Falsches Spiel mit falschen Haaren

Erstveröffentlicht: 
18.05.2016

In der Hamburger linken Szene ist eine weitere verdeckte Polizistin enttarnt worden. Sie soll sich über Jugendprojekte eingeschleust haben.

 

HAMBURG taz | Erneut ist eine verdeckte Ermittlerin des Staatsschutzes des Hamburger Landeskriminalamtes (LKA) in der linken Szene aufgeflogen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Recherchegruppe aus em Umfeld der autonomen Roten Flora. Demnach spionierte die heute 34-jährige LKA-Beamtin Astrid O. unter dem Tarnnamen „Astrid Schütt“ seit Ende 2006 bis April 2013 verschiedene linke Gruppen aus. Nach Iris P. und Maria B. ist Astrid O. die dritte Undercover-Agentin, die innerhalb von eineinhalb Jahren im Nachhinein enttarnt worden ist.

Laut Recherchegruppe ist die Polizistin Astrid O. in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Garding aufgewachsen, hat Ende 2006 als „Astrid Schütt“ über das Café Flop im Hamburger Stadtteil Bergedorf in der linken Szene Fuß gefasst, wo sie am regelmäßigen Antifa-Café teilnahm. In dieser Zeit ließ sie sich in einem Afroshop Dreadlocks machen. 2007 war sie in Antifa-Gruppen in Harburg aktiv, war in die Gegenaktivitäten zum G8-Gipfel in Heiligendamm und zum Asien-Europa-Treffen in Hamburg involviert. Bevor sich 2008 ihr Wirken nach Altona verlagerte und dort im Wohnprojekt Klausstraße das Antifa-Jugend-Café Mafalda organisierte.

Schon damals habe es den ersten Spitzelverdacht gegeben, erklärt die Recherchegruppe. Astrid O. habe auffällig viele Fragen gestellt, war mit Abstand die Älteste und hatte in ihrer Wohnung in der Holländischen Reihe einen Nahkampfstock „Tonfa“ herumliegen, wie er bei der Polizei eingesetzt wird. „Diesen Unklarheiten wurden aber damals leider nicht ausreichend nachgegangen“, schreibt die Recherchegruppe in ihrem Dossier.

Astrid O. versuchte demnach, 2008 weitere intensive Kontakte zu verschiedenen Gruppen aufzubauen, war 2009 bei der Vorbereitung einer Hausbesetzung involviert und engagierte sich regelmäßig und verbindlich auf dem Plenum der besetzten Roten Flora und der Autonomen Vollversammlung.

Sie habe sich aktiv an inhaltlichen Auseinandersetzungen aber auch an praktischen Dingen wie Türschichten bei Wochenendveranstaltungen in der Flora beteiligt. Sie sei „über Jahre Teil der freundschaftlichen Kontakte des Projektes geworden“. Nach dem Plenum sei sie regelmäßig bei den Kneipenrunden in Fritz Bauch dabei gewesen.

Ende 2009 war „Astrid Schütt“ Mitbegründerin und Namensgeberin der „Nella Faccia“, einer Gruppe junger Leute, die sich der Antifa- und Antirepressionsarbeit widmete, was ihr auch die Türen zu Anti-Repressionsgruppe der Roten Flora geöffnet haben soll. „Seit spätestens Ende 2010 war die Beamtin Astrid O. aktiver Teil aller Gruppendiskussionen und Aktivitäten“, so die Recherchegruppe. Sie vermutet, dass damals die Observationen der Gruppe spürbar nachgelassen haben, weil O. bei den Treffen viel mitgeschrieben hatte – angeblich weil sie an Vergesslichkeit litt.


Pampig und souverän

Später beteiligte sich O. aktiv an der Vor- und Nachbereitung des Autonomen Kongresses in Köln 2011, wo Militanzdebatten im Vordergrund standen, und an den Vorbereitungen von Gegenaktionen zum Neonaziaufmarsch am „Tag der deutschen Zukunft“ im Juni 2012.

Im selben Jahr kam erneut der Spitzelverdacht auf. „Auf die Konfrontation reagierte O. pampig und trotzig und doch zugleich sehr souverän“, so die Recherchegruppe. Sie bestritt den Vorwurf und bot Gegenbeweise wie Personalausweis und Kontoauszüge an. Ihre Legende hielt stand.

Im April 2013 zog sich Astrid O. plötzlich aus den politischen Strukturen zurück und tauchte nach Italien ab, bis sie im Oktober 2013 in den Polizeidienst ins Polizeipräsidium zurückkehrte. In den Augen der Recherchegruppe ist Astrid O. die Nachfolgerin von Iris P., die auch in Doppelfunktion als verdeckte Aufklärerin für den Hamburger Staatsschutz und als verdeckte Ermittlerin zur Aufklärung von Brandanschlägen eingesetzt worden war. Zeitweilig beackerte sie mit Maria B. die gleichen Politfelder. „Astrid hat sich ihre Glaubwürdigkeit über Jahre erarbeitet“, so das Fazit der Gruppe. „Sie ist tief in unsere Strukturen eingetaucht.“ Erschreckenderweise hätten zwei verdeckte Ermittlerinnen auf demselben Plenum gesessen.