Hip, jung und gewissenlos – das sind Putins Trolle

Erstveröffentlicht: 
29.05.2016

Hasskommentare und Liebeserklärungen an Moskau – eine Aktivistin berichtet aus der Zentrale der Online-Propaganda. Zwei Monate hat sie dort gearbeitet. Russlands Trolle werden immer dreister.

 

Polarlichter, Kreativ City und Mix Info heißt es auf Papierschildern an einem Bürokomplex in einem ruhigen Sankt Petersburger Wohngebiet. Vor dem Betonbau stehen einige Frauen und Männer Anfang 20 und rauchen. Unter ihnen ein Bärtiger in Jeans und mit Sankt-Pauli-Hoodie. Sie sind jung und hip, und sie könnten ebenso in einem Café in Berlin-Neukölln oder im New Yorker Stadtteil Williamsburg vor ihren Laptops sitzen.

Was genau sie in dem Bürokomplex in dem ruhigen Wohngebiet machen, will niemand von ihnen sagen. Er habe eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet, sagt der Bartträger, und verschwindet schnell im Gebäude.

Die Fenster aller vier Stockwerke sind abgehängt. Am Empfang stoppt ein Wachmann Fremde und fragt, ob sie zum Vorstellungsgespräch kommen? Nein? Dann draußen bleiben. Fotografieren verboten.

Ludmilla Sawtschuk weiß, was genau darin vorgeht. Um das herauszufinden, hat die 34-jährige Journalistin im vergangenen Jahr hier gearbeitet – zwei Monate undercover. Hinter den Firmennamen verbergen sich nämlich nicht etwa IT-Start-ups. 400 sogenannte Internet-Trolle sollen in dem Bürobau arbeiten – es ist die Zentrale der russischen Online-Propaganda. Sawtschuk kämpft gegen die Trollfabrik, und sie riskiert viel dafür.

Trollfabrik für russische Politik enttarnt

Bereits vor drei Jahren wurde die Propagandazentrale von Journalisten enttarnt. Sawtschuk machte 2015 öffentlich, wie die Propagandaarbeit für die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin funktioniert, um sie so zu stoppen. Die Firma, bei der Sawtschuk angestellt war, ist aber inzwischen unter anderem Namen neu registriert und die Trolle an der Sawuschkina-Straße arbeiten unter diesem Namen ungestört weiter. Mittlerweile sind die Online-Kampagnen für den Kreml sogar noch dreister geworden. Sawtschuk will das nicht hinnehmen.

Sie versucht immer wieder, den Mitarbeitern ins Gewissen zu reden. Vor Kurzem stellte sie sich morgens vor den Eingang mit einem Spiegel, auf den sie zuvor das verzerrte Gesicht eines Trolls gezeichnet hatte. Die meisten Menschen gingen schnell an ihr vorbei. Aber ein paar hätten sie angelächelt, als hätten sie den Witz verstanden.

Magie, Steine, Schönheit – und Propaganda

"Unsere Aktionen mögen naiv erscheinen, aber etwas muss man doch dagegen tun", sagt sie. Die Frau mit den langen lockigen Haaren, die sich so mit dem Kreml anlegt, wirkt zerbrechlich und dünn in ihrem luftigen Rock. In ihrem Lieblingscafé in Sankt Petersburger Vorort Puschkin erzählt sie von ihrer Zeit in der Trollfabrik.

Sie arbeitete in einer Abteilung, in der Mitarbeiter Blogs von fiktiven Personen schrieben – darunter den Blog einer Wahrsagerin. "Meistens habe ich Texte über Magie, Steine und Schönheit geschrieben", sagt Sawtschuk. Doch in diesen esoterischen Beiträgen kamen auch politische Themen vor. Es wurden zum Beispiel "schlechte Träume" erwähnt, in denen die Wahrsagerin eine düstere Zukunft für Deutschland und die Europäische Union kommen sah.

Blogger bekommen genaue Anweisungen, was und über welche Themen sie schreiben sollen. Sawtschuk beschreibt eine solche Themenliste vom Januar 2015: die Ukraine, die USA, der oppositionelle Politiker Alexei Nawalny, die EU und das russische Verteidigungsministerium sollten in den Blogposts vorkommen. Außerdem mussten ihre Kollegen auf Russisch über Pegida-Demonstrationen in Deutschland und das Scheitern des Multikulturalismus schreiben. In gesonderten Abteilungen wurden Karikaturen gezeichnet, Videos produziert sowie auf Englisch Blogs und Online-Kommentare verfasst.

Nicht nur Hasskommentare und Lügen

Die Arbeit der Trolle geht mittlerweile weit über Hasskommentare hinaus: Sie erfinden Nachrichten. 2014 etwa verbreiteten sie die falsche Information, dass es in einer Chemiefabrik im US-Bundesstaat Louisiana eine Explosion gegeben habe. Auch ein Video, in dem die Terrormiliz "Islamischer Staat" die Verantwortung für die fiktive Explosion übernahm, brachten sie im Internet in Umlauf.

Die Trolle aus Sankt Petersburg sollen laut BBC auch hinter einem Video stecken, in dem ein angeblich amerikanischer Soldat auf den Koran schießt. Vor dem niederländischen Referendum über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine tauchte ein gefälschtes Video auf, in dem "ukrainische Nationalisten" den Niederlanden mit Terroranschlägen drohen – auch das soll gezielt verbreitet worden sein. Sawtschuk hat sogar selbst gesehen, wie in sozialen Netzwerken Profile von ukrainischen Nationalisten gefälscht und dort radikale Aussagen veröffentlicht wurden.

"Sie glauben an nichts"

Unter den Trollen, die solche Lügen verbreiten, seien viele Studenten, sagt Sawtschuk. "Sie glauben an nichts", beschreibt sie ihre Ex-Kollegen. In ihrer Abteilung hätten auch mehrere ehemalige Journalisten gearbeitet. Mit Online-Propaganda kann man besser verdienen als bei einer Sankt Petersburger Lokalzeitung. Zurzeit liege der Einstiegslohn in der Trollfabrik bei umgerechnet 530 Euro im Monat – das ist in Krisenzeiten viel.

In Online-Jobbörsen werden immer wieder neue "Copywriter" gesucht. Seit Sawtschuk sich in die Trollfabrik eingeschleust hat, werden die Bewerber sogar mit Lügendetektoren überprüft. "Auch alle, die in Verdacht stehen, mit mir oder der Presse im Kontakt zu sein, werden überprüft", sagt sie. In den Büros seien überall Kameras installiert.

Sawtschuk wurde letztlich selbst zum Opfer der Trolle: Sie riefen ihren damaligen Ehemann an und stellten sich als Journalisten vor, um Informationen über sie zu bekommen. Im Netz initiierten sie eine Hetzkampagne gegen Sawtschuk. "Man kann die Wahrheit nicht mehr von Lügen unterschieden. Ich glaube niemandem mehr", sagt sie.