NSA-UA: Der Zeuge, der sich freut, endlich aussagen zu dürfen

Erstveröffentlicht: 
10.06.2016

Die gestrige NSA-Untersuchungsausschusssitzung hatte mit Hans-Georg Maaßen einen prominenten Zeugen: Der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen sorgte für viel Gesprächsstoff.

 

Mit Spekulationen über einer mögliche Agententätigkeit Edward Snowdens und damit, dass er nahelege, dass die Arbeit des Untersuchungsausschusses die Terrorismusprävention in seinem Amt behindere und die Parlamentarier somit eine Mitschuld treffe, sollte es zu einem Anschlag in Deutschland kommen, sorgt Maaßen für gleich zwei Eklats. Dabei sollte er eigentlich erklären, was sein Amt vor und nach den Snowden-Veröffentlichungen gegen Spionage aus den Five-Eyes-Staaten getan habe, ob sein Amt Daten zu Extremismusverdächtigen weitergegeben hat, die dazu führten, dass diese bei Drohnenanschlägen getötet wurden und warum das BfV seit Jahren zwar den Analyseteil der NSA-Software XKeyscore testet – wohlgemerkt im „Probewirkbetrieb“, also mit echten Daten, die dann auch weitergenutzt werden.

 

Ein Zeuge geht zum Angriff über

 

Der Tag ist bereits weit fortgeschritten, als Maaßen vor den Ausschuss tritt. Die Vernehmung seines langjährigen Vorgängers Heinz Fromm verlief ruhig und sachlich. Maaßen, der Mann mit den markanten Gesichtszügen und noch markanterem Brillengestell, ganz offensichtlich nervös, wusste, dass es heute um viel geht. Denn erst eine Woche vorher hat er sich an anderer Stelle im Parlament in Zusammenhang mit der NSU-Aufklärung rechtfertigen müssen: nach Jahren waren erst ein Mobiltelefon und dann auch noch SIM-Karten des früheren V-Manns „Corelli“ seines Amtes in einem Panzerschrank beim BfV gefunden worden. Eine schier unglaubliche Geschichte, die, so Maaßen, dazu geführt habe, dass er gegenüber den zuständigen Mitarbeitern „explodiert“ sei.

 

Maaßen steht also unter Druck – immerhin steht die Frage im Raum, ob er seine Behörde überhaupt im Griff hat. Er entscheidet sich, und das mit viel Vorbereitung, für die Devise: Angriff ist die beste Verteidigung. Und verliest zu Beginn eine Stellungnahme, die es in sich hat. Snowden könne ein russischer Spion sein, vielleicht sogar schon länger, und das Bundesamt für Verfassungsschutz müsse so viel für den Ausschuss arbeiten, dass das der Terrorismusabwehr schade.

 

Ist ersteres ein Beweis vor allem eine steile These, ist zweites von dem Behördenleiter eine relative Unverfrorenheit: als Zeuge in einem Bundestags-Untersuchungsausschuss, der mögliches Fehlverhalten oder strukturelles Versagen in seiner Behörde aufdecken soll, den Abgeordneten gegenüber zu behaupten, dass sie eine Mitschuld treffen würde, wenn sein Amt im Falle eines Terroranschlags kritisiert würde, das ist schon ein starkes Stück.

 

Maaßen gilt als exzellenter Jurist, er weiß genau, dass das Parlament und seine Aufgaben in dieser Demokratie, die er zu schützen beauftragt wurde, zentral sind. Doch den ganzen Abend über bleibt Maaßen bei seiner Taktik: er habe sich nichts vorzuwerfen, Snowdens Dokumente – und auch jene aus anderen Quellen, die teils deutlich später veröffentlicht wurden – seien nicht überprüfbar, nicht beweisbar, es würde behauptet, es würde gesagt, aber. Für manches brauche er aber keinen Beleg, etwa für die Vermutung, dass aus Botschaften heraus spioniert würde – davor warne der Verfassungsschutz schon immer. Also sinngemäß: selbst schuld, wer im Regierungsviertel nicht verschlüsselt kommuniziert, bewiesen werde auch durch den Ausschuss nichts.

 

Hans-Georg Maaßen war drei Jahre vor seinem Auftritt im Ausschuss gerade auf dem Weg zum Direktorenfrühstück mit dem damaligen NSA-Chef Keith Alexander der ihn in Berlin besuchte, als die NSA-Affäre losging. Alexander war damals, so berichtet Maaßen, nicht besorgt ob der ersten Berichte.

 

Doch was dann folgte, das erzürnt Maaßen offenbar bis heute. Die Veröffentlichung bezeichnet er als „größten Keil seit dem zweiten Weltkrieg, der zwischen Europa und die USA getrieben werden solle“. Edward Snowden? Es sei plausibel, dass der für die russischen Nachrichtendienste arbeite. Insbesondere, wenn er ein naiver Idealist sei, solche würden besonders gern benutzt. Und überhaupt: Operationen unter falscher Flagge seien eine Spezialität der russischen Dienste.

 

Eines der Lieblingsworte des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist gestern Abend „Insinuieren“. Er nimmt es immer dann in den Mund, wenn seinem Amt ein mögliches Fehlverhalten vorgeworfen wird: die Abgeordneten würden etwas insinuieren. Insinuieren, das bedeutet für ihn ganz klar: unterstellen. Und dagegen verwahrt er sich regelmäßig. Selbst jedoch ist er wenig zimperlich in seinen Aussagen. Die CDU- und CSU-Abgeordneten scheinen sich nicht sonderlich an Maaßens Auftritt zu stören, von Linken bis SPD allerdings ist der Ton über weite Strecken sehr scharf. SPD-Obmann Christian Flisek etwa sagt:

 

Sie sind Behördenleiter. Man muss sich entscheiden, ab welcher Stelle man Politik macht als Beamter. Aber wenn die einzige Tatsache der Aufenthaltsort ist, halte ich den Vorwurf, dass Sie, euphemistisch gesagt, Informationspolitik betrieben, für nicht übertrieben.

 

Um 18:23 Uhr twittere ich von der Tribüne des NSA-Untersuchungsausschusses:

Falk Steiner @flueke"

Ob Edward @Snowden Agent des SWR oder FSB ist, kann derzeit nicht belegt werden." Maaßen, #BfV#NSAUA

5:23 PM - 9 Jun 2016

Im Tweet enthalten: eine Erwähnung Snowdens. Das @Zeichen führt dazu, dass der Mensch am anderen Ende wahrscheinlich eine Benachrichtigung erhält.

 

Um 21:18 Uhr Berliner Zeit, 23:18 Uhr Ortszeit Moskau twittert Edward Snowden:

 

Edward Snowden @Snowden

Ob Maaßen Agent des SVR oder FSB ist, kann derzeit nicht belegt werden. ¯\_(ツ)_/¯ #BfV #NSAUA

8:18 PM - 9 Jun 2016

 

Vier Minuten nach Mitternacht äußert sich dann auch der Zeuge Hans-Georg Maaßen kurz vor Mikrofonen. Er sagt, dass er sich zwei Jahre lang auf diesen Auftritt gefreut habe.

 

Den Ton davon bekomme ich noch in der Nacht von der Kollegin Dagmar Pepping vom NDR. Das kleine Finale habe ich knapp verpasst – ich war bis 23:52:35 noch einmal im Deutschlandfunk live auf Sendung, danach habe ich mich an die Produktion einer Zusammenfassung für die Sendungen am nächsten Morgen begeben.

 

Die Fortsetzung

 

Am nächsten Tag in der Regierungspressekonferenz am Mittag frage ich BMI-Sprecher Johannes Dimroth:

 

FRAGE STEINER: Ich würde gern wissen, ob der Bundesregierung irgendwelche Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Edward Snowden jemals für einen Geheimdienst eines anderen Landes gearbeitet hat als für Geheimdienste der USA.

DR. DIMROTH: Sie spielen auf eine möglicherweise so oder ähnlich getroffene Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz in seiner Funktion als Zeuge vor dem NSA-Untersuchungsausschuss an. Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich diese ganz grundsätzlich nicht kommentiere und nicht dazu Stellung nehme. Das obliegt allein dem dafür zuständigen Gremium, nämlich dem Untersuchungsausschuss selbst.

Aber ich will Ihre Frage nicht unbeantwortet lassen. Erkenntnisse, wie von Ihnen erfragt, liegen mir nicht vor.

 

Am Abend entdecke ich, dass nun auch Bild auf die Frage „Snowden russischer Spion“ aufgesprungen ist. Niemand von Bild war gestern da, soweit ich weiß. Man spekuliert dort fröhlich – anhand des Tweets von Edward Snowden. Und insinuiert, um es im Maaßen-Stil zu formulieren: Wer so gut Deutsch spricht, muss der nicht ein russischer Spion sein oder von russischen Spionen unerstützt werden?

Bild zu Snowden

 

Der kann ja Deutsch!

Und später:

Die Reaktionen zeigen, dass sowohl deutschen als auch russischen Medien nicht bekannt war, dass Snowden auch auf anderen Sprachen als englisch kommunizieren kann.

 

Twitters Mobilanwendung bietet zu jedem Tweet eine automatische Übersetzung an. SWR (Snowdens Schreibweise: die englische Variante SVR), FSB, Agent, Maaßen, BfV – daran scheitert selbst diese nicht. Und dass er weiß, wie man Inhalte kopiert? Dafür gibt es zwar keine Belege, aber…

 

Ob die Bundesregierung nach wie vor prüfe, ob Snowden bei einer Einreise nach Deutschland fürchten müsse, in die USA ausgeliefert zu werden, frage ich heute Mittag das zuständige Justizministerium. Die Antwort kam prompt: Ja.