlung nachweisen kann«, so Ndindah.

 

Auf ihrem Weg zum Polizeirevier gedachten die Demonstranten weiterer Dessauer Gewaltopfer. Der Mosambikaner Alberto Adriano wurde im Juni 2000 von Neonazis zu Tode geprügelt. Vor der Gedenktafel im Stadtpark sagte ein Redner, offenbar sei der Fall nur aufgeklärt worden, weil die Generalbundesanwaltschaft ermittelt hatte. Im Fall Jalloh hatte die Behörde 2014 unter Harald Range ein Einschreiten abgelehnt.

 

Auch der chinesischen Austauschstudentin Yangjie Li widmeten die Teilnehmer eine Kundgebung sowie eine Schweigeminute. Die grausam entstellte Leiche der 25jährigen wurde am 13. Mai in einem Gebüsch in Dessau gefunden. Dort legten die Demonstranten Blumen nieder. Den Eltern und Angehörigen sprachen sie ihr »tiefstes Mitgefühl« aus.

 

Im Fall Yangjie Li hat sich indes der Tatverdacht gegen den Polizistensohn Sebastian F. und dessen Verlobte Xenia I. erhärtet. Die Magdeburger Staatsanwaltschaft prüft, ob die Eltern Ermittlungen manipuliert haben. Stiefvater Jörg S., als Revierleiter inzwischen suspendiert, soll dabei beobachtet worden sein, wie er Gegenstände aus dem Wohnhaus der Beschuldigten trug. Dort befindet sich auch der mutmaßliche Tatort. Mutter Ramona S. hatte sich freiwillig der Ermittlungsgruppe angeschlossen und Zeugen befragt. Bittmann, dessen Behörde das Mordverfahren führt, sah zuletzt trotzdem »nicht den geringsten Hauch eines Anfangsverdachts«. In Dessau, mahnte Thomas Ndindah, zeige sich deutlich, wie die Staatsanwaltschaft Polizisten schützte. Nicht nur im Fall Jalloh habe sie »Arbeitsverweigerung« begangen. »Dieser Verfassungsbruch ist das größte Verbrechen«, so Ndindah.